Voyeurismus und Pornografie in Hans Baldung Griens Hexenbildern
Hans Baldung Griens zum Teil drastische Hexendarstellungen sind charakteristisch für den Künstler. Die Kunsthistorikerin Prof. Dr. Sigrid Schade ordnete diese ein und geht im Folgenden auf die voyeuristischen und pornografischen Aspekte der Werke ein.
Die Wiederaufnahme des antiken Aktbildes kann aus heutiger Sicht als eine der erfolgreichsten „Marketing“-Strategien der Renaissance-Künstler bezeichnet werden.
Südlich der Alpen wurden vor allem mythologische Themen wie u.a. Venus und Nymphen als Vorwand für weibliche Aktbilder aufgegriffen, die eine scheinbar ideale Schönheit bebilderten.
Nördlich der Alpen wurden weibliche Aktbilder auch mit der Figur der Hexe fusioniert, von Altdorfer und Dürer zuerst, vor allem aber von Hans Baldung Grien. Erotisch aufgeladene Darstellungen mit dem Hexen-Thema zu verbinden, ermöglichte es ihm – von Kirche und Obrigkeit weitgehend unzensiert – direkte sexuelle Anspielungen zum persönlichen und privaten Gebrauch und Vergnügen männlicher Käufergruppen anzubieten.
Die Hexendarstellungen von Hans Baldung Grien gehören zu den spektakulärsten seiner visuellen Gestaltungen. Ein wesentlicher Grund dafür ist, dass sie – vor allem Männer – zu einer neuen Weise des Sehens und Genießens von Bildern einluden, die man als pornografisch bezeichnen kann.
In den ersten Holzschnitten von Hexenszenen zwischen 1510 und 1514 werden die dargestellten weiblichen Akte noch durch die aus den Illustrationen bekannten Attribute (Furken, Feuer, Ziegenböcke, Zauberutensilien) als Hexen ausgezeichnet.
Zugleich zeigt Baldung ihre Körper in expressiven, obszönen und provokativen Haltungen, die nichts mehr mit dem klassisch idealen Aktbild der Renaissance gemein haben.
Hierfür greift er auf Imaginationen des Hexensabbats zurück, deren phantasierten Rituale von ausschweifender und devianter Sexualität (mit dem Teufel, mit Tieren etc.) und Akte sexueller und körperlicher Autonomie der Frauen (Abtreibung, Onanie, Anhexen von Impotenz etc.) die Legitimation dafür lieferten. In der Zeichnung Drei Hexen von 1514 – übrigens ein Neujahrsgruss für einen ihm bekannten Kleriker – sind diese Merkmale der Hexen nur noch vereinzelt zu sehen.
Der wild agierende weibliche nackte Körper wird selbst zum Attribut, bzw. zur Verkörperung der Hexe, so wie auch in dem späteren Ölgemälde Zwei Wetterhexen von 1523.
Diese Verschiebung des Hexenbildes von der Schadenzaubertaten ausübenden Frau hin zur „Magie“ ihres Körpers, verschiebt auch den Blick des Betrachters von dem des belesenen und des die Hexenvorstellungen aus Schriften wiedererkennenden Kenners hin zu dem eines Voyeurs, der sich an den Verführungsphantasien visuell ergötzt.
Baldung macht in seinen Inszenierungen auch den voyeuristischen Blick und die Wünsche des Betrachters sichtbar: durch die direkte Adressierung mittels Blicke aus dem Bild, durch explizites Zu-Sehen-Geben der Körper als Aufforderung zur Identifizierung mit den Akteuren. Er macht die Voyeure auf sich selbst und ihre Schaulust aufmerksam.
Die Frage ist natürlich, ob er damit solche Blickwünsche und die Schaulust auch als Ursache für die Hexenimaginationen der Verfolger „entlarvte“ oder ob er sie nicht „befeuerte“.
Unbestritten ist, dass diese Darstellungen seine Sichtbarkeit und seinen Erfolg als Künstler mitbegründeten, in manchen prüderen Phasen der Kunstgeschichtsschreibung aber auch einschränkten. Seine Hexenbilder gehören jedenfalls zu den am häufigsten rezipierten Werken, die bis ins 19. Jahrhundert hinein innerhalb und außerhalb des Hexenthemas als Vorlage für pornografische Bilder anderer Künstler dienten.
Am 6.2.20 hält die Kunsthistorikerin begleitend zu der Ausstellung Hans Baldung Grien. heilig | unheilig einen Vortrag zu diesem Thema.