Reiseskizzenbuch
Aufgrund der Vielfalt der Motive und Themen ist davon auszugehen, dass Baldung bei verschiedenen Gelegenheiten Skizzenbücher mit sich führte. So bezeugen von Baldung beschriftete Landschaftszeichnungen beispielsweise, dass der Künstler bei verschiedenen Reisen im Elsass, in der Gegend von Freiburg und Basel sowie im Schwarzwald, in Schwaben und im Neckartal Skizzenbücher mit sich führte. Darin hielt er seine Eindrücke fest, die ihm später als Vorlagen für seine Werke dienen konnten.
Kurz nach Baldungs Tod gelangten diese und weitere Zeichnungen in den Besitz des Straßburger Chronisten Sebald Büheler. Dieser ordnete die Blätter und ließ sie in einen kostbaren Einband aus braunem Ziegenleder binden.
Der Ledereinband mit eingeprägten Renaissance-Ornamenten ist charakteristisch für Reiseskizzenbücher des 16. Jahrhunderts. Die auf den Vorderdeckel greifende Klappe garantierte eine schonende Aufbewahrung der Blätter.
Der Stift
Vorn auf dem Buchdeckel dient ein Silberstift, durch zwei Metallösen gezogen, als Verschluss. Er ist 22,4 cm lang und ca. 2 mm dick und besteht aus Messing, um das eine Silberfolie gelegt wurde.
Der s-förmig geschwungene obere Abschluss des Stiftes verhindert ein Herausrutschen, das untere Ende ist spitz zulaufend. Bei Bedarf hatte der Künstler so Zeicheninstrument und Papier sofort zur Hand.
Zu Baldungs Zeit waren Silberstifte ein gängiges Mittel, um visuelle Eindrücke in Skizzenbüchern festzuhalten. Aufgrund ihrer trockenen Beschaffenheit konnten sie problemlos mitgeführt werden. Zudem waren sie sofort einsatzfähig, denn man brauchte sie nicht zu spitzen.
Über Sebald Büheler
Auf der Innenseite des Einbandes verweist eine Inschrift auf Sebald Büheler, den ehemaligen Besitzer und Kompilator des Skizzenbuches in seiner heutigen Form, sowie auf den Buchbinder und das Jahr der Zusammenstellung: „Kostet 3 β-δ [Schilling] in zu binden Joachim Crafftberg[er] dem Buchbinder · 1 · 5 · 82 · Sebolt Büheler.“
Anhand dieser Inschrift lässt sich feststellen, dass fast alle Eintragungen, die mit Tinte im Skizzenbuch vorgenommen wurden, auf Büheler zurückgehen.
Streichinstrument der Renaissance
Im 16. Jahrhundert war die Gambe ein beliebtes Streichinstrument gehobener Gesellschaftsschichten. Von Baldungs Hand sind zahlreiche Silberstiftzeichnungen dieses Musikinstruments erhalten. Darunter auch eine sechsseitige und achtbündige Gambe in Frontalansicht mit Bogen. Die typische Spielhaltung zwischen den Beinen verlieh dem Instrument auch den Namen „Kniegeige“.
Im Œuvre Baldungs taucht die Gambe in zahlreichen Werken auf:
Die Dame der Allegorischen Frauengestalt mit Liederbuch, Viola und Katze stützt sich mit ihrer Rechten auf dem Instrument ab.
Physiognomien
Im Skizzenbuch haben sich zahlreiche physiognomische Studien erhalten. Sie zeugen von Baldungs Interesse an der Vielfalt menschlicher Gesichter und ihrer Ausdrucksmöglichkeiten. Diese beiden Profilköpfe weisen gegensätzliche Gesichtszüge auf und entstanden wohl als Vorarbeiten für brutale Schergenfiguren.
Feinsinnige Zeichnung eines Kindes
Im Porträt des vornehmen Knaben fängt Baldung die Zartheit des Kinderkopfes und den wissbegierigen und unschuldigen Gesichtsausdruck des Knaben besonders einfühlsam ein. Die extravagante Kopfbedeckung des Jungen, der bis heute nicht identifizierbar ist, deutet auf seine fürstliche Herkunft hin.
Ein ähnliches Barett ist im Bildnis des Freiherrn Hans Jakob zu Mörsberg und Beffert aus der Staatsgalerie Stuttgart zu sehen.
Baldung auf Reisen
Die um 1515 während einer Reise durch Schwaben entstandene Skizze zeigt die Burg Weinsberg bei Heilbronn. Zur eigenen Erinnerung beschriftete Baldung die Zeichnung mit dem Namen des Ortes. Später wurde das Motiv ausgeschnitten und auf ein Papier geklebt.
Die Ansicht der auch als Schloss Weibertreu bezeichneten Burg dokumentiert die 1504 während des Pfälzisch-Bayerischen Erbfolgekrieges durch Herzog Ulrich von Württemberg verursachten Zerstörungen.
Die im Buch erhaltenen topografischen Ansichten liefern wertvolle Erkenntnisse über die Aufenthaltsorte des Künstlers in dieser Zeit, über die nur wenig bekannt ist.
Baldungs idealisierte Marienfigur
Bei der feinsinnigen Zeichnung einer jungen Frau mit wallenden Locken handelt es sich um eine der schönsten Mariendarstellungen Baldungs. Vermutlich als Vorlage für ein Gemälde entstanden, schuf Baldung ein Idealbildnis, das er 1523 datierte und mit seinem Monogramm signierte.
Die originale Silberstiftzeichnung ist stark verblasst, sodass sie heute nur noch unter ultraviolettem Licht deutlich sichtbar ist.
Zahlreiche Mariendarstellungen Baldungs gehen auf diese Silberstiftzeichnung zurück:
Modifikationen aus späterer Zeit
Die über dem Bildnis eingefügte Inschrift „Maria mater gracia mater misericordie / tu nos ab Hoste protege“ und zahlreiche weitere Kritzeleien, darunter auch ein Profil rechts im Haar Mariens, stammen aus späterer Zeit.
Geometrische Zeichnungen
Ein Kommentar von Prof. Dr. Ernst Albrecht
Untersuchungen zu Methoden der Perspektive sowie die gedruckten und daher allgemein verfügbaren Versionen der antiken mathematischen Schriften Euklids führten in der Renaissance zu einem vermehrten Interesse der Künstler*innen an der Geometrie. So enthält Dürers Kupferstich Melencolia I zahlreiche Bezüge zur Mathematik: Kugel, Polyeder, das magische Quadrat, Zirkel und Richtscheit.
Besonders Darstellungen und Konstruktionen der in der Kosmologie von Platons Dialog Timaios auftretenden und in Euklids Elementen eingehend behandelten fünf platonischen Körper erfreuten sich großer Beliebtheit.
Baldung hat hier den auf einer Spitze stehenden Würfel und das auf einer Seite stehende Ikosaeder in Aufsicht von oben gezeichnet. Die Schattierung der sichtbaren Seitenflächen bewirkt einen räumlichen Effekt.
Ein bevorzugtes Motiv
Der auf dieser Doppelseite einmal im Profil und einmal von links oben dargestellte Kopf eines jungen Mädchens zeigt Baldungs ausgeprägtes Interesse an diesem Modell. Auch auf der folgenden Seite ist ihr Gesicht auf zwei Zeichnungen dargestellt, einmal in Frontalansicht und einmal von schräg unten.
Auf einigen Gemälden Baldungs lassen sich verwandte Physiognomien erkennen:
Eine sehr ähnliche Profilansicht weist die kniende Maria Magdalena im Gemälde Die Erscheinung des Auferstandenen vor Maria Magdalena (Christus als Gärtner) auf.
Das vor dem Weinstock stehende junge Mädchen aus der Tafel Die sieben Lebensalter der Frau wird auf das Vorbild des gezeichneten Mädchens zurückgeführt.
Zur Entstehung des Titels
Der bis heute diskutierte Titel Kopf eines etwa zwölfjährigen krankhaften Mädchens, den das Motiv erhielt, kam vermutlich durch ihren eigenwilligen Gesichtsausdruck und die im 17. Jahrhundert eingefügte Inschrift zustande: „Dises ist die Contra Factur des Jenigen Maidli so in / zehen Jahren nichts gessen. Von HBG.“
Der Kompilator Sebald Büheler
Sebald Büheler stellte die vorhandenen Zeichnungen Baldungs vermutlich nach eigenen ästhetischen Kriterien zusammen und ließ sie 1582 zum heutigen Karlsruher Skizzenbuch binden. Büheler ordnete die Blätter nach deren Entstehungszeit und kombinierte motivisch ähnliche Zeichnungen.
Auf dieser Doppelseite ist der kompilatorische Charakter des Buches anhand der acht eingeklebten Zeichnungen besonders anschaulich.
Improvisation ist alles
Das doppelseitig bezeichnete Blatt wurde kurzerhand geknickt und am linken Falz eingeklebt, sodass beide Darstellungen sichtbar sind.
An der Gambe lässt sich das thematisch passende Arrangement der Skizzen veranschaulichen: Beide Abbildungen des Instruments scheinen sich auch kompositorisch zu ergänzen.
Ornamentale Rüstung
Diese für die Bindung in das Skizzenbuch seitlich gedrehte Zeichnung zeigt die imponierende Gestalt eines Ritters im Feldharnisch zu Pferde. Sein strenges Profil und die ornamental anmutende Binnenzeichnung veranschaulichen besonders schön die lineare Qualität der Silberstiftzeichnungen.
Die Skizze entstand vermutlich während Baldungs schwäbischer Reise um 1515, auf welcher der Künstler auch die Burg Horneck mit dazugehöriger Rüstkammer besuchte.
Freilichtzeichnungen
Einige beschriftete Zeichnungen schwäbischer Burgen lassen darauf schließen, dass Baldung während seiner schwäbischen Reise um 1515 ein Skizzenbuch mit sich führte. Die Deutschordensburg Horneck am Neckar zeichnete er in zwei unterschiedlichen Ansichten.
Vergleichbare Landschaftsdarstellungen tauchen bisweilen auch im Hintergrund von Baldungs Gemälden und Druckgrafiken auf.
Zwei Kaiser
Beide Kaiser, nicht zufällig auf einer Doppelseite arrangiert, stehen nicht nur in politischer, sondern auch verwandtschaftlicher Beziehung zueinander: Maximilian I. war der Vorgänger Karls V. im Kaiseramt und dessen Großvater.
Zwischen Individualisierung und Idealisierung
Das Profilbildnis Kaiser Karls V. entstand 1536 und wurde von Baldung selbst datiert und signiert. Nachträglich fügte Sebald Büheler, der spätere Besitzer des Buches, den Kommentar „Keyßer Carlo der fünffte“ hinzu. Vermutlich zeichnete der Künstler hier nicht direkt nach dem Modell, sondern nach einer unbekannten Vorlage.
Maximilian I.
Es ist ungewiss, ob das Brustbild Maximilians I. 1511 direkt vor dem Modell entstand, als sich der Kaiser in Straßburg aufhielt (und nicht 1501, wie die fälschliche Datierung suggeriert). Es ist das früheste Blatt des Skizzenbuches.
Kaiser Maximilian I. war der erste Herrscher, der die damals neuen Medien des Buch- und Einblattholzschnittes intensiv und auf innovative Weise zur Selbstinszenierung nutzte. Er betraute Baldung und weitere berühmte Künstler der Zeit mit der Illustration seines Gebetbuches – ein Auftrag von hohem Prestige. Das Gebetbuch ist ebenfalls in diesem Raum ausgestellt.
Auf Baldungs Tafelbild des Blumenwunders der heiligen Dorothea fügte der Künstler vermutlich ein Porträt Kaiser Maximilians I. in der Rolle des Gerichtsschreibers Theophilus ein. Der Auftraggeber des Gemäldes war ein Vertrauter des Kaisers.
Auch andere bedeutende Zeitgenossen porträtierten Kaiser Maximilian I., darunter Albrecht Dürer.
Die Beschriftungen Sebald Bühelers
Wie auch beim Bildnis Karls V. fügte Sebald Büheler über der eingeklebten Zeichnung Maximilians I. nachträglich den Titel und Namen der dargestellten Person ein: „Keyser maximilian“.
Ein Symbol der Habsburger
Der Kaiser trägt den Orden vom Goldenen Vlies, dessen Kette den Pelzkragen umfasst und breit über den Schultern liegt. Das Goldene Vlies stammte ursprünglich aus der griechischen Mythologie und stellte das Fell eines goldenen Widders dar. Seit dem 15. Jahrhundert war es Teil der Ordenssymbolik der Habsburger.
Christoph I. von Baden
Das Bildnis zeigt den 59-jährigen Markgrafen Christoph I. von Baden mit seinen charakteristischen scharf geschnittenen Gesichtszügen in Dreiviertelansicht.
Er war einer der wichtigsten Auftraggeber Baldungs am Beginn von dessen selbstständiger Karriere.
Diese nach dem lebenden Modell entstandene Zeichnung diente dem Künstler als Vorlage für Baldungs Tafelbild des Markgrafen aus dem Jahr 1515. Insgesamt sind vier Porträts Christophs von der Hand Baldungs in folgender Entstehungschronologie überliefert: die Markgrafentafel, ein Holzschnitt, eine Silberstiftzeichnung und ein Tafelbild.
Historische Inschrift
Sebald Büheler, der ehemalige Besitzer des Karlsruher Skizzenbuches, fügte nachträglich mit Tinte die fälschliche Beschriftung „margrave Bernhardt zu Baden der Alte“ ein.
Entmündigung eines Herrschers
Christoph I. von Baden litt in fortgeschrittenem Alter an Geistesschwäche. 1515, drei Jahre nach diesem gezeichneten Porträt, gab der Markgraf die Regentschaft an seine beiden Söhne ab, die ihn ein Jahr später entmündigen ließen.
Momentaufnahme
Die beiden Studien des Kinderkopfes entstanden nach dem gleichen Modell. Baldung modellierte sein Gesicht mit zarten Strichen und Schraffuren auf behutsame Weise. Dabei gelingt ihm eine unmittelbare und lebensnahe Momentaufnahme des Kindes.
Drei Zeichnungen aus Kopenhagen stellen vermutlich dasselbe Modell dar, das Baldung in verschiedenen Situationen festhielt. Die Sensibilität, mit der er das Kind zeichnerisch erfasste, lässt ein besonderes Interesse für das Motiv vermuten.
Ähnliche Kinderköpfe tauchen auch in öffentlichen Werken des Künstlers auf. So auch in dem Holzschnitt Trunkener Bacchus mit spielenden Putten rechts neben der Figur des Weingottes oder in den Gestalten der Putti – nackter Kinder oder Engelchen.
Studien nach der Natur
Im Skizzenbuch wurden nicht nur Bildmotive gesammelt: So fügte Baldung bei dem Kopf eines Rindes beispielsweise handschriftliche Farbangaben hinzu. Bei einer späteren Verwendung eines Motivs konnte er auf diese Detailinformationen zurückgreifen.
Aussagekräftige Details
Ernst und aufmerksam blickt der Knabe auf dieser Zeichnung die Betrachtenden aus großen Augen unmittelbar an. Das Antlitz des Kindes, der Mund und Kragen, ist sorgfältig modelliert, während die Haare nur flüchtig skizziert sind. Neben den Gesichtszügen hat Baldung auch etwas von der kindlichen Persönlichkeit seines Modells eingefangen.
Standbein-Spielbein-Motiv
Baldungs Zeichnung zeigt den Unterkörper eines männlichen Modells mit gestrecktem rechten und stark auswärts gedrehtem linken Bein. Diese Pose variiert ein seit der Antike bekanntes Standmotiv, den sogenannten Kontrapost. Es zeigt die Gewichtsverlagerung des Menschen zwischen Stand- und Spielbein: Das Standbein ist ausgestreckt und trägt das Gewicht, das Spielbein ist angewinkelt und entlastet.
Auf dieses Motiv griff Baldung in seinen Zeichnungen, Gemälden und Druckgrafiken immer wieder zurück. Dabei verwendete er es in unterschiedlichsten thematischen Zusammenhängen und mit verschiedenen Absichten:
Kleine Pflanzenkunde
Baldungs zahlreiche akkurate Zeichnungen von Pflanzen lassen neben dem künstlerischen auch ein botanisches Interesse erkennen. Dies zeigen die Darstellungen einer Akelei und einiger Weinblätter. Beide Gewächse werden in der Kunst als christliche Symbole verwendet.
Die Akelei
Die Akeleiblüte gilt als Attribut Marias und steht für Demut.
Wilder Wein
Der Wein war ein Sinnbild Christi und stand für den Wein des Abendmahls. Weinblätter galten auch als Glücks- oder Fruchtbarkeitssymbol und sind häufig Attribut des antiken Weingottes Bacchus (griechisch: Dionysos).
Bad Hair Day?
Das Brustbild eines Bürgers mittleren Alters mit Kinnbart entstand vermutlich als Vorbereitung für ein gemaltes Porträt. Der Künstler zeichnete wohl nach dem lebenden Modell. Dies legt auch die wenig repräsentative Frisur des Mannes mit zerzaustem Haar nahe.
Vorbereitende Skizzen
Die beiden Motive auf dieser Zeichnung entstanden wahrscheinlich als Vorzeichnungen für ein Gemälde: Das unbekannte Wappen, das drei Erbsenschoten mit zwei Keimblättern auf einem Dreiberg zeigt, verweist wohl auf den Auftraggeber. Die zum Gebet gefalteten Männerhände lassen vermuten, dass die Figur im Gemälde als Stifter in Anbetung gezeigt werden sollte.
Exotischer Vogel
Baldungs Zeichnung eines Edelsittiches gehört zu den ältesten Darstellungen eines solchen Vogels in der Kunstgeschichte. Sie entstand bereits kurz nach der Ankunft der ersten Sittiche in Europa. Wo und wann Baldung den Vogel sah, ist ungewiss. Interessant sind jedoch die Farbangaben, die Baldung den verschiedenen Bereichen des Gefieders zuordnete.
Diese und andere Zeichnungen von exotischen Vögeln verwendete Baldung später für seine Gemälde Maria mit Kind und Papageien und Die sieben Lebensalter der Frau.
Eine Silberstiftzeichnung aus Kopenhagen von Kopf und Oberkörper eines Edelsittichs weist starke Ähnlichkeiten mit der Karlsruher Darstellung auf. Daher liegt die Vermutung nahe, dass Baldung denselben Sittich mehrfach zeichnete.
Straßburg zur Zeit Baldungs
In den 1520er Jahren bestieg Baldung den Turm des Straßburger Münsters, um von dort verschiedene Stadtansichten festzuhalten. Diese Zeichnung eröffnet einen Blick nach Norden auf das Stadtviertel, in dem der Künstler selbst lebte. Es zählte in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts zu den vornehmsten Wohngegenden der Stadt. In Baldungs Straße, der Brandgasse – heute „Rue Brulée“ – lebten zahlreiche hochrangige Persönlichkeiten.
Eine kolorierte Federzeichnung
Die nachträglich eingefärbte Zeichnung stammt vermutlich nicht von Baldungs Hand. Das Blatt zeigt die Stadtmauer Straßburgs mit dem Burgtor und dem Dachreiter der Kirche Jung St. Peter.
Das Kastell St. Nikolaus auf Rhodos
Im Karlsruher Skizzenbuch finden sich zahlreiche Ansichten von Rhodos, die Baldung im Kontext der zeitpolitischen Ereignisse erstellte. Rhodos – seit 1309 im Besitz des Johanniterordens – wurde am 22. Dezember 1522 nach sechsmonatiger Belagerung durch die osmanische Flotte an den Sultan Süleyman I., genannt der Prächtige, übergeben. Wahrscheinlich hatte die Straßburger Johanniterkommende Baldung mit einem Holzschnitt-Prospekt der berühmten Wehrbauten von Rhodos beauftragt und ihm topografisches Anschauungsmaterial zur Verfügung gestellt.
Handschriftliche Notiz
Baldung fügte eigenhändig die Inschrift „Caste s nicolay“ hinzu, welche die Festung St. Nikolaus auf Rhodos bezeichnet.
Eine Festung in zahlreichen Ansichten
Baldungs topografische Aufnahmen von Rhodos und der dortigen Festung St. Nikolaus entstanden nach fremden Vorlagen und unterscheiden sich deutlich von anderen zeitgenössischen Ansichten. Auch in seinem Œuvre, das kein besonderes Interesse an Architektur erkennen lässt, sind diese topografischen Darstellungen einzigartig.
Eine Pferdeskizze nach der Natur
Das Pferd gehört zu den häufigsten Tiermotiven in Baldungs Werk. Auch im Skizzenbuch findet sich eine größere Anzahl an Zeichnungen und Studien des Tieres. In dieser rasch ausgeführten Silberstiftzeichnung hielt Baldung die Ohren des Pferdes in mehreren, übereinander gelagerten Ansichten fest, was vermutlich der Bewegung seines Modells geschuldet war. Die Flüchtigkeit äußert sich in den zaghaften, suchenden Strichen.
Eine idealisierte Pferdedarstellung
Obwohl Baldung hier offensichtlich dasselbe Tier darstellte wie in der vorangehenden, rasch ausgeführten Skizze, ging er zeichnerisch ganz anders vor: In dieser sorgsam zu Papier gebrachten Darstellung sind alle Striche mit Bedacht gesetzt, um den Kopf des Tieres und dessen Ausdruck präzise wiederzugeben. Offensichtlich ist hier eine weitere, idealisierte Ausarbeitung des Motivs zu sehen.
Einige Detailstudien eines Pferdes
Das vorliegende Blatt zeigt Einzelansichten verschiedener Körperteile eines Pferdes: Kopf und Hals im Profil, Brustkorb und Beinansatz von vorne. Der Künstler hat das Blatt zum Zeichnen mehrfach gedreht. Dabei ließ er die Skizzen jedoch unvollendet. Hatte er das Interesse am Motiv verloren? Wurde er gestört? Zahlreiche Fragen ergeben sich, die bis heute unbeantwortet bleiben. Da Papier kostbar war, musste der verfügbare Platz in jedem Fall gut ausgenutzt werden.
Blick in die Stadt
Im Gegensatz zu Baldungs Ansicht von Straßburg, in welcher der Künstler vom Münsterturm auf die Stadt blickt, führt der Blick hier in die Stadt hinein. Es handelt sich um eine Ansicht von Rhodos, die nicht nur die Wahrzeichen der Stadt – Konventskirche St. Johan oder die Via del Mercato vecchio – sondern auch die Häuser der Bevölkerung mit ihren flach gedeckten Dächern zeigt. Nur flüchtig nach einer fremden Vorlage gezeichnet, schachtelt Baldung die Häuschen schematisch hintereinander entlang von Straßenzügen.
Sklavengaleere
Bei diesem Schiff handelt es sich um eine Dreimastergaleere, die im 16. Jahrhundert als Sklavenschiff eingesetzt wurde. Wie die anderen Schiffszeichnungen im Karlsruher Skizzenbuch wird dieses Blatt den Ansichten von Rhodos zugeordnet.
Plissierte Eleganz
Die stark verblasste Zeichnung eröffnet erst unter ultraviolettem Licht ihre ganze Ausdruckskraft und Raffinesse: Mit schneller, geübter Hand bringt Baldung ein fein gefälteltes Frauenkleid mit Gürtel zu Papier.
Die Kornblume
Sein ganzes Schaffen hindurch beschäftigte sich Baldung intensiv mit Naturstudien. Die Darstellung einer Kornblume gehört zu einer Gruppe von Zeichnungen, die er als Fundus zur späteren Verwendung anlegte. Die verschiedenen Ansichten der Pflanze verweisen auf ein präzises Studium aus mehreren Blickwinkeln. Rechts vermerkte Baldung den Namen der Blume: „Blaww korn Blum“.
Zwei Männer im Profil
Baldung zeigte sich zeitlebens an Physiognomien interessiert. Dies demonstrieren auch die hintereinander angeordneten Männerköpfe im Profil. Es sind keine Porträts, sondern Typen. In diesem Fall studierte der Künstler die markanten Züge von groben und wulstigen Gesichtern. Wegen ihres geradezu boshaften Ausdrucks wurden die Männerköpfe mit der Darstellung der Schergen auf Baldungs Gemälde der Stephanusmarter in Verbindung gebracht (heute in Straßburg).
Die Profilköpfe zweier Männer mit gegensätzlicher Gesichtsbildung entstanden aus demselben Interesse und vermutlich mit der Absicht, sie in Bildentwürfen weiterzuverwenden.
Ein giftiges Kraut
In die Reihe der botanischen Studien Baldungs fügt sich auch die giftige Weißwurz ein. Baldung kam vermutlich durch den Botaniker Otto Brunfels, der in den 1530er Jahren ein „Herbarium“ veröffentlichte, erstmals mit derartigen Zeichnungen in Berührung.
Inspiriert von dieser Zeichnung in Baldungs Karlsruher Skizzenbuch entwickelte der zeitgenössische Künstler Marcel van Eeden für die Begleitausstellung Das Karlsruher Skizzenbuch | The Karlsruhe Sketchbook eine Serie von 25 Zeichnungen, die eine geheimnisvolle Geschichte erzählen.
Die Akelei
Mittig auf dem Blatt erscheint die detailreiche Zeichnung einer Akelei. Diese Pflanze zählt in der christlichen Kunst – neben der Rose und der Lilie – zu den Attributen Mariens.
Mit Albrecht Dürer gehörte Hans Baldung Grien zu den ersten Künstlern, die der Akelei eine eigene Studie widmeten.
Derartige Pflanzenstudien wurden als Vorlagen für unterschiedliche Gemälde verwendet: Sehr zart und leicht zu übersehen erhebt sich beispielsweise zu Füßen des Großen heiligen Sebastian eine einzige Akeleiblüte aus dem Gras empor.
Eine Hummel
Die vermutlich nachträglich zur Pflanze hinzugefügte Hummel erweckt den Eindruck, als habe Baldung in seiner Pflanzenstudie einen Moment des Naturerlebnisses zeichnerisch festgehalten. Baldung beschriftete das Insekt mit den Farbangaben „grow“ und „gel“, um die grau-gelbe Farbigkeit zu notieren.
Ein ungewöhnliches Motiv
Die Studie der kleinen Kinderpfeife – ein selten dargestelltes Instrument – taucht im Werk Baldungs drei Mal auf. Neben dem Karlsruher Blatt existieren zwei weitere Zeichnungen in Kopenhagen. Auf einer hält ein Kind dieses Spielzeug in der Hand. So konnte dieses ungewöhnliche Motiv, das vormals auch als ein Köcher interpretiert wurde, identifiziert werden.
Die blühende Waldbeere
Die sorgfältig ausgeführte Pflanzenstudie gibt mit geradezu wissenschaftlicher Genauigkeit eine blühende Waldbeere wieder. Im christlichen Kontext gilt die Waldbeere als Sinnbild für Rechtschaffenheit und ist ein Attribut Mariens.
In Baldungs Gemälden kommt die Pflanze häufig im Bildvordergrund zu Füßen der Figuren vor.
Heimisches Kraut
Das Gänseblümchen und zahlreiche weitere heimische Pflanzen wurden im Karlsruher Skizzenbuch äußerst sorgfältig und mit einer Exaktheit geschildert, die im 16. Jahrhundert fast nur wissenschaftlichen Studien vorbehalten war. Baldung beschriftete die Blüten mit Farbangaben. Auf diese konnte er bei einer späteren Verwendung der Zeichnung zurückgreifen.
Das Gänseblümchen und andere heimische Pflanzen wurden zu Baldungs Zeit häufig für den Bildvordergrund von Gemälden genutzt, wo sie oftmals symbolische Bedeutungen annahmen.
Das Gänseblümchen gilt als eine Marienpflanze und kann auf die Erlösung und das ewige Leben verweisen.
Wein, Weintrauben, Weinranken und Weinstock
Weinpflanzen sind die Gewächse, die im Karlsruher Skizzenbuch am häufigsten vorkommen. Die Gründe dafür sind vielseitig: botanisches Interesse, die mannigfaltige Symbolik, die Verwendung als Vorlagenmaterial.
Das Weinlaub ist Attribut des antiken Weingottes Dionysos bzw. Bacchus, die Traube ein altes Fruchtbarkeitssymbol und im Christentum gilt sie auch als Symbol der Eucharistie. Der Weinstock kann für den göttlichen Segen stehen und ist ein Sinnbild der Fülle und des Lebens. Maria oder das Jesuskind mit einer Weinrebe oder Traube sind daher beliebte Bildmotive.
In Baldungs Werken findet sich die Weinpflanze mit verschiedenen Bedeutungen wieder:
- als Attribut des Trunkenen Bacchus mit spielenden Putten
- mit ornamentalem Charakter in einer Randzeichnung im Gebetbuch Kaiser Maximilians I.
- als Symbol des Lebens in Die sieben Lebensalter der Frau
- als Symbol der Mäßigung im Bildnis des Kanonikers Ambrosius Volmar Keller
- als Symbol der Eucharistie in Maria mit der Weintraube
Die Ranke
Der Weinstock gilt auch als Symbol für die Kardinaltugend der Mäßigung. In ähnlichem Zusammenhang taucht die Ranke am linken Rand des Bildnisses des Kanonikers Ambrosius Volmar Kellers auf.
Körperstudien
In zahlreichen Armstudien hielt der Künstler verschiedene Hand- und Griffhaltungen fest. Ob es sich um weibliche oder männliche Arme handelt, ist ungewiss.
Sie stellen Vorarbeiten für diverse Gemälde oder den Holzschnitt Adam und Eva dar.
Faszination des Exotischen
Baldungs zahlreiche Studien von Papageien und Sittichen zeigen seine Faszination für diese exotischen Vögel, die ihn mit ihrer bunten Farbgebung beeindruckten. Viele Beschriftungen an Rücken, Brust, Fuß und Gefieder geben Aufschluss über die Farbigkeit der Tiere. Baldungs Papageien-Zeichnungen gehören zu den ersten ihrer Art in der Kunstgeschichte. Sie sind unmittelbar nach der Ankunft der ersten Exemplare dieser Vögel in Europa entstanden.
Zwei besonders prächtige Papageien finden sich in Die sieben Lebensalter der Frau und in der Maria mit Kind und Papageien.
Der Ziegenbock
Während der Ziegenbock in der Antike noch ein Sinnbild der Fruchtbarkeit war, galt er zu Baldungs Zeit als Zeichen der ungezügelten Triebhaftigkeit.
In dieser negativen Bedeutung konnte das Tier auch ein Symbol des Teufels sein, mit dem die Hexen im Bunde standen. Dieser Bedeutung folgend, taucht der Ziegenbock in zahlreichen Hexendarstellungen Baldungs und seiner Zeitgenossen auf, so auch bei Albrecht Dürer.
Zeichnungen von fremder Hand
Das Bildnis einer Frau mit hochgestelltem Rückenkragen stammt vermutlich – ebenso wie die Lindenblätter in der oberen Bildhälfte – nicht von Baldungs Hand. Das Skizzenbuch ist demnach auch in den nachfolgenden Jahrhunderten von einigen „Leser*innen“ für ihre eigenen Zeichnungen genutzt worden – offenbar mit dem historischen Silberstift.
Der Weißtorturm
Auf der flüchtigen Skizze ist der sogenannte Weißtorturm in Straßburg zu sehen. Baldung hat den ab 1533 erbauten Turm in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts festgehalten. Die Zeichnung zeigt den Blick auf den Turm von der Stadtseite aus. Das Blatt ist heute ein bedeutendes zeithistorisches Dokument, da der Turm 1871 abgerissen wurde.
Exotische Tiere
Seit dem 15. Jahrhundert wurden exotische Tiere per Schiff aus Übersee nach Europa gebracht. Papageien, Affen, Kamele und Löwen wurden in Käfigen zur Schau gestellt oder in wandernden Tierschauen präsentiert. Ob Baldung das hier gezeichnete und zu seiner Zeit durchaus exotische Kamel jemals selbst gesehen hat oder, wie damals üblich, nach künstlerischen Vorlagen gestaltete, ist ungewiss.
In Baldungs Gemälde Die Erschaffung der Menschen und Tiere taucht das zweihöckrige Kamel am oberen Bildrand nahe des Horizontes auf.
Gefährliche Exoten
Die flüchtige Zeichnung einer liegenden Löwin ist vermutlich bei derselben Gelegenheit entstanden wie die des Kamels.
Entwurf für ein Glasgemälde
Bei dieser Zeichnung handelt es sich um einen sogenannten Scheibenriss, um einen zeichnerischen Entwurf für ein Glasgemälde. In die nur flüchtig skizzierte Rundbogendarstellung hat der Künstler zahlreiche Vermerke eingefügt. So notierte er die vorgesehenen Farben der verschiedenen architektonischen Elemente.
Hauptmotiv des Scheibenrisses ist der heilige Michael mit dem Drachen, der im Zentrum des Rundbogens zu sehen ist. Der Offenbarung des Johannes zufolge ist Michael der Erzengel, der den Drachen als Symbol der gottfeindlichen Mächte in den Abgrund stürzt.
Dies ist der einzige Scheibenriss im Karlsruher Skizzenbuch, jedoch ist eine große Anzahl an Visierungen und Glasgemälden von Baldungs Hand erhalten, die seine Bedeutung in diesem Bereich belegen.
Rang und Namen
Das im Scheibenriss skizzierte Wappen wurde als das Wappen des Reichsvizekanzlers Nicolaus Ziegler – kaiserlicher Secretarius, Landvogt in Ober- und Niederschwaben, Herr zu Barr im Elsass – identifiziert.
Nicolaus Kniebs
Das Bildnis des Straßburger Ammeisters Nicolaus Kniebs entstand in Baldungs letztem Lebensjahr – der Künstler starb im September 1545. Die nach dem Modell angefertigte Studie diente vermutlich als Vorlage für ein Porträt. Im Unterschied zu den übrigen Bildnissen verwendete Baldung für diese Zeichnung Pergament als Untergrund. Die gröbere Grundierung unterscheidet sich deutlich von derjenigen auf Papier.
Baldungs Monogramm
Über dem Bildnis befindet sich das Monogramm des Künstlers. Etwas später fügte Baldung die Beischrift „1545 Ao etatis sue Lxvi“ hinzu: „Im Jahr 1545 war sein Alter 66 Jahre“
Weitere Inschriften
Sebald Büheler, der Kompilator und spätere Besitzer des Karlsruher Skizzenbuches, fügte mit Silberstift die Inschrift „H. Nicolaus Hugo Knieps Alt Ameister“ hinzu sowie mit Tinte: „Herr Nicolaus Hugo Knieps der Herr Ammeyster ETATIS SUE 66 (66 Jahre alt) 1545 HB“ (monogrammiert).
Der Münsterprediger Caspar Hedio
Die detaillierte und lebensnahe Zeichnung zeigt den Straßburger Münsterprediger Caspar Hedio im Dreiviertelporträt. Die Studie entstand nach dem lebenden Modell und diente 1543 als Vorlage für einen Holzschnitt. Aufgrund der Technik sind die Gesichtszüge Hedios dort schärfer und stärker stilisiert wiedergegeben.
Caspar Hedio, der 1494 in Ettlingen geboren wurde, war eine wichtige Persönlichkeit der Straßburger Reformation. Als Historiker stellte er auch eine Weltchronik zusammen, die seinerzeit große Beachtung fand. Der Holzschnitt, dessen Grundlage die Porträtzeichnung bildete, erschien in der von Hedio in Straßburg publizierten Schrift „Eine uszerlesene Chronik vom Anfang der Welt bis auff das iar 1543“.
Künstlersignatur
Das beschädigte Monogramm und die Jahreszahl 1543 stammen von der Hand des Künstlers.
Ergänzungen des Besitzers
Wie bei zahlreichen anderen Studien fügte Sebald Büheler auch bei diesem Bildnis Anmerkungen und Kommentare hinzu, so zum Beispiel die Inschrift mit Silberstift „D.Caspar Hedion predikant im Münster alhie“ oder später mit Tinte „D. Caspar Hedion predigant Im Münster“.
Baldungs Faszination für Farben
Baldung ergänzte seine Zeichnung mit Notizen zur Farbgebung des Papageis:
Am Kopf: grien = grün
oberhalb des Schnabels: wis = weiß
am Hals: schwartz = schwarz
im Nacken: bl = blau
im Gefieder des Halses: gold
im Gefieder der Brust: gold
darunter: gel = gelb
im Gefieder des Flügels: liech blo = hellblau
Von anderer Hand
Nicht alle Darstellungen im Karlsruher Skizzenbuch können mit Sicherheit Baldung zugeschrieben werden. Einige – wie zum Beispiel der hier gezeigte Profilkopf eines Mannes mit langem Bart und langen Haaren – stammen aus späterer Zeit von anderer Hand. Die Zeichnung wurde vermutlich Mitte des 19. Jahrhunderts hinzugefügt.
Architekturzeichnungen
Die zahlreichen Architekturzeichnungen Baldungs belegen nicht nur, dass er Skizzenbücher auf seinen verschiedenen Reisen mit sich führte, sondern auch, dass er die besuchten Orte dokumentarisch festhielt.
Die hier dargestellte Abteikirche Maursmünster zeigt das Gebäude von Südwesten. An den Westbau schließt sich das gotische Langhaus an. Die Zeichnung des Turmes rechts neben der Studie wurde vermutlich später hinzugefügt.
Die Abteikirche Maursmünster wurde während des Bauernkrieges beschädigt und 1542 wieder weitgehend hergestellt. Der damals stattfindende Wiederaufbau ist auch in Baldungs Zeichnung sichtbar: Die Treppentürme sind noch ungedeckt.
Atmosphärische Aufnahmen
Bei den auf dieser Doppelseite dargestellten Burgen handelt es sich vermutlich um die Dagsburg. Die Zeichnungen sind nur schemenhaft und flüchtig ausgeführt. Dieser eher atmosphärische Stil kennzeichnet ein neues Interesse, das Baldung in seinem Spätwerk der Landschaftsdarstellung entgegenbrachte.
Bergkonturen
Erst bei genauem Hinsehen erschließt sich das hier von Baldung skizzierte Motiv: Es handelt sich um die Silhouette einer Berglandschaft – auf dem Kopf stehend. Der Künstler fügte Dutzende von Farbangaben für die verschiedenen Bergschichten ein:
w = weiß
fyelnegelfar = veilchenfarben
grie = grün
gel-grien = gelbgrün
schögrie = schöngrün
rot
golfar = goldfarben
bru = braun
gro = grau
grogrie = graugrün
gelgrie = gelbgrün
schwitzergrie = Schweizergrün
jegergrie = Jägergrün
dunkel grien = dunkelgrün
libfar = leibfarben = inkarnat
Unübersichtlich wird das Blatt aber erst aufgrund der später hinzugefügten Zeichnungen: ein nackter betender Mann mit Mantel, wohl aus dem 17. Jahrhundert, oder der Kopf eines Mönches aus dem 19. Jahrhundert, dazu zahlreiche Inschriften und Kritzeleien.
Unverwechselbare Handschrift
Unverkennbar erscheint links oben eine Inschrift Sebald Bühelers: „sindt 75 bletter“. Daraus geht hervor, dass seit 1582 – in diesem Jahr ließ Büheler das Buch binden – keine Verluste entstanden sind.
Leere Seiten
Das Karlsruher Skizzenbuch enthält mehr als 14 leere Seiten. Die originale Reihenfolge der Blätter und die von Sebald Büheler durchgeführte Paginierung – Seitennummerierung des Skizzenbuches – blieb erhalten.
Karlsruher Skizzenbuch
Das Skizzenbuch gehört mit über 100 Silberstiftzeichnungen zu den außergewöhnlichsten Werken Hans Baldung Griens. Der frühere Besitzer Sebald Büheler, der das Buch vermutlich aus dem Nachlass seines Schwagers und Baldung-Schülers Nikolaus Kremer erhielt, ließ es 1582 aus mehreren Fragmenten zu einem Buch binden. Die Entstehungszeit der Blätter lässt sich dank eigenhändiger Datierungen des Künstlers und zahlreicher Bezüge zu Gemälden und Druckgrafiken zwischen 1511 und 1545 eingrenzen.
Baldung hatte ein ausgeprägtes Interesse an seiner Umwelt und hielt seine Eindrücke in einer besonderen Unmittelbarkeit fest. Motivisch widmet sich das „Vorratsbüchlein“ vielseitigen Themen: Porträts, Landschaften, Stadtansichten, Tieren, Pflanzen und Gegenständen.
Im 15. und 16. Jahrhundert waren Silberstifte für das Zeichnen in Skizzenbüchern beliebt. Das trockene Zeichenmittel konnte bequem transportiert und jederzeit unterwegs genutzt werden – selbst ein Anspitzen des Stiftes war nicht nötig. Beim Karlsruher Skizzenbuch diente der noch heute erhaltene historische Silberstift, durch zwei Ösen gezogen, sogar als Verschluss.
Das Karlsruher Skizzenbuch ist ein Zeugnis für das Sammeln und systematische Ordnen des zeichnerischen Werkes Baldungs sowie für die Entwicklung seines zeichnerischen Stiles.