Barbara Bauer, 26. März 2021

Interieur im Stile Bouchers

Wenn wir über das Werk des Rokoko-Künstlers François Bouchers sprechen, kommen uns wohl zuerst zahlreiche Zeichnungen und Gemälde in den Sinn, die der Maler im Laufe seiner Karriere geschaffen hat. Doch viele seiner Kompositionen dienten auch als Vorlage für die angewandte Kunst und fanden auf diese Weise zusätzlich Verbreitung.

An der angewandten Kunst begeistert mich vor allem das handwerkliche Geschick mit dem die gezeichneten oder gemalten künstlerischen Entwürfe in andere Medien übertragen werden. Es handelt sich vielfach um ein stark spezialisiertes Wissen, das im Zuge einer umfassenden Ausbildung erlernt wird. In unserer hoch technisierten Welt und im Hinblick einer immer weiter fortschreitenden Digitalisierung, sind die Kenntnisse über ursprüngliche Herstellungsverfahren und manuelle Tätigkeiten besonders faszinierend.

In der höfischen Repräsentationskultur des 18. Jahrhunderts hatten textile Wandbehänge einen besonderen Stellenwert. Zugleich waren sie für die beauftragten Künstler*innen wichtige Einnahmequelle und steigerten durch ihre Funktion als diplomatische Geschenke der Krone das Renommee der Schöpfer*innen entscheidend. Auch Boucher profitierte von diesem Phänomen.

Aus der engen Kollaboration mit den beiden bedeutendsten französischen Manufakturen für Wandbehänge in Paris und Beauvais entstanden großformatige Tapisserien, die bald Herrscherhäuser in ganz Europa schmückten und die Mode der Innenausstattung im 18. Jahrhundert entscheidend prägten. Das französische Wort Tapisserie (nach dem griechischen Wortursprung „tapis“ für „Teppich“) bezeichnet eine flächige textile Wandverkleidung.

Ausstellungsansicht des Gemäldes Die chinesische Jagd von 1742 des Künstlers François Boucher. Das Gemälde hat einen Goldrahmen. Links daneben befindet sich ein Text zu dem Bild auf der Wand.

Die Gestaltung der Tapisserien basiert auf den gleichen, zweidimensionalen Kompositionsprinzipien wie Gemälde. Boucher entwarf die Darstellungen in kleinformatigen, skizzenhaften Ölstudien, die er zumeist in Grau- oder Brauntönen ausführte. Anschließend wurden diese in farbige Gemälde überführt, die in den Manufakturen von den „cartoniers“ (auf diese Tätigkeit spezialisierte Maler*innen) auf die gewünschten Maße vergrößert wurden. Diese Kartons nutzten die Wirker*innen – so bezeichnete man die Berufsgruppe, die mit der Ausführung beauftragt war –  schließlich als Vorlage für die Tapisserien.

Bedingt durch das Material und den Herstellungsprozess unterscheiden sich die Wandbehänge in ihrer Wirkung stark von der Malerei. Anstelle eines individuellen Pinselduktus, der auf die Hand des Malers verweist, gibt die gleichmäßige Wirkstruktur keine direkten Hinweise auf die Gestaltenden. Teilweise arbeiteten mehrere Wirker*innen Monate oder Jahre an den aufwendigen Tapisserien.

Man unterscheidet im Herstellungsprozess zwischen vertikal und horizontal gewirkten Teppichen, die entsprechend am Hoch- bzw. Flachwebstuhl angefertigt werden. Die Manufaktur in Beauvais war auf die Produktion von basselisse-Tapisserie am horizontal ausgerichteten Flachwebstuhl spezialisiert. Das Resultat unterscheidet sich optisch nicht vom Produktionsverfahren der hautelisse (am Hochwebstuhl gewirkt), wie es in der königlichen Manufaktur der Gobelins praktiziert wurde. Grundsätzlich beruht die Technik auf dem Wechsel zwischen passiven und aktiven Fäden: Das passive Fadensystem wird als „Kette“ bezeichnet und ist gewissermaßen die Grundstruktur auf die im Webstuhl die aktiven Fäden (bezeichnet als „Schuss“) gewirkt werden, die die Motive bilden.

Im Unterschied zum Weben wird bei der Bildwirkerei der Faden nicht über die gesamte Breite durchgeschossen, sondern nur in dem Bereich hin- und zurückgewirkt, wo die Farbe auf dem Karton zu sehen ist. Diese aufwendige manuelle Arbeit ermöglicht feinste Farbabstufungen. Zusätzliche Effekte werden durch die abwechselnde Verwendung von matter Wolle und glänzender Seide erreicht.  Die Wirker*innen nutzten Seidenfäden, die zusammen mit Gold- und Silberfäden im Kerzenschein wohl besonders eindrucksvoll glänzten. Die Fäden wurden mit natürlichen Farbstoffen gefärbt, die Pflanzen, Tieren oder Mineralien entstammten. Heute sind die ehemals strahlenden Farben häufig verblast und goldene Akzente sind schwarz oxidiert.

Tapisserie Venus in der Schmiede des Vulkans in der Ausstellung François Boucher der Kunsthalle Karlsruhe

In der Ausstellung präsentieren wir einen Teppich aus der Manufaktur in Beauvais, der eine Szene aus Ovids Metamorphosen zeigt: Der Moment als Venus in der Schmiede des Vulkan die Waffen für ihren Sohn Äneas entgegen nimmt.

Wenn wir heute staunend vor einem dieser großformatigen Wandteppiche stehen, spüren wir trotz der verblichenen Farben noch immer die ungeheure Wirkung der monumentalen Komposition. Fast lockt der Wunsch nach einer Umgestaltung der eigenen vier Wände im Stil einer gesamtkompositorischen Innenausstattung. Zugleich bedarf es entsprechender Räumlichkeiten um eines dieser musealen Exponate zu präsentieren. Für die persönliche Sammler*innenleidenschaft im eigenen Zuhause empfehlen sich doch eher platzsparende Medien.

Boucher Online-Führung

Am 22.4.21 findet eine Online-Führung mit der Kuratorin Dr. Astrid Reuter zu diesem Thema statt. Alle Informationen erhalten Sie im Online-Kalender.