Daniela Sistermanns, 11. Februar 2022

Das geschlossene Museum: Über Chancen im Aufbruch

Das, worauf sich alle Museen bundesweit während der Corona-Pandemie immer wieder einstellen mussten, ist seit dem 1. November 2021 für die Kunsthalle zu einem Dauerzustand geworden: das geschlossene Museum.

Wir dürfen uns nichts vormachen: Sieben Jahre sanierungsbedingte Schließzeit wird für das Team der Kunsthalle eine besondere Herausforderung – und dies gilt ausnahmslos für jeden Arbeitsbereich. Und auch wenn hinter den Kulissen die Umzugsvorbereitungen auf Hochtouren laufen, gesichtet, gepackt, kalkuliert und geplant wird, laufen parallel die originären Aufgaben der Kolleg*innen weiter.

Die Abteilung Kommunikation ist zwar aktuell nicht mit Konzepten zur Bewerbung und digitalen Vermittlung aktueller Ausstellungen beschäftigt, wird aber spätestens seit dem vergangenen Jahr intensiv von vielen Fragen umgetrieben: Wie bleibt ein geschlossenes Museum lebendig? Wie können wir in diesen Zeiten unseren Bildungsauftrag erfüllen? Wie erfüllen wir auch innerhalb dieser so großen (und so wichtigen Zäsur!) einen unserer wichtigsten Aufträge als Museum, nämlich den, die Sammlung weiterhin zu vermitteln? Diese Fragen wurden umso drängender, da durch die Schließzeit die digitalen Weichen, die bereits in den vergangenen Jahren so umfangreich gestellt wurden, nun unser Hauptkommunikationsmedium werden.
Als ich vor fast genau einem Jahr die Abteilungsleitung der Kommunikation in einem Haus übernahm, das kurz vor der Schließzeit stand, war genau dieser Aspekt einer, der mich sehr reizte – vor dem ich gleichzeitig aber auch einen riesigen Respekt verspürte. Die Aufgaben, die uns bevorstehen, werden wahrscheinlich mit keinen bisherigen Projekten vergleichbar sein, in denen wir zuvor mitgewirkt haben – uns steht eine aufregende Zeit bevor!

Aber wie genau entwickelt man ein Kommunikationskonzept für ein Museum, das zeitweise nur im Digitalen und temporär an Interimsstandorten existiert? Allen Maßnahmen vorangestellt ist natürlich der Blick auf die unterschiedlichen Zielgruppen: Somit müssen unsere Besucher*innen, die die analoge Form der Information und Vermittlung schätzen, genauso innerhalb eines ganzheitlichen Konzepts gedacht werden, wie auch diejenigen, die ohnehin aus unterschiedlichen Gründen vorrangig den digitalen Zugang zur Kunsthalle suchen. Die verschiedenen Kommunikationsformen müssen auch mit Blick auf die Dauer der Schließzeit langfristiger gedacht und breiter aufgestellt sein als bei einer üblichen Ausstellungskampagne, die im Vergleich für eine sehr begrenze Laufzeit relevant ist und sich je nach Thema oftmals auch an ein sehr spezifisches Zielpublikum richtet.

360° Grad-Tour als sukzessive Erweiterung

Ein erster Wegbereiter für die digitale Interimszeit war die Erstellung einer 360° Grad-Tour der Kunsthalle. Das ist mittlerweile ein beliebter Ansatz in vielen Einrichtungen, der sich vor allem während der Corona-Zeit etabliert hat, um einen Zugang zu Ausstellungspräsentationen zu schaffen, die aktuell nicht besuchbar sind. Für die Kunsthalle ist dieser virtuelle Erlebnisraum gleichzeitig aber auch eine Form der Konservierung – denn die Architektur und Sammlungspräsentation, wie sie innerhalb des 360°-Rundgangs zu sehen ist, wird nach der Sanierung so nie wieder erlebbar sein. Die virtuelle Tour wurde von Beginn als Basis-Angebot gedacht, das in den kommenden Monaten und auch Jahren um partizipative Elemente erweitert wird. Pünktlich zur Schließung der Kunsthalle am 1. November launchten wir daher eine Quiz-Challenge innerhalb der virtuellen Tour, die einen spielerischen Ansatz verfolgt: Hierbei können die digitalen Besucher*innen ihr Wissen rund um die Kunsthalle und ihre Werke testen und sich so Raum für Raum „freispielen“ und sogar ihre Best-Zeiten messen.

Screenshot einer Fragestellung innerhalb der 360 Grad Challenge der Kunsthalle Karlsruhe.
Auszug aus der 360 Grad Challenge

Aktuell stehen wir vor zwei weiteren großen Erweiterungen der 360°-Tour: Um der zweidimensionalen Videokonferenz-Ästhetik etwas entgegenzusetzen, verfolgen wir die Umsetzung von Live-Führungen durch die 360°-Umgebung. Zwei Kolleginnen der Abteilung Sammlung und Wissenschaft werden im Dialog durch die virtuelle Kunsthalle schreiten und über die typischen Bildbetrachtungen hinaus dabei sowohl spannende als auch ungewöhnliche Einblicke in die Räumlichkeiten des Museums gewähren. Während der Entwicklungsphase mussten wir uns aber auch immer wieder aufgrund technischer Machbarkeit von Wünschen verabschieden. Die Live-Führung wird über einen YouTube-Stream verfolgbar sein; die User*innen sind animiert per Chat-Funktion Wünsche zu äußern oder Fragen an die Kolleginnen zu stellen. In bereits zwei Probeläufen haben wir gemeinsam mit ausgewählten Test-Personen das neue Format sowohl technisch als auch inhaltlich vorstellen können, dabei viel positives Feedback und wichtige Hinweise erhalten, sodass wir im März an den offiziellen Start gehen.

Der dritte Baustein zur Erweiterung der 360°- Tour erinnert zugegebenermaßen an beliebte Lebenssimulations-Games: Mittels eines Atelier-Tools werden die digitalen Besucher*innen im imposanten grünen Saal der Kunsthalle selbst zu Kurator*innen werden. Dabei steht eine Reihe von Werken, die einen Querschnitt durch die renommierte Museumssammlung bilden, zur Auswahl, und sind mit verschiedenen historischen Rahmen kombinierbar. Über die Auswahlmöglichkeiten erhalten die User*innen auch hier einen spielerisch-informativen Zugang zu den einzelnen Kunstwerken, sie können sich intuitiv über epochenspezifische Eigenheiten informieren, kreativ betätigen und die Ergebnisse mit ihrer Community teilen.

Podcast als wichtiges Interimsmedium

Ein großer Umbruch steht der Kunsthalle auch in Sachen „Podcast“ bevor: Der bislang existierende Podcast Kunstgedanken, in dem Menschen aus Kunst, Kultur und Gesellschaft zu Wort gekommen sind, wird substanziell gerelauncht. Innerhalb eines Workshops mit dem Podcast-Experten Thomas Frank hat sich das Kunsthallen-Team die Frage gestellt: Was soll ein guter Museums-Podcast leisten? Welche Zielgruppen wollen wir damit erreichen und welche Themen könnten für die – zum Teil neu zu erschließende – Hörerschaft interessant sein? Das Ergebnis dieses Tages und weiterer interner Brainstorming-Termine war ein riesiger Berg an vielen und größtenteils auch unkonventionellen Ideen, die 2022 endlich Form annehmen sollen. Uns ist es vor allem wichtig, dass die zukünftigen Podcast-Formate der Kunsthalle genauso facettenreich sind, wie das Museum selbst und auf die verschiedenen Bedürfnisse der Zuhörerschaft eingehen. Von kurzweilig bis episch, von leicht zugänglich bis zu nerdy: Die Formate sollen unterhaltend sein, dennoch tiefgründigere Zugänge bieten, zu Diskursen anregen und vor allem neue Perspektiven öffnen!

In all den digitalen Möglichkeiten werden wir selbstverständlich neben den ohnehin schon digital Affinen auch unsere Besucherschaft mitdenken und mitnehmen, die sich vorrangig für die analogen Informationswege interessieren. Somit soll kurzerhand unser Quartalsprogramm, das regelmäßig über Ausstellungen und Veranstaltungen berichtete, zu einem Format transformiert werden, das Geschichten aus der Sanierungsphase genauso aufgreifen soll wie aktuelle Fragestellungen – dies gepaart mit dem Hinweis auf unser digitales (Führungs-)Angebot, das innerhalb der Schließzeit regelmäßig stattfinden wird. Mit dem Start der großen Sammlungs-Präsentation im ZKM | Zentrum für Kunst und Medien ab Herbst 2022 werden sich auch in diesem Rahmen sicherlich viele neue Anknüpfungspunkte ergeben.

Das Museum kann überall stattfinden

Bei all diesen Plänen und mit Blick auf die bisherigen kommunikativen Wege treibt uns aber auch immer wieder eine Frage um, auf die wir noch keine befriedigende Antwort gefunden haben: Wenn wir einen Großteil der Kunsthallen-Aktivitäten im Digitalen stattfinden lassen, wie können wir es schaffen, dass der Diskurs innerhalb der Community verstärkt wird? Wie kann man vermehrt in den Dialog treten und teilhaben an den Bedürfnissen der unterschiedlichen User*innen? Nachhaltige Interaktionen und Kommentare innerhalb unserer Social Media-Kanäle sind weniger geworden. Digitale Aufrufe und Fragen werden oftmals nicht in Anspruch genommen. Will sich eine bestimmte Generation von User*innen vielleicht einfach nicht mitteilen? Oder sind die Kanäle, die wir zur Verfügung haben, für diese Form der Interaktion die falschen?

Ich kehre zurück zu unserer Ausgangslage: das geschlossene Museum. Drei Worte, die vielleicht erst einmal angsteinflößend wirken. Ich sehe aber vor allem viele Chancen in diesem Aufbruch. Langjährige Modelle, egal in welchem Arbeitsbereich, können in neuem Licht erscheinen, aus anderen Perspektiven betrachtet und kritisch hinterfragt werden. Für die Abteilung Kommunikation sind die skizzierten Schließzeit-Projekte nur ein Auftakt in diesem Aufbruch, der uns vor die große Herausforderung stellt, unser Zielpublikum neu zu denken sowie neue und zum Teil unkonventionelle Wege zu suchen, damit die Sammlung der Kunsthalle Karlsruhe auch weiterhin im Gedächtnis der Menschen haften bleibt. Spätestens jetzt ist es an der Zeit, die Institution „Museum“ neu zu denken: Als einen Ort, der nicht abhängig von physischen Besuchen ist, sondern als einen Ort, der überall stattfinden kann.