Ein Silberstift auf Reisen
Wie Hans Baldung Griens Skizzenbuch die Flughafensecurity in Angst und Schrecken versetzte.
Einige Zeichnungen aus dem Karlsruher Skizzenbuch von Hans Baldung Grien sind auf seinen Reisen entstanden. Der Künstler trug derartige Reiseskizzenbücher bei sich, als er durch das Elsass und durch Schwaben wanderte – sie waren handlich und ausgesprochen praktisch, um unterwegs das zu zeichnen, was ihn interessierte: pittoreske Burgen, interessante Pflanzen oder attraktive Gesichter.
Die längste und spannendste Reise machte das Karlsruher Skizzenbuch jedoch fünfhundert Jahre später. Es war eingeladen worden zu einer Ausstellung nach London ins British Museum, in der die neuesten Forschungen zum Zeichnen mit Silberstiften präsentiert wurden. „Drawing in Silver and Gold: Leonardo to Jasper Johns“ war diese herausragende Schau betitelt. Im Kreis von Werken Leonardos, Dürers, Rembrandts und Jasper Johns‘ sollte das Karlsruher Werk genau das repräsentieren: Ein Reiseskizzenbuch mit einem historischen (wahrscheinlich sogar dem originalen) Silberstift der Renaissance.
Noch nie war dieses Kleinod des Karlsruher Kupferstichkabinetts so weit gereist, noch nie hatte es Deutschland jemals verlassen. Lange überlegten wir, ob wir der britischen Leihanfrage zustimmen und das fragile Stück aus dem Haus geben sollten. Doch war das wissenschaftliche Konzept der amerikanischen und englischen Kolleg*innen überzeugend, der Kontext für unser Kunstwerk gewinnbringend, das British Museum ein zweifellos vertrauenswürdiger und vertrauter Partner, und mit entsprechenden Vorsichtsmaßnahmen wurde die Ausleihe geplant. Nur der ersten Ausstellungsstation in Washington stimmten wir nicht zu – die Strapaze schätzten wir als zu riskant ein.
Die Kunstspedition fertigte einen maßgeschneiderten Handkoffer an, mit dem eine Kurierin der Kunsthalle – in diesem Falle ich – das Buch nach London begleiten sollte. Keinen Augenblick durfte es aus den Augen gelassen werden. Der Koffer war gepolstert, stoß- und klimageschützt, so dass sich die Temperatur des Innenbereiches erst allmählich, innerhalb von 24 Stunden, der Außentemperatur anpasste – sofern man ihn nicht öffnete. Er sah aus wie ein überdimensionierter Kosmetikkoffer – ein Beautycase in Postgelb (äußerlich nicht unbedingt schmeichelhaft für mich…). Im Flieger war ein extra Sitz für das gute Stück gebucht – die Organisation schien perfekt. Konservatorisch sprach zudem nichts gegen das obligatorische Röntgen des Koffers, das bei der Security anstand. Doch spätestens da hatten wir alle einen wesentlichen Faktor übersehen: Den Silberstift! Denn seine Nadelform und seine über 20 cm messende Länge machen aus ihm eine potenziell tödliche Waffe, die sich auf dem Monitor gefährlich abzeichnete.
„Öffnen Sie bitte den Koffer!“ schnarrte es mir entsprechend streng und unerbittlich entgegen. Das jedoch hätte das Mikroklima meiner leuchtenden Kanarienkiste zerstört, und damit die notwendige Stabilität von Temperatur und Luftfeuchtigkeit für meinen Beauty-Baldung. „Ich bitte sehr um Entschuldigung – aber das geht leider nicht!“ verstärkte nur die misstrauischen Minen der Sicherheitsbeamten. „Was ist denn da drin?“
Nun, wie vermittelt man in einer solchen Situation, dass man ein Skizzenbuch der Renaissance mit einem historischen Silberstift bei sich trägt? Irgendwie gelang es mir nicht so recht, denn innerhalb von fünf Minuten scharten sich nacheinander fünf hochgewachsene männliche Sicherheitsbeamte um mich, jeder fünf Zentimeter größer als der vorherige und jeder mit einem Stern mehr auf der Schulterklappe. Ich bin eine große Frau und fühle mich selten klein – aber nun war es so weit, körperlich und auch sonst – klein mit Hut sozusagen.
„Ein Silberstift? Was ist denn das?“ „Das ist doch kein Stift!“ „Ein Skizzenbuch aus der Renä – was?“ „Der sieht gefährlich aus!“ „Wir können Sie so nicht durchlassen!“ „Was passiert denn, wenn Sie den Koffer aufmachen?“ Ich kam ins Schwitzen, und mein Gesicht leuchtete fast so stark wie mein Köfferchen – nur in Zinnoberrot. Ich rief in Karlsruhe an, um telefonische Verstärkung von unseren Restauratoren zu erhalten. Und dann kam ER – der George Clooney unter der Security. Jung, schön, und ausgesprochen souverän. Ein Ritter auf weißem Pferd mitten auf dem Frankfurter Flughafen – mit gefühlten 37 Sternen auf seiner Schulterklappe. Röter konnte ich ja nicht werden – also schilderte ich ihm ruhig und klar, was ich warum und wie transportierte, und mein Flehen wurde erhört. Mit einem charmanten Lächeln winkte er mich samt meinem gelben Handgepäck durch und wünschte Baldung und mir eine gute Reise.
Selten war ich so erleichtert – sowohl über die Tatsache, dass Baldungs Kleinod geschützt blieb als auch über diese Beamten, die mit großer Sorgfaltspflicht die Sicherheit der Fluggäste gewährleisteten. Und als der Flieger endlich nach London abhob, dachte ich darüber nach, was wohl Baldung dazu gesagt hätte? Dass ein riesiger Metallvogel sein Skizzenbuch in einer Höhe von 10.000 Metern nach England fliegt und dass sein Silberstift als Mordwaffe eingestuft wird? In seiner Kunst ist neben großer Ernsthaftigkeit auch immer ein Sinn für Humor ablesbar – ich denke, Baldung hätte geschmunzelt, wenn nicht gar schallend gelacht. Wie die Rückreise unseres Skizzenbuches verlief? Die wurde dann anders durchgeführt.