Dr. Josef Simmel, 10. September 2021

Der botanische Blick auf die Natur

In der Vorbereitung der Ausstellung „Inventing Nature“ arbeitete das kuratorische Team eng mit den Expert*innen des Karlsruher Naturkundemuseums zusammen. Dr. Josef Simmel, Leiter der Botanik, gibt einen Einblick in die botanische Perspektive auf die Ausstellung.

Als Schlagwort kann und muss „Natur“ für viele Zwecke herhalten. Der menschliche Einfluss allerdings führt zur Herausbildung einer Art künstlichen Natur. Dies betrifft insbesondere die Pflanzenwelt, die Kulisse, Nahrungsgrundlage und ökologischer Rahmen zugleich ist. Die beiden Ausstellungen Inventing Nature und Iss mich! widmen sich der künstlerischen Betrachtung der Pflanzenwelt. Sie blicken jedoch nicht allein auf die Kunst der Pflanzendarstellung, sondern explizit auch auf die dargestellten Pflanzen. Bei der Vorbereitung der Ausstellung durfte ich meinen botanischen Blick schweifen lassen.

Ruisdaels Landschaftsgemälde Große Baumgruppe am Wasser

Die Große Baumgruppe am Wasser von Jacob van Ruisdael wurde zumeist als Gruppe von Eichen behandelt. Van Ruisdael gibt die Merkmale der Bäume sehr detailliert wieder, mir fielen dabei insbesondere die glatte, stellenweise weißliche Rinde und die kleinen, ovalen Blätter auf. Es muss sich daher um Buchen handeln, die Große Baumgruppe zeigt Weidbuchen, die von den weidenden Rindern bis weit hinauf abgefressen sind. Die Belastung setzt an allen Bäumen auf derselben Höhe ein – dort, wo die Tiere das Laub nicht mehr erreichen.

Aquarell eines Papayabaums mit der Frucht des gelernten Gärtners und Künstlers Georg Dionysius Ehret

An der von Georg Dionysius Ehret gemalten Papaya gibt es auf den ersten Blick nichts auszusetzen, obwohl die Früchte an auffällig langen, verzweigten Ästen sitzen. So wie ein Großteil der tropischen Gehölze ist auch die Papaya kauliflor, d. h., die Früchte sitzen direkt am Stamm an. Im Gegensatz dazu stehen die männlichen Blüten in langstieligen Blütenständen zusammen; Ehret hat also die männlichen Blütenstände mit den Früchten kombiniert. Dies lässt den Schluss zu, dass er als Vorlage für sein Gemälde nur eine männliche Papaya-Pflanze und (junge) Früchte hatte, jedoch keine weibliche Pflanze.

Landschaftsgemälde, das eine Vielzahl gefällter Bäume zeigt

Mehrere Kunstwerke beschäftigen sich mit dem Verhältnis zwischen Mensch und Natur. Das Gemälde Beim Holzfällen im Durlacher Wald von Paul von Ravenstein lässt uns auch einen schnurgeraden Entwässerungsgraben sehen; Georg Scholz‘ Blick aus dem Küchenfenster fällt auf einen Weinberg; Volker Kreidler zeigt uns die Folgelandschaft nach dem Reaktorunglück von Tschernobyl („51°24’06,5‘‘N / 30°03’21,9‘‘ E Prypjat“). So regen uns die Kunstwerke der Ausstellung dazu an, unsere persönliche Einstellung zu überdenken: zum Wesen der Natur, zu Artenreichtum und -sterben, zur menschengemachten Kulturlandschaft, zur Nutzung von Natur und Pflanzen.