Ein Plädoyer für Freiheit und Toleranz
Bei dem Gemälde „Karlsruhe von Süden“ des Malers Carl Kuntz handelt es sich für Dr. Cathrin Pischon um einen „Hidden-Champion“ der Kunsthallen-Sammlung, das für die Ideale von Freiheit und Toleranz steht.
Was hat die idyllisch-ländliche Szenerie des Gemäldes Karlsruhe von Süden mit den Idealen Freiheit, Bildung und Toleranz zu tun? Die Antwort überrascht. Dieses programmatische Bild schuf Carl Kuntz im Jahre 1804, kurz bevor ihn Markgraf Karl Friedrich von Baden zum Hofmaler ernannt hatte. Heute befindet es sich als Dauerleihgabe im Badischen Landesmuseum, bevor es dann aufgrund der anstehenden Sanierung wieder in das Depot der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe zurückkehren wird. Es zeigt die Ansicht auf die noch junge, unbefestigte Residenzstadt Karlsruhe an einem spätsommerlichen Tag in friedvoller Herrlichkeit.
Eine verletzliche Stadtgrenze in unruhigen Zeiten
Was macht dieses Bild so interessant? Die malerisch anmutende Gartenlandschaft mit einem Bauern und einem schwer beladenen Ochsenkarren im Vordergrund entwickelt sich unmittelbar hinter der neu angelegten Kriegsstraße. Diese war um 1799 an der südlichen Stadtgrenze Karlsruhes realisiert worden, um in unruhigen Zeiten gefahrlose Truppenbewegungen und Munitionstransporte zu gewährleisten. Immer wieder hatten sich in der damaligen Zeit verheerende Unglücksfälle ereignet, indem mit Pulver und Kanonen beladene Wagen detonierten und ganze Straßenzüge in die Luft flogen. In Friedenszeiten jedoch diente die Kriegsstraße Spazierenden als schöne Promenade, die Ein- und Ausblicke in Gartenanlagen, Straßenfluchten und zugleich in die Weite der umliegenden Landschaft eröffnete. Eine verletzliche Stadtgrenze ohne wehrhafte Befestigungsanlagen, Schutzwälle oder Wachtürme, wie sie sich hier im Bild präsentiert, war zum Ende des 18. und frühen 19. Jahrhundert eher selten. Gerade im Hinblick auf die unmittelbare Nähe zum Nachbarland Frankreich, verbunden mit den revolutionären Unruhen der Französischen Revolution wenige Jahre vor dem Zeitpunkt der Bildentstehung, scheint sie umso bemerkenswerter.
Markgraf Karl Friedrich war als aufgeklärtem Fürsten an dieser grünen Grenze seiner Residenzstadt und ihrem friedvollen Anblick sehr viel gelegen. Ab 1787 hatte er seinen in England ausgebildeten Garteninspektor Johann Michael Schweyckert gemeinsam mit dem Architekten Friedrich Weinbrenner beauftragt, einen Gürtel herrschaftlicher Gärten mit Villen- und Parkarchitekturen an der ehemaligen Grenze seiner Residenzstadt zur Markgrafschaft Baden-Baden zu konzipieren. Karl Friedrich entwickelte die Gärten im Karlsruher Süden zu privaten Rückzugsorten der markgräflichen Familie – sie bildeten gleichsam einen privaten Kontrapunkt zum öffentlich-repräsentativen Schlossgarten im Norden der Stadt.
Idyllische anmutende Gartenarchitekturen statt Befestigungsanlagen
Näherten sich also Spazierende der Residenzstadt Karlsruhe von Süden, erblickten sie inmitten großzügiger Grünanlagen die wunderschönen Architekturen Friedrich Weinbrenners im Erbprinzengarten: In der Bildmitte, etwas hinter bzw. oberhalb des Ochsenkarrens befindet sich das Amalienschlösschen mit seinem Belvedere im neopalladianischen Baustil, das sich an die Entwürfe des berühmten Renaissancebaumeisters Andrea Palladio anlehnte. Rechterhand schließt sich ein Vogelhäuschen mit verborgener Kegelbahn im Erdgeschoss an, das sich stilistisch an die griechisch-römischen Bauwerke der Antike anlehnte, gefolgt von dem Gotischen Turm als Zitat des Mittelalters. Ein vertiefter Zaun, ein sogenanntes „Aha“, begrenzte den Garten ohne seinen Übergang zur Landschaft optisch zu unterbrechen – der Blick sollte ungehindert und frei sein. Es schließen sich der Garten des Baudirektors Weinbrenner, das Ettlinger Tor, das Markgräfliche Palais und schließlich – etwas erhöht, in luftiger Ferne – die ehemalige markgräfliche Residenz auf dem Turmberg in Durlach an. Die evangelische Stadtkirche und die Stephanskirche wurden später hinzugefügt.
„Hidden Champion“ verbirgt eine unerwartet aktuelle Botschaft
Die beschauliche Szenerie mit Ochsenkarren in ländlich-schöner Natur präsentiert das grüne Entrée der Stadt Karlsruhe als idyllische Gartenlandschaft, in die das harmonische Zusammenspiel von Frieden und Glückseligkeit eingeschrieben scheint. Ein Sinnbild Arkadiens also – Traumland, irdisches Paradies und Sehnsuchtsort zugleich! Dieses Erscheinungsbild der Stadtgrenze um das Jahr 1804 war für die damalige Zeit ganz und gar programmatisch – hierin liegt die unerwartete, leise und dennoch klare Botschaft des Bildes, die sich den heutigen Betrachter*innen erst bei genauerem Hinsehen erschließt: Es symbolisierte das Selbstverständnis eines aufgeklärten Regenten, der sein Narrativ als menschenfreundlicher Regent mit selbstbewusstem Sendungsbewusstsein über die Stadtgrenze hinaus kommunizierte. Die Zeitgenoss*innen sollten an den liberalen Weltentwurf, den guten Willen ihres Landesvaters glauben, der sich mit einem klaren Votum für Freiheit, Bildung, Toleranz und Güte präsentierte. Ein Statement in der damaligen Zeit – vielleicht verbunden mit der leisen Hoffnung, eine ähnliche Revolution wie im Nachbarland Frankreich abzuwenden! Mit diesem klaren Votum bereichert Karlsruhe von Süden seither die Sammlung der Kunsthalle. Es steht mit vielen anderen Beispielen der Sammlung für die damals absolut innovativen Ideale eines aufgeklärten Herrscherhauses, die noch heute zum Fundament einer modernen, vielfältigen und inklusiven Gesellschaft zählen.