Hans Baldung Griens voyeuristischer Blick-Wechsel auf das Hexenthema
Sie begegnen den Betrachter*innen im Werk Baldungs immer wieder, mal eindeutig, mal weniger deutlich als solche zu erkennen: Die Hexen. Was es mit den für Baldung charakteristischen Darstellungen auf sich hat, erläutert Kunsthistorikerin Prof. Dr. Sigrid Schade.
Zur Vorgeschichte und zur Realität der Hexenverfolgungen
Das Hexenthema und Hexenverfolgungen erreichten den deutschen Südwesten ab der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts. Zahlreiche Prozesse gegen und Verbrennungen von so genannten „Hexen“ können nachgewiesen werden, auch in Nürnberg, Basel und Straßburg – den Hochburgen des frühen Buchdrucks. Städte, in denen Hans Baldung Grien gelebt und gearbeitet hat, waren Schauplätze von solchen Verfolgungen.
In Publikationen von Prozessberichten, juristischen Anleitungen und Predigten über das Hexenwesen, Teufelspakt und Hexensabbat wurden zunehmend Darstellungen von Hexen eingesetzt, um auch die Aufmerksamkeit eines leseunkundigen Publikums auf sich zu ziehen. Zunächst erschienen Hexen-Illustrationen als Miniaturen in Manuskripten sowie nach der Erfindung des Buchdrucks auch als Holzschnitte. Diese Schriften erfreuten sich großer Beliebtheit und wurden nicht zuletzt wegen dieser Darstellungen zu Bestsellern. In diesen Veröffentlichungen wurden Hexen als Ausübende von so genannten Schadenszaubertaten charakterisiert. Diese umfasste u.a. Unwetterzauber, Lahmhexen oder auch das Anhexen von Impotenz.
Die Kirche argumentierte, dass Schadenzauber nur durch einen „Pakt“ mit dem Teufel möglich sei – womit sie den Beischlaf von Frauen mit ihm meinte. Die Inquisitoren stellten die angeblichen Taten der als Hexen bezeichneten Frauen in den Vordergrund, um so die Notwendigkeit einer Verurteilung auch durch zivile Gerichte zu unterstreichen. Zwischen dem 15. und 18. Jahrhundert wurden etwa 50.000 Frauen, Männer und Kinder (vor allem Frauen) in Mitteleuropa als Hexen verbrannt.
Jenseits der Diskussion um den Schadenzauber stand in den theologischen und inquisitorischen Schriften jedoch die frauenfeindliche Zuschreibung der besonderen Sündhaftigkeit der Frau im Zentrum. Nach der Tradition der christlichen Religion und ihrer Gründungsmythen, wie bspw. dem Sündenfall, geraten Männer mit dem Teufel erst durch die Frau in Berührung. Dies wiederum geschehe durch und wegen ihrer sexuellen Verführungskraft. Der Beischlaf mit dem Teufel als Voraussetzung für die Befähigung zur schwarzen Magie sowie die angenommenen Orgien anlässlich des Sabbats befeuerten unablässig die Phantasie der Kleriker und Laien, der Humanisten und Bürger der Zeit.
Für Kleriker und Theologen bestand die Gefahr der weiblichen Verführung vor allem im außerehelichen Geschlechtsverkehr, dem Ehebruch und der Todsünde der Wollust. Die Humanisten betrachteten (weibliche) Verführung als Verlust der Kontrolle über die Leidenschaften. Es ging ihnen um den Verlust der (männlichen) Vernunft.
Hexenbilder als Sammlerstücke
Die kulturhistorische Perspektive zeigt, dass die einzelnen Elemente der Hexenmythologie in Text und in Bild weitestgehend ausgearbeitet und weit verbreitet waren, bevor Baldung und andere Künstler das Thema aufgriffen. Somit entwickelten sie keineswegs „seltsame“, also abwegige oder für ihre Zeit ungewöhnliche Phantasien, sondern schöpften aus den Quellen zeitgenössischer Hexenvorstellungen. In Gerichtsverhandlungen, Predigten und im neuen Medium Buchdruck verbreiteten sich diese unablässig.
Baldung und einige seiner Zeitgenossen produzierten Hexendarstellungen als „autonome Kunstwerke“, die nun nicht mehr als Illustrationen zu Texten gedacht waren.
Dazu experimentierte Baldung mit neuen Techniken, um besonders plastische und dramatisierende Effekte zu ermöglichen und ein ausgesuchtes Sammlerpublikum anzusprechen. Daneben illustrierte Baldungs Werkstatt bspw. auch die Publikation der Hexen-Predigten des Johann Geiler von Kaisersberg.
Das neue Konzept vom männlichen, genialen Künstler und dessen von Gott gegebener Imagination hatte auch die Kunstwelt in den Städten nördlich Italiens erreicht. Dies kam zusammen mit Veränderungen des sozialen Status der Künstler und neuer Auftraggeberschichten sowie freieren Absatzmöglichkeiten für das neue Massenmedium Druckgraphik. In der Folge entstand eine neuartige Konkurrenz zwischen den Künstlern.
Es wurde notwendig, durch Originalität, besondere Bildthemen und durch die Entfaltung eines eigenen Malstils Aufmerksamkeit zu erregen und sich einen Namen zu machen. So sollten nicht nur Auftraggeber sondern auch Käufer für bereits gefertigte Werke gefunden werden. Hans Baldung Grien perfektionierte den Balanceakt zwischen der Notwendigkeit, sich von anderen Künstlern zu unterscheiden und sie gleichzeitig zu zitieren, um von deren Bekanntheit und Wiederkennungspotential zu profitieren.
Zugleich reagierte er auf die Vielfalt seiner Adressaten mit unterschiedlichen Ausführungen. Hierzu waren Belesenheit und umfangreiche Kenntnisse notwendig, die Baldung, aus einer Gelehrtenfamilie stammend, vorweisen konnte. So konnte er im Bereich der zahlreichen Hexendarstellungen Wiedererkennungseffekte erzielen und zugleich eine neue Art von Schaulust erzeugen, welche allenfalls im engeren Freundeskreis geteilt werden konnte.
Am 6.2.20 hält die Kunsthistorikerin begleitend zu der Ausstellung Hans Baldung Grien. heilig | unheilig einen Vortrag zu diesem Thema.