Dr. Tamara Engert, 26. November 2021

Vorhang gefallen? Vorhang auf!

Abschiedswoche – Interim – Neupräsentation. Vieles tut sich auf den „Brettern“, die Besucher*innen und Mitarbeit*erinnen die Kunsthallen-Welt bedeuten, vor und hinter den Kulissen. Einige Gedanken zu dieser aufregenden Zeit aus der Sicht der Kunstvermittlung.

Der vorerst letzte Akt ist gespielt, vor großem Publikum! Noch einmal durften Besucherinnen und Besucher, aber auch wir Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die Kunsthalle als brodelnde Bühne erleben, auf der Menschen und Kunst einander begegnen.

Menschen, die die Galerien kennen wie ihre Westentasche, sich von einzelnen Werken verabschieden wollten wie von alten Freunden, die man für eine lange Zeit nicht mehr sieht. Menschen, die zum ersten Mal ihren Fuß in das Gebäude gesetzt haben und mit Neugier und Faszination ihnen Unbekanntes entdeckt haben. Glänzende Augen, Festtagsstimmung, Abschiedsschmerz, viele Fragen und Spannung, was die Zukunft bringt, vermischten sich in diesen letzten Tagen der offenen Türen.

Doch jetzt sind sie zunächst einmal verschlossen. Ein wehmütiger Moment. Erst recht, wenn man gerade erst zum Ensemble dazu gestoßen ist. Noch dazu, wenn die eigene Aufgabe die der Vermittlung ist und der direkte Kontakt zu unseren Besucherinnen und Besuchern, ihren Wünschen und Bedürfnissen der Motor allen Tuns.

Umso intensiver war das Erlebnis der letzten Wochen. Umso mehr saugt man jeden Pinselstrich eines Werkes in sich auf, wenn man weiß, es wird bald für einige Zeit in einer Kiste schlummern. Umso begieriger lernt man die Sammlung selbst kennen und freut sich auf das Weitergeben der Entdeckungen. Umso genauer hört man hin beim Publikum, beobachtet Reaktionen, speichert Fragen ab. Schaut Fünftklässler*innen, Studierenden, Schulabsolvent*innen und Einzelbesucherinnen und -besuchern mit unterschiedlichster Motivation dabei über die Schulter, wie sie entlang der Sammlung Welten entdecken, sich selbst wahrnehmen, Methoden kennenlernen, sich an Werken reiben, sich kritisch mit ihnen auseinandersetzen, den Wissensschatz erweitern, kreativ sind…

All diese unterschiedlichen Blicke – vorerst „letzte“ und „erste“ – und das Gespräch über sie haben uns beflügelt. Ja, mit einer Träne im Augenwinkel verabschieden wir uns für einige Zeit von den so einzigartigen Räumlichkeiten. Aber die Eindrücke gerade der Festwoche zaubern uns auch ein Lächeln ins Gesicht, tragen die Kunstvermittlung in die Zukunft, beschwingt und motiviert.

Videostill mit Einblicken aus der Arbeit der Kunstvermittlung der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe. Eine Frau interagiert mit vier Kindern.
Abspielen
Dieses Video entstand 2019.

Denn diese Zukunft beginnt nicht erst, wenn sich der Vorhang wieder an anderer Stelle hebt, im ZKM, in der Jungen Kunsthalle, in der Orangerie – und in einigen Jahren natürlich auch wieder in den ehrwürdigen Räumlichkeiten des Hauptgebäudes. Sie beginnt hier und jetzt. Sie ist schon in vollem Gange. Sie entwickelt sich Tag für Tag aus dem, was man über viele Jahre und noch einmal in diesen intensiven Wochen wahrnehmen konnte an Gewohnheiten, Zugangsarten, Bedürfnissen. Die Besuchsströme der Abschiedswoche haben unter Beweis gestellt, wie notwendig bauliche Veränderungen sind. Nicht zuletzt die Pandemie hat gezeigt, welche Rolle klimatische, energetische, lüftungstechnische Voraussetzungen des Museumsbaus spielen. Diese Ereignisse verdeutlichen aber auch, welche Potenziale die unterschiedlichsten Vermittlungsarten haben, analoge wie digitale.

Für die Kunstvermittlung bieten die Beobachtungen und Erfahrungen Orientierungshilfen bei Fragen, die täglich die Arbeit begleiten, aber in einer Umbruchphase wie der in der Kunsthalle anstehenden noch drängender sind: Was hat sich über lange Zeit bewährt und muss fortgeführt werden? Welche Angebote werden schon jetzt schmerzlich vermisst? Wie können wir sie ersetzen, erweitern? Wo und wie können wir auf veränderte und sich weiter verändernde Wahrnehmung und Nachfrage bei welchen Besucherinnen und Besuchern reagieren? Wo müssen Stellschrauben im Angebot justiert, wo können zusätzliche Formate geschaffen werden? Welche Möglichkeiten, für unser Publikum da zu sein, gibt es in einer Zeit, in der ein komplettes Haus mit allen Mitarbeitenden, Kunstwerken und der gesamten Infrastruktur umzieht?

Ja, viele Fragen sind offen, der Vorhang ist zu. Aber hinter dem Vorhang tut sich etwas. Es wird ausgeräumt, gepackt, sortiert, es werden Materialien und Gedanken geordnet. Denn all die Herausforderungen bieten auch enorme Chancen: Dinge anzupacken, auszuprobieren, mutig und risikofreudig zu sein. Und selbst genauso neugierig wie unser Publikum.

Denn wie aufregend im positiven Sinn ist es, über unser zukünftiges Haus nachzudenken, das dann mehr denn je in verschiedenen Orten bestehen wird. Orte, die völlig unterschiedliche Rahmenbedingungen besitzen, die zur konstruktiven Auseinandersetzung über Vermittlungsformate anregen: Das brodelnde, architektonisch, akustisch und visuell so gänzlich anders als unsere gewohnten Räume funktionierende ZKM; die Orangerie mit ihrer ganz eigenen Raumwirkung und eigenen Möglichkeiten der Begegnung; die Junge Kunsthalle mit ihren Ausstellungs- und vor allem den Werkräumen, in denen Kunst auch produktiv erfahren wird. Und bis sich Türen wieder physisch öffnen, gilt es, intensiv an alternativen Kontaktmöglichkeiten für Kunst und Menschen zu arbeiten: in virtuellen Räumen und an anderen Orten als den altbekannten.

Wir freuen uns auf die kommenden Begegnungen. Die der alten Freunde, die sich lange nicht gesehen haben: Besucherinnen und Besucher und „ihre“ Werke. Die mit den „Neuen“ der Abschiedswoche, die ihren Fuß hoffentlich auch in die zukünftigen Gebäude setzen. Wir freuen uns auf die Neugier aller Besucherinnen und Besucher im digitalen und analogen Raum. Wir freuen uns auf viele Gespräche, gemeinsames Erkunden, Fragen, Wünsche, Reaktionen.

Der Vorhang wird schon zurechtgerückt, um sich für den nächsten Akt zu lüften!