Daniela Sistermanns und Tabea Schwarze, 25.05.2022

MAI-Tagung 2022 – Gemeinsam und offen zur digitalen (Voll-)Transformation

Es ist die jährliche Pflichtveranstaltung für alle, die sich mit den digitalen Möglichkeiten im Museumsbereich beschäftigen: Die Tagung „museums and the internet“. Über Ernüchterung, begeisternde Projekte, die Aufforderung eigene Kompetenzen zu stärken und den Mut zu mehr worst practise.

18. Mai 2022, 15:07 Uhr. Der ICE startet die Abfahrt aus Bonn/Siegburg in Richtung Karlsruhe nach zwei intensiven Tagen auf der von Thilo Martini und Annika Flamm hervorragend organisierten MAI-Tagung im LVR-LandesMuseum Bonn. Nach zwei Pandemie-Jahren war diese als Hybrid-Tagung angelegt. Auch wenn das zentrale Thema der MAI-Tagung museums and the internet ist, so genossen wir es sehr, nach über zwei Jahren ausschließlich digitaler Begegnungen die Kolleg*innen endlich wieder im analogen Raum zu treffen. Bereits im Zug ließen wir das Gehörte und Gesehene Revue passieren: Ganze 31 Vorträge und Short Cuts innerhalb von zwei Tagen! Voller Impulse und Ideen nahmen wir auch mit Blick auf eigene Projekte einige Fragen mit nach Karlsruhe.

2004 vs. 2022

Der Auftakt von Prof. Dr. Holger Simon, der auf 20 Jahre Geschichte der digitalen Vermittlung zurückblickte, verdeutlichte, dass sich auch heute noch viele vergangene Themen in Ansätzen widerspiegeln. Als Beispiel sei hier der Vortrag Virtueller Transfer Musée Suisse: Erlebnisse zwischen Vision und Realität von Dr. Harald Krämer genannt, der bereits 2004 auf der MAI-Tagung prognostizierte: „Der Virtuelle Transfer ist kein virtueller Ersatz eines Museums, sondern das Konzept dient der Entwicklung experimenteller Strategien einer interaktiven Vermittlung und erzeugt als öffentlichkeitswirksame Maßnahme eine permanente Aufmerksamkeit und hohe Wahrnehmung. Mit diesem Prestigeprojekt (…) gelingt es, mit den Medien der Zukunft eine neue Qualität in der Vermittlung des kulturellen Erbes zu entwickeln.“

Dies ist nur einer von vielen Vorträgen, in einem Jahr, in dem Smartphones noch keinen Einzug in unseren Alltag erhalten haben und hauptsächlich Nokia, Sony Ericsson oder Motorola-Geräte erhältlich waren. Farbdisplays und Fotofunktionen zählten damals noch zu den Highlights. Gemessen an der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung, wurden die genannten Themen von Museen also verhältnismäßig früh aufgegriffen und verhandelt. Umso mehr verwundert es uns, dass 18 Jahre später kaum ein Gespräch über digitale Kunstvermittlung mit einem Verweis auf die Qualitäten des Analogen auskommen kann.

360°-Tour als neue Kreativwelten

Eine neue Qualität in der Vermittlung, von der Dr. Harald Krämer 2004 innerhalb seines Vortrags sprach, wurde von vielen Museen spätestens seit Corona gesucht. Wurde diese denn auch in den vergangenen Jahren wirklich erreicht? Einige auf der MAI-Tagung vorgestellten Projekte lassen daran keinen Zweifel. Das Museum für Islamische Kunst in Berlin beeindruckte uns durch seinen völlig neuen Ansatz für die Umsetzung von 360°-Thementouren. Anlässlich der sanierungsbedingten Schließzeit des Museums haben sich die zuständigen Kolleg*innen in Zusammenarbeit mit einer externen Agentur für ein multifunktionales Online-Portal entschieden, auf dem virtuelle 360°-Touren ein zentrales Element darstellen. Das Besondere: Innerhalb dieser Touren wurde bewusst auf eine Darstellung der eigenen Museumsräume verzichtet, weil sich das Museum im Umbau befindet und die Räumlichkeiten so auch nicht mehr zu entdecken sind. Den digitalen Besucher*innen sollen hierbei vielmehr ermöglicht werden, in kreative eigene Welten einzutauchen. Statt Panoramabilder aus dem „alten“ Museum, wurden dazu Bilderwelten aus analog erzeugten Illustrationen in enger Zusammenarbeit mit einer Illustratorin erschaffen. Diesen Bildwelten wurden zahlreiche Vermittlungsinhalte hinzugefügt: Werkabbildungen, die sich mit Spots näher entdecken lassen, bis hin zur Einbindung von Musikperformances realer Künstler*innen, die kurz zuvor mittels Green Screen aufgezeichnet wurden. Dieser Ansatz zielt auf die Erschaffung eines autonomen Erlebnisraums ab, der nicht unbedingt von der realen Museumsarchitektur abhängt, sondern vielmehr von den unterschiedlichen Vermittlungsinhalten.

Für uns war dieser Beitrag besonders interessant, da wir uns für die Schließzeit der Kunsthalle ebenfalls für eine 360°-Tour entschieden haben, die nicht nur eine partielle Begehung der Museumsräume möglich macht, sondern durch eine Quiz-Challenge, Live-Führungen und einem noch in der Entwicklung steckenden Atelier-Tool die stärkere und individuelle Auseinandersetzung mit dem Museums und seiner Sammlung fördern sollen.

Plädoyer für das Digitale!

Mehr Maschinenlesbarkeit, die systematische Erfassung der digitalen Besuche, mehr Mut in digitalen Projekten – besonders gut gefiel uns auch, dass an vieler Stelle Forderungen gestellt wurden, die auch einen Eindruck der Überzeugung und des Engagements der Akteur*innen boten. Eine Stärke der MAI-Tagung ist es, dass sie die gesamte Bandbreite für ganz unterschiedliche Häuser aufmacht: Von kleineren Social Media-Projekten, die ohne großes Budget und mit wenig personellen Ressourcen umgesetzt wurden, bis hin zu den großen Projekten, die glänzende Augen im Auditorium hinterließen oder aufwändige Forschungsarbeiten. Auch so wurde gezeigt, dass digitale Vermittlung nicht den großen Playern vorbehalten ist. Für eine nächste Tagung würden wir uns wünschen, dass man so systematisch, wie man versucht, sich dem digitalen Besuch zu nähern, auch versucht aufzuschlüsseln, was eigentlich digitale Vermittlung ist, was sie ausmacht und was sie von anderen digitalen Angeboten und Projekten unterscheidet. Wir selbst haben die Erfahrung gemacht, dass insbesondere in der internen Kommunikation eines Projektes diese Aspekte von tragender Bedeutung sind.

Ein weiterer Wunsch zielt in eine ähnliche Richtung und wurde in den unterschiedlichsten Kontexten immer wieder diskutiert: Welche Verantwortung haben Museen und in welchem Maße sollten sie Haltung zeigen? Diese Diskussion wäre auch spannend in Bezug auf u.a. die Themen der Ansammlung und Analyse von Daten zu führen.

Fehlende Ressourcen?

Anders als in manch anderen Kontexten, in denen Museen zum Austausch aufeinandertreffen, steht im Fokus der MAI-Tagung nicht der Mangel der Kapazitäten, sondern vielmehr das motivierende Ergebnis. Trotzdem klingt es in den vielen Vorträgen immer wieder an, was Museen nicht leisten können, was nur durch Sonderförderungen ermöglicht wird und dass oft die langfristige und nachhaltige Perspektive fehle. Dr. Gunther Reisinger von der Agentur NOUSdigital Wien betont am Rande eines Vortrages die extrem wichtige Position der Agenturen, wenn es um den Erfolg in der Umsetzung eines digitalen Angebotes geht – und auch davon wissen wir nicht nur ein Lied zu singen. Weiter wurde in diesem Kontext hervorgehoben, dass Agenturen dadurch, dass sie oftmals verschiedene Museen betreuen und über entsprechende Einblicke verfügen, besser als Museen selbst wissen, welche Bedürfnisse sie haben.

Auch, wenn das auf viele Häuser zutrifft, sollte/muss es nicht der Anspruch sein, diese Expertise selbst und intern aufzubauen? Und wenn in der eigenen Einrichtung keine*r dazu geeignet erscheint, sollte das nicht ein Anstoß sein, das Thema des Recruitings und der Frage, wie das Haus auch für diese – im Museumskontext – neueren Stellenprofile attraktiv werden kann, neu zu denken? Diese Aspekte streifte auch Dr. Antje Schmidt vom Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg in ihrem sehr beachtenswerten Short Cut, der u.a. zeigte, was die viel beschworene digitale Transformation mit den im Museum arbeitenden Menschen macht, mit welchen Tools man diesen positiv besetzen und begleiten kann und vor allem auch, welche Formen der Zusammenarbeit die digitale Museumspraxis braucht. Die Schlüsselbegriffe waren hier Teilhabe, Vertrauen und Empathie – wichtige Faktoren, die oftmals in der Teamzusammenarbeit vergessen oder nicht ausreichend gelebt werden.

Jede*r für sich oder doch kollaborativ?

Neue Formen der Zusammenarbeit benötigt es aus unserer Sicht auch in Bezug auf die Museen untereinander. Unter den gegebenen Voraussetzungen ist es vermutlich in keinem Haus leicht, neue digitale Anwendungen zu entwickeln. Streift man durch die digitale Museumslandschaft, findet man bewährte Konzepte in abgewandelter Form an unterschiedlichen Stellen. Und das ist auch gut – würde nicht jedes Haus neue finanzielle und personelle Ressourcen in die Entwicklung und Umsetzung stecken. Mit sehr gutem Beispiel geht hier u.a. das Projekt nextmuseum.io voran: Hier wird das Repository der im Projekt entwickelten Applikation ARt chat open source zur Verfügung gestellt. Zudem arbeitet das von der Kulturstiftung der Länder geförderte Vorhaben daran, browserbasierte XR-Kunsterlebnisse stabil zu ermöglichen. Auch von diesen Erkenntnissen und Errungenschaften könnten viele profitieren und endlich auf die mit Zugangshürden versehenen nativen Apps verzichten.

Viele Einrichtungen haben – auch das zeigt der Austausch mit den Kolleg*innen vor Ort – sehr ähnliche Bedürfnisse und Herausforderungen. Umso wichtiger wäre es, auch hier Synergien zu bilden und voneinander zu lernen. Oft liegt der Fokus auf einzigartigen Leuchtturmprojekten, dennoch wäre eine Nachnutzung dieser Angebote effizienter und Ressourcen könnten entsprechend an anderer Stelle zielführender eingesetzt werden. In punkto zielführend kam – nicht nur bei der MAI-Tagung, sondern vielmehr auch bei einem allgemeinen Blick auf die digitalen Angebote der Museen – der Eindruck auf, dass es oftmals nicht am Geld, sondern am sinnvollen, besucher*innenorientierten und nachhaltigen Einsatz dessen hakt.

Drei junge Personen in der Kunsthalle Karlsruhe. Der grüne Saal hängt voller alter Gemälde.

Mehr Offenheit, failures, & worst practice

Was nicht nur bei der MAI-Tagung immer wieder auffällig ist und was wir uns als Museumsmitarbeiterinnen viel mehr wünschen würden: Noch mehr Offenheit, mehr failures, mehr worst practice-Beispiele. Auch wir haben selbst in den vergangenen Jahren immer wieder erlebt, dass die großartigsten Ideen nichts nützen, wenn das Verständnis und die Expertise für die Sinnhaftigkeit und Bedarfe von digitalen Vermittlungsangeboten nicht vorhanden sind, oder man nicht die richtigen Partner*innen an der Seite weiß. Neben den vielen best practice-Beispielen würde uns interessieren: Wie stemmt Ihr solche Mammutprojekte personell? Wie findet man für die Entwicklung digitaler Anwendungen eine geeignete Agentur und wie kann ein gutes und zielführendes Zusammenarbeiten gelingen? Wie schafft Ihr es, nachhaltiges Verständnis und Engagement innerhalb der Kollegenschaft für die Notwendigkeit von digitalen Vermittlungsansätzen zu erzeugen? Wie werden bei Euch Prioritäten gesetzt – und wann wird auch mal was gestrichen? Woran seid Ihr schon einmal richtig gescheitert? Was kann getan werden, damit Museen beweglicher werden? Wie kommen wir aus den sich jahrzehntelangwiederholenden Gesprächen heraus und schaffen Strategien zur Transformation, die tatsächlich umgesetzt werden? Wie können wir Angebote entwickeln, die nicht nur „für ein Museum gut“, sondern auch im übergreifenden Maßstab der anvisierten Zielgruppe bestehen können?

Wir Ihr seht: Die MAI-Tagung 2022 war für uns gut und wichtig, um neuen Input zu erhalten, denn wir haben mit vielen wichtigen Fragen und Anregungen im Gepäck das schöne Bonn verlassen. Wie sind Eure Gedanken dazu? Gerne würden wir mit Euch in den Diskurs gehen und freuen uns auf einen offenen Austausch in den Kommentaren, auf Twitter oder bei der nächsten Tagung.