Talkessel mit Häusern und Bahnlinie
Beschreibung
Grüne Nadelbäume, blaue Häuschen und eine dampfende Eisenbahn: Wie ein Bilderbuchmotiv mutet diese Berglandschaft an, die Kirchner 1917 mit Bleistift und wenigen Wasserfarben auf einen grundierten Karton bannte. Im Duktus des Künstlers gerät der friedliche Blick auf die Natur jedoch in nervöse Erschütterungen. Schnelle, scheinbar flüchtige Zickzackführungen und Krakellinien des Bleistifts, dazu zarte, mit lockerem Pinsel gesetzte Farbspuren erzeugen ein Bild von größter Erregung, festgehalten mit höchster Empfindsamkeit. Wie das unruhige Fixieren eines kurzlebigen Eindrucks erscheint die skizzenhafte Ausführung des Blattes. Dabei zeigt die Komposition einen bildmäßigen, ausgewogenen Aufbau, der dem spannungsvollen Werk Ruhe verleiht: Die senkrecht zuckenden Linien der hohen Tannen im Vordergrund werden hinterfangen von einem liegenden Oval, das sich aus einem blauen Flussbogen und einem geschwungenen Weg sowie der Eisenbahn zusammensetzt. Grüne und blaue Farbakzente binden die Komposition zu einer Einheit, belebt durch helle, komplementäre Rottöne. Die Kreidegrundierung auf dem Bildträger erzeugt eine eigentümliche Wirkung: Die Bleistiftlinien verdichten sich zu weichen Schichten, und die transparenten Aquarellfarben sind auf dem undurchlässigen Überzug abgeperlt und in Tropfen und kleinen Pfützen getrocknet.
Duktus und Farbauftrag offenbaren eine Emotionalität der ausführenden Hand, die charakteristisch ist im Werk Ernst Ludwig Kirchners. Bereits in der frühen Phase seiner künstlerischen Tätigkeit und seiner Mitgliedschaft in der Künstlervereinigung "Brücke" von 1905 bis 1913 war die emotionale Entäußerung im Bild durch schnelles Zeichnen in der Natur ein Hauptanliegen des Künstlers. Die auf diesem Blatt offenbarte Nervosität und Zerrissenheit resultiert aus der seelischen Verfassung Kirchners, der durch den Ausbruch des Ersten Weltkrieges und seinen Militärdienst 1915 in eine schwere psychische Krise gestürzt war. Abhängig von Alkohol und Medikamenten, nervenkrank und mit Lähmungserscheinungen an den Händen suchte er Heilung in unterschiedlichen Sanatorien. Diese leidvolle Zeit war jedoch geprägt von einer Schöpferkraft, die einige seiner besten Werke hervorbrachte. 1917 kam Kirchner erstmals nach Davos, wo er eine neue Heimat fand. Die Karlsruher Zeichnung gehört zu den Werken dieses Jahres und offenbart die intensive Auseinandersetzung des Künstlers mit der Schweizer Alpenlandschaft.
Daten und Fakten
Titel | Talkessel mit Häusern und Bahnlinie |
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Künstler*in | Ernst Ludwig Kirchner |
Entstehungszeit | 1917 |
Inventarnummer | 1954-9 |
Maße Blatt | H 38.1cm B 50.1cm |
Maße Einfassungslinie | H 35.5cm B 48cm |
Material | Karton |
Technik | Bleistift Aquarell weißer Kreidegrund |
Gattung | Zeichnung |
Abteilung | Kupferstichkabinett |
Das Kupferstichkabinett der Kunsthalle Karlsruhe besitzt einen umfangreichen Bestand an Arbeiten Ernst Ludwig Kirchners. Aus seinem Nachlass sind über 300 Radierplatten, 30 Holzstöcke, 58 Zeichnungen und Aquarelle, 30 Holzschnitte, 22 Radierungen und 17 Lithographien vorhanden.
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DAS BESONDERE BLATT 2007 03-04
Staatliche Kunsthalle Karlsruhe
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1988: 100 Zeichnungen und Drucke aus dem Kupferstichkabinett
Johann Eckart von Borries/Rudolf Theilmann
Ausgewählte Werke der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe -
1955: Kunst unserer Zeit
Neuerwerbungen 1948-1955
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1958: Deutsche Zeichenkunst im 20. Jahrhundert
Ausst. Kat. Landesmuseum Münster i.W. 1958
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1964: Ernst Ludwig Kirchner
Zeichnungen und Aquarelle im Besitz der Staatsgalerie Stuttgart und der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe