Die Orangerie im Wandel: Von der Pflanzenhalle zum Ausstellungsraum der Kunsthalle
Der Karlsruher Architekturhistoriker Dr. Gerhard Kabierske, der Orangerie seit Kindheitstagen verbunden, blickt im Gespräch mit Mara-Lisa Kinne, Referentin des Direktors der Kunsthalle, auf die bewegte Geschichte des Gebäudes.
Mit der Wiedereröffnung der Orangerie am 29. November 2025 erhält die Kunsthalle Karlsruhe nach einer Teilsanierung einen ihrer zentralen Ausstellungsorte zurück. Den Auftakt bildet die Ausstellung „Archistories. Architektur in der Kunst“, die den sanierten Bau erstmals wieder mit Kunst belebt.
Aus persönlicher, bau- und kunsthistorischer Perspektive erzählt der Karlsruher Architekturhistoriker, Dr. Gerhard Kabierske, von der Entstehung der Orangerie, ihren architektonischen Besonderheiten und ihrer Bedeutung für die Stadt.
Die von dem Architekten Heinrich Hübsch erbaute Orangerie wurde 1857 eröffnet. Welche Funktion hatte dieses Gebäude ursprünglich?
Zunächst einmal war es ein Funktionsbau – ein Winterquartier für Kübelpflanzen, die im Botanischen Garten im Sommer im Freien standen. Das war die klassische Aufgabe einer Orangerie: ein Bautypus, der seit dem 16. Jahrhundert im Zusammenhang mit Schlossanlagen eine wichtige Rolle spielte. Für die Bedeutung eines Hofes war die Pflanzensammlung, insbesondere von Südfrüchten und Palmen, ein Zeichen der Repräsentation und des Wohlstands. Eine Orangerie gehörte daher fest zu einer Residenzstadt, also einer Hauptstadt, dazu.
Wurde die Karlsruher Orangerie ausschließlich für Pflanzen genutzt?
Orangerien hatten immer auch einen gewissen Repräsentationswert. Im Winter konnte der Hof seinen Gästen die Sammlung der Pflanzen vorführen. Durch die großen Glasscheiben sah man von außen, wie reich der Bestand war. Das kann man heute beispielsweise noch gut in Schwetzingen nachvollziehen, wo die Orangerie aus dem 18. Jahrhundert bis heute genutzt wird.
Mitte des 19. Jahrhunderts gewann der gesellschaftliche Aspekt am Hof zunehmend an Bedeutung. Der Wintergarten wurde damit immer wichtiger und zum Treffpunkt der höfischen Gesellschaft. Auch die Karlsruher Orangerie diente von Anfang an nicht nur funktionalen Zwecken, sondern hatte auch einen repräsentativen Charakter.
Die Rotunde mit der Kuppel – als Gegenstück zur langen Pflanzenhalle – war mit dekorativen Wandmalereien geschmückt und machte einen sehr festlichen Eindruck. Es gab Schalenbrunnen im Inneren und der Raum war beheizt, sodass er auch im Winter für Empfänge genutzt werden konnte.
Wie entwickelte sich die Nutzung hin zu einem Ausstellungsort der Kunsthalle?
Schon früh kam eine weitere Nutzung hinzu: Karlsruhe hatte damals keine Ausstellungshalle im eigentlichen Sinn. Im Sommer stand die Orangerie leer und schon in den 1860er und 1870er Jahren fanden dort Gewerbeausstellungen statt, die vom Hof unterstützt wurden. Sie präsentierten die Leistungen des badischen Gewerbes und Kunstgewerbes und zogen Besucher*innen aus dem ganzen Land an.
Später kamen Kunstausstellungen hinzu: Das Kunstgewerbemuseum unter Hermann Götz zeigte dort bedeutende Ausstellungen, etwa zur Kunst bemalter Fächer. Diese Sommerausstellungen waren regelrechte Großereignisse. Schon damals entstand eine enge Verbindung zwischen der Kunsthalle und der Orangerie, denn der gegenseitige Nutzen von Museum und Ausstellungshalle war offensichtlich. 1910 etwa richtete der Karlsruher Architektenverein eine Schau zur neuen Karlsruher Architektur aus, bei der verschiedene Büros eigens gestaltete Einbauten präsentierten.
Mit dem Ende der Monarchie wurde der Botanische Garten stark reduziert. Die großen Kübelpflanzen gingen an andere Gärten, etwa nach Heidelberg. In den 1930er Jahren wurde die Orangerie sogar zeitweise als Garage genutzt. Schließlich übergab man den Bau dauerhaft der Kunsthalle, die dort in den späten 1920er und frühen 1930er Jahren ihre Gipsabguss-Sammlung unterbrachte.
Später, ab etwa 1938, sollte in der Orangerie die Malerei des 20. Jahrhunderts gezeigt werden, vor allem badische Landschaftsmalerei der sogenannten Karlsruher Schule. Doch mit der Auslagerung der Kunstwerke im Vorfeld des Zweiten Weltkriegs endete diese Nutzung sehr bald wieder.
Mit den unterschiedlichen Nutzungen gingen teils auch bauliche Veränderungen einher. Was ist aus bauhistorischer Sicht besonders prägend?
Das Entscheidende ist der Repräsentationsbau im sogenannten Rundbogenstil von Heinrich Hübsch, der typisch für die Mitte des 19. Jahrhunderts ist. Die repräsentativen Außenmauern mit den großen Fenstern waren eher ungewöhnlich für eine klassische Orangerie. Ursprünglich hatte das Gebäude ein tonnenförmiges Glasdach, durch das das Licht von oben in die Halle fiel. Auch die Kuppel war vollständig verglast – ein Raumeindruck, den man sich heute kaum mehr vorstellen kann: massive Wände und darüber der freie Blick in den Himmel.
Diese Konstruktion war jedoch zu experimentell. Schon nach zehn Jahren war das Dach marode. In den frühen 1870er Jahren wurden die gläserne Tonne und die Kuppel durch Schieferdächer ersetzt, was die Lichtverhältnisse im Inneren stark veränderte.
Besonders war auch die äußere Gestaltung: die Verkleidung mit verschiedenen Steinmaterialien nach italienischem Vorbild und die ornamentale Terrakotta-Dekoration. Im Inneren setzte sich dieser Schmuck durch Wandmalerei fort und es bestand eine gestalterische Einheit zwischen Innen und Außen.
Ab den späten 1920er Jahren, als die Gipsabguss-Sammlung einzog, wurde die Halle einheitlich dunkel gestrichen, damit sich die weißen Gipse besser abhoben. Der Kuppelraum verlor durch Kriegszerstörungen später seinen ursprünglichen Putz und die dekorativen Malereien.
Inwieweit war die Orangerie vom Zweiten Weltkrieg betroffen?
Sie war komplett ausgebrannt, die Dächer zerstört, der Bau stark beschädigt. Doch schon Ende der 1940er Jahre begann man mit dem Wiederaufbau im Hinblick auf die Kunsthalle.
Das Land setzte früh auf eine Baupolitik des Wiederaufbaus mit symbolischen Leuchttürmen, darunter etwa der Schlossturm, der bereits 1950 wiedererrichtet wurde. Man wollte die bauliche Überlieferung bewahren, wenn auch mit starken Vereinfachungen und knappen Mitteln. Vor dem Wiederaufbau musste der gesamte Schutt beseitigt werden. Der Schlossbereich und die westliche Innenstadt waren großflächig zerstört. Karlsruhe war stolz auf seine Trümmerräumung: Eine dampfbetriebene Lok transportierte auf einem Gleissystem den Schutt in Loren durch den Schlossplatz Richtung Rheinhafen.
In Erzählungen älterer Karlsruher*innen spielt diese sogenannte Schuttbahn eine besondere Rolle – sie fuhr sogar durch die Orangerie hindurch, was für viele ein kurioses Erlebnis war. Die letzte Fahrt dieser Bahn, circa1948/49, wurde feierlich als Symbol des Aufbruchs nach dem Krieg inszeniert. Fotografien aus dieser Zeit zeigen die enttrümmerten Ruinen des Schlosses und der Orangerie – leer, fast wie antike Tempelanlagen. Erich Kästner beschrieb ein ähnliches Bild der enttrümmerten Innenstadt von Darmstadt als „skurril und surreal“. Diese Wirkung kann man sich heute kaum mehr vorstellen.
Sie sind in Karlsruhe aufgewachsen. Welche persönlichen Erinnerungen verbinden Sie mit der Orangerie?
Ich bin ganz in der Nähe aufgewachsen, am Zirkel. Der Schlossplatz, der Schlossgarten, der Fasanengarten und vor allem der Botanische Garten waren durch familiäre Spaziergänge fest in meiner Kindheit verankert. Ich erinnere mich gut an die Veränderungen in den 1960er Jahren, insbesondere als der Bereich 1967 für die Bundesgartenschau, ein großes Ereignis mit Millionen Besucher*innen, umgestaltet wurde.
Für mich persönlich war die Orangerie mit der Sammlung der Kunst des 20. Jahrhunderts ein Schlüsselerlebnis. Aus einem nicht kunstaffinen Elternhaus kommend habe ich dort als Schüler meine Begeisterung für Kunst entdeckt. Mit 14 oder 15 bin ich oft alleine in die Kunsthalle gegangen und habe sehr bewusst die damaligen Ankäufe miterlebt – etwa unter den Direktoren Jan Lauts und Horst Vey in den 1970er Jahren.
Dass dort plötzlich Werke von Wassily Kandinsky, Max Ernst oder Fernand Léger zu sehen waren, hat mich nachhaltig geprägt. Die Orangerie, mehr noch als die Sammlung alter Meister, hat mich zur Kunstgeschichte geführt – und letztlich auch zu meinem Studium. Als ich nun gelesen habe, dass Herr Bußmann ein Werk von Pierre Soulages angekauft hat, hat mich das sehr gefreut. Die französische Moderne spielte für die Kunsthalle schon früher eine große Rolle. Es ist schön zu sehen, dass sich diese Linie bis heute fortsetzt.