Der Umzug der Großformate
Sie passen weder durch Türrahmen, noch lassen sie sich um Raumecken heben: Wie also ziehen großformatige Gemälde aus einem Museumsgebäude aus?
Geschlossen ist das Hauptgebäude der Kunsthalle bereits seit November 2021, nach Monaten der intensiven Vorbereitungen und vielfältigen Umzüge – von den Büros bis hin zur Kunst – stand nun der letzte und im wahrsten Sinne des Wortes größte Umzug von Kunst aus dem Hauptgebäude an. Restauratorin Nele Bordt hat mit ihrem Team auch den Umzug der letzten vier von ca. 3.500 Kunstwerken seit 2018 vorbereitet.
Im Dunkel der Nacht
Es ist halb zehn Uhr abends. Alle Augen ruhen auf der riesigen Transportkiste, die mit viel Geschick und Kalkül langsam über ein hölzernes Podest durch das weit geöffnete Fenster des Gebäudes auf eine Hubbühne geschoben und anschließend mit einem s.g. „Spinnenkran“ über die gesperrte Waldstraße gehoben wird. Damit die über 6,20 Meter lange und 3,10 Meter hohe Transportkiste so aus dem Gebäude transportiert werden kann, mussten im Vorfeld zwei Oberlichter der imposanten Fenster des historischen Kunsthallen-Gebäudes ausgebaut werden. Fensterbauer*innen haben zudem behutsam einen Querbalken ansägen und zum Teil vorübergehend entfernen müssen, um den Auszug der Großformate überhaupt zu ermöglich.
In der klimastabilen Kiste, die das Hauptgebäude auf diesem Weg verlässt, befindet sich das Gastmahl des Plato von Anselm Feuerbach, das 1869 gemalt wurde und für wenige Minuten in mehreren Metern Höhe über den Asphalt Richtung LKW schwebt. In diesem Moment ist die Anspannung allen Beteiligten anzumerken. Gegen Mitternacht ist die Kiste schließlich sicher auf dem luftgefederten LKW verladen. Um in dieser Nacht alle Großformate sicher transportieren zu können, kommt neben dem LKW ein zusätzlicher Anhänger zum Einsatz. Weil er die genormte LKW-Höhe von vier Metern nicht überschreiten darf, ist er etwas tiefergelegt. Die Luftfederung dieser beiden Spezialfahrzeuge ermöglicht es, während des Transportes Schwankungen und Schwingungen zu reduzieren, die bei den fragilen Oberflächen der Kunstwerke erheblichen Schaden anrichten könnten.
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Mit Kraft, Augenmaß und Fingerspitzengefühl
Jeden Handgriff dieses konservatorischen und logistischen Großprojektes hatten Nele Bordt und ihr Team im Vorfeld mit Unterstützung der Ausführenden sorgfältig durchdacht und geplant. Es ist alles perfekt vorbereitet. Auch die Wetterverhältnisse in dieser Septembernacht sind mit mäßigen Temperaturen nahezu ideal – es regnet nicht und vor allem weht kein Wind. Er würde die schweren Holzkisten mit ihrer wertvollen Fracht unkontrolliert zum Kippen bringen – der Auszug der Großformate hätte dann verschoben werden müssen. Neben Anselm Feuerbachs Gemälde verlassen im Dunkel der Nacht drei weitere großformatige Historienbilder aus dem 19. Jahrhundert ihren angestammten Platz in der Kunsthalle: Die Disputation zwischen Luther und Eck von Carl Friedrich Lessing, der sogenannte Türkenlouis von Ferdinand Keller und das Gemälde Konradin von Hohenstaufen von Anton Werner. Diese Gemälde haben die Kunsthalle seit ihrem Einzug bislang so gut wie nicht verlassen. Die Maße der gerahmten Ölgemälde, die damals vermutlich in gerolltem Zustand in die Kunsthalle eingezogen waren, bewegen sich zwischen 3,10 und 6,28 Meter.
Ihr Auszug in den sperrigen, klimastabilen Transportkisten gleicht einer Herkulesaufgabe.
Konservatorische Vorbereitungen
Bevor die Großformate ihre Reise antreten durften, war ihr Erhaltungszustand von den Restaurator*innen präzise analysiert und in Einzelheiten fotografisch festgehalten worden. Dann folgte bei Bedarf die punktuelle Festigung der Malschichten mit einem speziellen Klebemittel, um die Gemälde aus konservatorischer Sicht transportfähig zu machen und Beschädigungen vorzubeugen. Die Demontage der Bilder von den Museumswänden sowie die Abbaulogistik erfolgte nach einem streng ausgearbeiteten und durchgetakteten Plan: Bislang von einem Granitsockel im Feuerbachsaal gestützt, wurde etwa Das Gastmahl des Plato mittels Elektrohubwagen langsam und vorsichtig von der Wand gehoben. Das Gemälde war zuvor mit aufblasbaren Luftkissen unterlegt und etwas angehoben worden, um insbesondere Verletzungen des Rahmens zu verhindern. Während der Demontage verhinderten viele helfende Hände und verschiedene technische Hilfsmittel das Kippen des gerahmten Bildes, das dann auf zwei mobile Holzgerüste gestellt wurde. Anschließend lösten die Restaurator*innen das Gemälde aus seinem Rahmen und stabilisierten seine Rückseite mit schützendem Polyestervlies und Karton.
Ähnlich wie mit dem Gastmahl des Plato wurde im Vorfeld auch mit den anderen drei Großformaten verfahren, die in thermoisolierte Holzkisten gehoben und darin fest fixiert wurden. Während des gesamten Transports boten sie den Gemälden nicht nur Stabilität und Schutz vor mechanischen Beschädigungen, sondern dienten auch zum Ausgleich von Klimaschwankungen hinsichtlich der Temperatur und der relativen Luftfeuchtigkeit.
Inzwischen sind die Gemälde sicher in ihrem Interimsdepot angekommen. Der Umzug der Großformate ist beendet, das Team ist erleichtert und kann sich nun neuen Aufgaben widmen. Und die Gemälde warten auf ihre Rückkehr in die dann frisch sanierte Kunsthalle.