Prof. Dr. Holger Jacob-Friesen, 4. Juni 2022

10 Gründe, Gemälde Alter Meister zu lieben

Jahrhunderte alt und doch oft erstaunlich aktuell und faszinierend: Sammlungsleiter Prof. Dr. Holger Jacob-Friesen über die Anziehungskraft Alter Meister.

…, weil sie uns vertraut scheinen.

So etwa, wenn sie Erfolg und Elend, Glück und Verzweiflung, Begehren und Abscheu schildern. Dann kann einen auch ein 400 oder sogar 500 Jahre altes Bild direkt und ohne alle Erklärung ansprechen.

Ausschnitt des Gemäldes "Ungleiches Liebespaar" von Hans Baldung, auf dem ein älterer Mann und eine junge Frau zu sehen sind.
Ungleiches Liebespaar: Hans Baldung, 1528
Der Ausschnitt des Gemäldes zeigt einen lachenden Zecher mit Weinglas, der lächelt und zuprostet.
Lachender Zecher mit Weinglas: Gerard von Honthorst – Umkreis, um 1620

…, weil sie uns fremd sind.

Sie öffnen Fenster in eine Welt, in der es Herrscher von Gottes Gnaden, Ritter in goldener Rüstung, Frauen mit gewaltigen Reifröcken und Bauern ohne Traktor gab. Sie gewähren Ausblicke in Zeiten, die bisweilen märchenhaft wirken, ohne es gewesen zu sein.

Ausschnitt eines Gemäldes von Hans Baldung, auf dem unter anderem Ritter in goldener Rüstung zu sehen sind.
Markgraf Christoph I. von Baden mit seiner Familie in Anbetung vor der Heiligen Anna Selbdritt: Hans Baldung, um 1510
Ausschnitt des Gemäldes "Elisabeth von Frankreich" von Frans Pourbus, auf dem man den Reifrock der Porträtierten sieht.
Elisabeth von Frankreich: Frans Pourbus, 1616
Ausschnitt des Gemüsestilllebens von Frans Synders, auf dem man im Hintergrund Bauern auf dem Feld erkennen kann.
Gemüsestillleben: Frans Snyders, um 1610

…, weil sie Malkultur in höchster Vollendung zeigen.

Durch genaue Beobachtung, ausgefeilte Technik und geduldige Hingabe entstanden in alter Zeit Gemälde von verblüffender Lebendigkeit, die wir so weder in der modernen Kunst noch in der Fotografie finden.

Ausschnitt des Gemäldes von Clara Peeters, auf dem man Blumen und Goldpokale erkennen kann.
Stilleben mit Blumen und Goldpokalen: Clara Peeters, 1612
Ausschnitt des Augenbetrüger-Stilllebens von Samuel van Hoogstraten mit vielerlei persönlicher Gegenstände.
Augenbetrüger-Stillleben: Samuel van Hoogstraten, 1666/78
Das Stillleben zeigt vor allem Jagdgeräte und ein totes Rebhuhn.
Stillleben mit Jagdgeräten und totem Rebhuhn: Willem van Aelst, 1668

…, weil sie auch ganz einfach sein können.

Drei Pfirsiche oder ein einzelner Baum reichen, um die Schönheit der Natur zu empfinden und über die Vergänglichkeit des Lebens nachzudenken.

Das Gemälde zeigt die schlichte Ansicht eines Stilllebens mit Pfirsichen und Schmetterling vor schwarzem Hintergrund.
Stillleben mit Pfirsichen und Schmetterling: Adriaen Coorte, um 1693/95
Abbildung eines Gemäldes von einer Waldlandschaft mit einem vom Blitz getroffenen Baum am Bildrand.
Waldlandschaft mit einer vom Blitz getroffenen Buche: Jan van Kessel, 1669

…, weil sie die sichtbare Wirklichkeit auf verdichtete Weise darstellen.

So vereint etwa ein barockes Blumenstillleben Blüten unterschiedlicher Jahreszeiten. Es ist somit eine Summe der Natur, nicht ihr Abbild.

Abbildung des Gemäldes "Blumenstrauß" von Rachel Ruysch. Zu sehen sind viele bunte Blumen vor dunklem Hintergrund.
Blumenstrauß: Rachel Ruysch, 1715
Ausschnitt aus einem Blumenstillleben.
Blumenstrauß: Jan van Huysum, 1714

…, weil sie das Unsichtbare anschaulich machen.

Alte Meister führen das Wunderbare und Göttliche vor Augen, die Hoffnung auf ein Leben nach dem Tod. Sie beleuchten die christlichen Grundlagen der europäischen Kultur.

Das Gemälde "Christus als Schmerzensmann" zeigt einen Mann mit nacktem und blutigem Oberkörper und Dornenkrone. Der Kopf wird von der Hand gestützt.
Christus als Schmerzensmann: Albrecht Dürer, um 1492/93
Abbildung des Gemäldes "Christus und Maria als Fürbitter der Menschheit vor Gottvater" von einem Oberschwäbischem Meister.
Christus und Maria als Fürbitter der Menschheit vor Gottvater: Oberschwäbischer Meister, 1519
Abbildung eines Flügelaltars, der die Auferstehung Christi und alttestamentarische Vorbilder zeigt.
Flügelaltar: Die Auferstehung Christi und alttestamentarische Vorbilder: Pieter Coecke van Aelst, um 1535

…, weil sie Geschichte vergegenwärtigen.

Sie machen uns mit Menschen der Vergangenheit bekannt, lassen uns zu Augenzeugen bedeutsamer Ereignisse werden und konfrontieren uns mit längst verschwundenen Landschaften und Bauwerken.

Zeichnung einer Schlacht auf dem Wasser, auf der man einige Segelschiffe während der Schlacht sieht.
Die Eroberung der Royal Prince während der viertägigen Schlacht 1666: Willem van de Velde, 1672
Gemälde einer historischen Ansicht des Antonispoort mit Menschen im Vordergrund und blauem Himmel
St. Anthonispoort, Amsterdam: Jan van der Heyden, um 1663

…, weil sie die Gegenwart als historisch entstanden zeigen.

Das, was heute ist, war nicht immer so und muss auch nicht so bleiben: Das gilt für moralische Ansichten ebenso wie für die Mode. Alte Bilder machen den ständigen Wandel der Zeiten sichtbar.

Abbildung des Gemäldes "Bildnis des Marschalls Charles-Auguste de Matignon". Er trägt eine Rüstung und hat einen Feldherrenstab in der Hand.
Bildnis des Marschalls Charles-Auguste de Matignon: Hyacinthe Rigaud, um 1708
Abbildung eines Bildnisses eines Herrn im Jagdkostüm. Seitlich ist ein Hund zu erkennen.
Bildnis eines Herrn im Jagdkostüm: Nicolas de Largillierre, um 1725–1727
Abbildung des Gemäldes "Madame de Vermenoux huldigt Apollo".
Madame de Vermenoux huldigt Apollo: Jean-Étienne Liotard, 1764

…, weil sie die ernsten Seiten des Lebens reflektieren.

Die Maler früherer Jahrhunderte haben nicht nur Schönheit, Anmut und Eleganz gefeiert. Sie haben auch Gewalt und Tod, Unterdrückung, Krieg und Katastrophen in den Blick genommen, oft auf drastische Weise.

Detailansicht des Überfalls auf einen Geleitzug. Man sieht Pferde und kämpfende Männer.
Überfall auf einen Geleitzug: Sebastian Vrancx, 1618
Abbildung des Gemäldes "Kampf zwischen Reitern und Fußvolk vor einer Befestigungsanlage", auf dem selbiges zu sehen ist.
Kampf zwischen Reitern und Fußvolk vor einer Befestigungsanlage: Philips Wouwerman, 1647

…, weil sie vergnüglich sind.

Das Spiegelei für die heilige Anna, die in den Messwein gefallene Spinne, der unglücklich verliebte Zyklop: Alte Bilder erzählen Geschichten, bisweilen grotesk und nicht selten amüsant.

Detailansicht des Lichtenthaler Altars, auf dem eine Küchenmagd bei der Zubereitung von Spiegelei zu sehen ist.
Geburt Mariens: Meister der Lichtenthaler Marienflügel, 1489
Detailausschnitt des Hohenlandenberger Altars, auf dem der Heilige Konrad mit einem Krug zu sehen ist, auf dem sich eine Spinne verirrt hat.
Hohenlandenberg Altar: Heiliger Konrad: Michael Haider (?), um 1500
Abbildung des Gemäldes "Polyphem und Galathea" mit Fokus auf dem unglücklich verliebten Zyklop.
Polyphem und Galathea: Joseph Werner, 1637