Alexandra Brjezovskaia, 18. September 2021

Ein neues Weltverständnis: Die Renaissance und die Natur

Blumen-Lichterketten, Tassen mit Monstera-Print und kleine Pflanzenfiguren – Pflanzendeko ist im Interieur-Bereich nicht wegzudenken. Der aktuelle Pflanzenhype erscheint nur auf den ersten Blick wie ein neuer Modetrend.

Doch schon seit der Renaissance tauchen Gewächse als Gegenstand künstlerischer Erzeugnisse auf. Umso interessanter zu erfahren, wie Künstler*innen im 16. Jahrhundert zu diesem Thema fanden und wie ihr Erlebnis der Natur die Nachwelt prägte.

Das 16. Jahrhundert  ist von Umbrüchen geprägt. Durch die Entdeckung Amerikas im ausgehenden 15. Jahrhundert entwickeln sich in der Kunst und Wissenschaft neue Gedanken und Ansätze. Basierend auf dem zunehmenden Interesse für die eigene Umwelt, beginnen Künstler*innen die Unterschiede ihrer Heimat zu anderen Regionen zu betrachten. Auch die Existenz von Pflanzen und Tieren wird nicht mehr als gegeben angenommen, sondern aktiv erforscht. 

Naturwissenschaftler*innen und Künstler*innen verlassen ihre Ateliers und beobachten in der Natur, wie eine Knospe zur Blüte gedeiht, wie sich das Fell des Eichhörnchens verändert und wie die Jahreszeiten die Umwelt und Lebewesen beeinflussen. Die gewonnenen Erkenntnisse werden sogleich festgehalten. Künstler*innen wie bspw. de Hamilton und Sievert fertigen Zeichnungen an, die Blumen in all ihren Details darstellen. Unter den Kunstschaffenden wird die Gabe des genauen Beobachtens und naturgetreuen Wiedergebens trainiert. Jedes daraus resultierende Kunstwerk hält ein eigenes Verständnis und Wahrnehmen der Welt fest.

Abbildung des Werks Papageientulpe von August Wilhelm Sievert aus dem Jahr 1730. Es zeigt eine Zeichnung einer roten Tulpe.

Schon bald steigt der Anspruch dieser Künstler*innen: Das Körperliche rückt in den Hintergrund und es wird versucht auch das Innere – also das Wesen – der Pflanze festzuhalten. Dabei wird die Welt der Botanik mit der des Menschen verbunden – Handlungen und Erfahrungen des Alltags werden mit Pflanzen verglichen. Analogien beschreiben Menschen mit Attributen natürlicher Phänomene. Noch heute sind Vergleiche aus jener Zeit bekannt sein: Die Atmung gleicht dem Wind, das strahlende Lächeln der Liebsten ist wie ein Sonnenaufgang und der menschliche Lebenslauf entwickelt sich analog zu den  Jahreszeiten. Dies sind nur einige von vielen Beispielen, vielleicht fallen Ihnen weitere ein? Pflanzen und Natur dienen damit nicht mehr als rein schmückender Dekor des Menschen oder eine künstlerische Umgebung für sie, sondern können Leerstellen ausfüllen und einen Charakter greifbarer gestalten.

Fotografie einer Skulptur einer jungen Frau, deren Haar und Dekollete mit Blumen verziert ist

Durch die gelebte Erfahrung der Natur entsteht der Wunsch, das Gesehene weiterzuverarbeiten. Die Erlebnisse sollen nicht nur auf der Leinwand oder als Skizze enden, sondern vielmehr in neuen Kunstobjekten Ausdruck finden. Beispielsweise beginnen die Kunstschaffenden Lebewesen und Pflanzen aus und auf Porzellan nachzubilden und diese in Tassen und Vasen einzuarbeiten. An die Stelle der naturgetreuen Abbildungen rücken die Wünsche und Vorstellungen der Menschen. Mit den fein erarbeiteten Kunstobjekten kann jede Fantasie der Kunstschaffenden verwirklicht werden und eine idealisierte Natur präsentiert werden. Besonders am Hof waren solche exotischen Erzeugnisse höchst beliebt.

Übrigens: Genau diese Entzückung entwickelt sich zu einer großen Leidenschaft am Sammeln. Am Hof entstehen Kunstkammern – Räumlichkeiten, in denen die Sammlungen von Natur-Objekten ausgestellt werden. Der Ausstellungsort und die richtige Präsentation werden entscheidend um den eigenen Besitz angemessen vorführen zu können. So werden die Kunstkammern zu Orten des Wissens und der Kunst und damit zu einem Vorgänger des Museums.