Prof. Dr. Frédéric Bußmann im Gespräch mit Anke von Heyl
Prof. Dr. Frédéric Bußmann übernimmt zum 1.8.23 die wissenschaftliche Direktion der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe und leitet künftig gemeinsam mit Geschäftsführer Florian Trott das Museum.
Kunsthistorikerin, Moderatorin und Kulturberaterin Anke von Heyl sprach mit ihm u.a. über seine Visionen und Vorhaben als Direktor, die (digitale) Transformation, neue Zielgruppen sowie die Zukunft von Museen und Ausstellungen.
Lieber Frédéric, ich habe mich sehr gefreut, als ich erfuhr, dass du neuer Direktor der Kunsthalle Karlsruhe bist. Zum einen natürlich, weil ich der Kunsthalle sehr verbunden bin und ihr nur die Besten wünsche! Zum anderen, weil ich dich und dein Engagement für das Digitale auf Twitter verfolgt habe und wir zuletzt ja auch über eine Kulturinstanz auf Mastodon im Austausch waren. Deswegen zielt meine erste Frage auch in diese Richtung: Wie hältst du es mit dem Digitalen? Welchen Stellenwert nimmt unter deiner Leitung die Digitalität in der strategischen Ausrichtung der Kunsthalle Karlsruhe ein?
Das Digitale wird einen hohen Stellenwert einnehmen! Auch wenn ich in einer analogen Welt aufgewachsen bin – was ich als einen großen Reichtum empfinde –, habe ich mich seit Mitte der 1990er Jahre intensiv mit digitaler Kommunikation und dem Internet auseinandergesetzt. Das Digitale bildet inzwischen die Grundlage unserer Arbeits- und Kommunikationsprozesse, im Digitalen spielt sich ein Großteil der Debatten und der Öffentlichkeit ab. In der Kunsthalle Karlsruhe werden bereits seit einigen Jahren intensiv und differenziert digitale Techniken im Bereich der Kommunikation und Vermittlung genutzt. Das möchte ich fortführen und dort, wo sinnvoll, noch stärken. Auch unsere gesamte Arbeit sollte digital und vernetzt passieren. Das hat natürlich auch Auswirkungen darauf, wie wir uns organisieren und kommunizieren. Es ist also ein umfassender Prozess, der sich auf interne Abläufe ebenso auswirkt wie auf unser Verhältnis zum Publikum. Das berührt auch Fragen der Expertise, des auktorialen Erzählens sozusagen, wer darf wie auf welcher Grundlage und Autorität sprechen, und kann zu einer Öffnung von Wissen und Teilhabe führen. Dabei geht nicht um das Spiegeln des Analogen im Digitalen, sondern um eigene digitale Angebote und Realitäten, die für sich stehen.
Nichtsdestotrotz sind Museen aus meiner Sicht zuvorderst analoge Räume mit zumeist analogen Objekten; gerade die Kunsthalle Karlsruhe hat eine wunderbare Sammlung von herausragenden und zum Teil sehr alten Kunstwerken, die über eine hohe Präsenz im Raum verfügen. Die Wahrnehmung von Objekten im Raum durch Menschen und die Reflektion darüber steht meiner Auffassung von Museum nach im Fokus aller Bemühungen. Aber ich will hier keinen künstlichen und überflüssigen Widerstreit von Analog und Digital heraufbeschwören, sondern das Beste beider Welten nutzen.
Es geht nicht um das Spiegeln des Analogen im Digitalen, sondern um eigene digitale Angebote und Realitäten, die für sich stehen.
Die Tradition der Kunsthalle Karlsruhe ist beeindruckend! Eine der ältesten Sammlungen Deutschlands. Wer die Kunstgeschichte liebt, der kommt aus dem Schwärmen gar nicht mehr heraus. Für mich ist es aber immer wieder eine große Herausforderung, Kunst an die Bedarfe einer sich derzeit extrem wandelnden Gesellschaft anzuschließen. In Chemnitz habt ihr ja von den Kunstsammlungen initiiert einen Open Space in der Stadt eingerichtet, was ich fantastisch finde. Nimmst du solche Konzepte auch mit nach Karlsruhe?
Karlsruhe hat eine beeindruckende und traditionsreiche Sammlung auf höchstem europäischen Niveau. Diese muss in die Gegenwart übersetzt werden, gerade auch die Alten Meister mit ihren vielfältigen religiösen Bezügen. So sind die Vermittlungsarbeit und das Übersetzen der vergangenen Zeiten in die heutige gesellschaftliche Realität, die Schaffung von Relevanz für unsere Gegenwart, eine der großen Herausforderungen des Museums. Jedes Museum bewegt sich von der Geschichte und Sammlung her, den Traditionen, den identitätsstiftenden Elementen, der Programmatik und künstlerischen Ausrichtung in einem jeweils sehr spezifischen Kontext, was ja gerade den Reichtum der Museumslandschaft in Deutschland ausmacht. Und jedes Museum hat eigene Publika und gesellschaftliche Kontexte, mit denen es im Dialog steht. Diese Dialogbereitschaft, nicht nur senden zu wollen, sondern auch zu empfangen und zu reflektieren, setzt voraus, dass ein Museum sich öffnet, aus der Komfortzone normativer Räume auch mal ausbricht und neue Orte bespielt, neue Publika in den Fokus rückt und neue Ansprachen wählt.
Der Chemnitz Open Space funktionierte sehr gut, hat wichtige Impulse durch das gemeinsame Bespielen des Ortes mit anderen Institutionen und Vereinen, mit Initiativen und Bürger:innen in die Stadtgesellschaft gegeben. Das Museum hat das Umfeld ein Stück weit ‚empowert‘ und umgekehrt auch an Wirksamkeit und Glaubwürdigkeit gewonnen. In Karlsruhe angekommen, werde ich mehr über die Stadt(gesellschaft) lernen, die Situation, die Menschen und Diskussionen besser kennenlernen, um zu verstehen, wie wir mit dem Team zusammen die richtigen Projekte und Räume entwickeln können. Hier finde ich es zum Beispiel sehr wichtig, dass es die Junge Kunsthalle gibt und auch die neue Heimstätte im ZKM kann durch die neuen Nachbarschaften viel produktive Energie auslösen. Vielleicht lassen sich noch weitere Orte finden, um bei ganz unterschiedlichen Communities als Partner präsent zu sein?
Karlsruhe hat eine beeindruckende und traditionsreiche Sammlung auf höchstem europäischen Niveau. Diese muss in die Gegenwart übersetzt werden.
Unlängst wurde eine neue Museumsdefinition bei ICOM veröffentlicht, die wohl ziemlich lange diskutiert worden ist. Mir gefällt an der neuen Position vor allem der Aspekt der Vielstimmigkeit, den Museen nun auch als ihre Aufgabe ansehen. Wir sprechen hier den Wandel der Institutionen und die Transformation im Kulturbereich an. Was ich beobachte: Wenn es ans Machen geht, gibt es durchaus immer noch viele Hürden. Wie ist deine Haltung generell im Hinblick auf die zukünftige Rolle von Museen.
Ich empfinde Vielstimmigkeit nicht als Unstimmigkeit, sondern als Bereicherung. Insofern begrüße ich die Erweiterung der ICOM-Museumsdefinition, da ich Museen nicht als abgeschlossene Systeme sehe, sondern immer im Dialog mit dem jeweiligen gesellschaftlichen Umfeld. Das Verhältnis von Kunst und Gesellschaft war immer im Wandel, das war nie statisch, gerade seit der Moderne. Traditionell simulieren Museen aber Ewigkeit, Beständigkeit und Anspruch auf die eine Wahrheit, daraus gründet sich ein Stück weit auch die öffentliche Förderung und das symbolische Kapital von Museen, besonders von Kunstmuseen. Aber natürlich wissen wir, dass dieser Anspruch nur eine Behauptung ist, die immer wieder neu verhandelt, begründet und auch kritisch hinterfragt werden muss. Damit will ich nicht die Grundfesten der Museumsarbeit im Bewahren, Sammeln, Erforschen und Vermitteln in Frage stellen, aber es ist klar, dass sich der Blick und das Verständnis von Kunst und von Museen in einem kontinuierlichen Wandel befindet. Deshalb hat jede Generation aufs Neue das Recht-vielleicht sogar die Pflicht -eigene Perspektiven, Argumentationen und Interpretationen zu entwickeln, was ja der Kern der Geschichtswissenschaft ist. Unsere Diskurse ändern sich, entsprechend auch das Verhältnis von Kunst, Institution, Publikum und Gesellschaft. Die Vermittlung tritt gleichberechtigt in den Dialog mit der Wissenschaft, kulturelle Teilhabe ist eine zentrale Forderung auch an Museen, unterschiedliche Publika reklamieren Repräsentanz in den öffentlich geförderten Einrichtungen, Multiperspektivität gibt Raum für Horizonterweiterungen und neue Sichtweisen, die nicht die wissenschaftlich-kuratorische Sicht ersetzen, aber ergänzen kann. Dem sollten wir angemessen begegnen, uns öffnen und diese neuen Nachbarschaften, die uns bereichern, suchen und schätzen lernen, ohne Angst vor Veränderungen zu haben.
Es geht nicht darum, auf einmal alles anders zu machen und keine wissenschaftliche Grundlage für die eigene Arbeit zu haben, sondern darum, das Gute zu bewahren, sich zugleich auf Experimente einzulassen und die Vielstimmigkeit wie bspw. durch neue Nachbarschaften als Bereicherung und nicht als Bedrohung zu sehen.
[…] Damit will ich nicht die Grundfesten der Museumsarbeit im Bewahren, Sammeln, Erforschen und Vermitteln in Frage stellen, aber es ist klar, dass sich der Blick und das Verständnis von Kunst und von Museen in einem kontinuierlichen Wandel befindet.
Du bist in Frankreich geboren und hast schon woanders gesagt, dass die Sammlung der Kunsthalle mit eindeutig französischem Einschlag ein Grund war, warum dich der Posten als Direktor gereizt hat. Das ist eine tolle Ausgangslage, wenn man auch über die regionalen Grenzen hinaus wirken will. Hier können Marketing und Vermittlung im Sinne des Audience Development viel leisten. Hast du schon Ideen mitgebracht, das auszubauen?
Frankreich war lange Zeit kultureller und künstlerischer Referenz- und Anziehungspunkt für weite Teile Deutschlands und hat auch die Sammlung in Karlsruhe mitgeprägt. Grundsätzlich möchte ich die sowieso schon guten Beziehungen zu Frankreich und französischen Institutionen weiter ausbauen und mit Leben füllen. Die europäische Integration ist das große Friedensprojekt des 20. Jahrhunderts und Grundlage für unsere Zukunft. Diese muss gelebt werden, gerade mit Blick auf unseren Nachbarn Frankreich, galten unsere westlichen Nachbarn doch über Generationen hinweg als Erbfeind und wurden dann zu den engsten Verbündeten für ein friedliches und prosperierendes Europa. Grundsätzlich würde ich mir wünschen, dass wir unsere Präsenz in Frankreich weiter erhöhten, gemeinsame Ausstellungsprojekte entwickelten, den Austausch vielleicht auch auf personeller Ebene vorantrieben und anderes mehr anstießen. Karlsruhe ist hier ein natürlicher Brückenkopf nach Frankreich, sodass ich auf kuratorisch-wissenschaftlichem Gebiet, aber auch mit Blick auf Marketing in der Europaregion und durch Vermittlung die Beziehungen vertiefen möchte. Wir müssen bei unseren Nachbarn präsent sein, attraktive Angebote machen.
Karlsruhe ist ein natürlicher Brückenkopf nach Frankreich […]
Man weiß von dir, dass dir Demokratiebildung ein wichtiges Anliegen ist und du dich auch politisch engagierst. Ich verfolge in Debatten die Haltung – ehrlich gesagt öfter aus der Perspektive der Kunstmuseen – dass man als Museum ein neutraler Ort bleiben müsse. Meiner Meinung nach bieten sich aber auch bei Bildender Kunst viele Chancen, dass man dem Denken eine andere Richtung geben könnte, oder? Was ist deine Meinung dazu?
Museen sind Bildungsinstitutionen und sind Orte der kulturellen Teilhabe und damit auch der demokratischen Prozesse. Ich denke nicht, dass es neutrale Orte gibt, auch eine vordergründige Neutralität ist eine Aussage. Im Zweifelsfall kann einem die noble Zurückhaltung als Desinteresse oder gar Zustimmung ausgelegt werden. Parteipolitisch sollten Museen sich neutral verhalten, aber ich sehe Museen als gesellschaftliche Akteure, die sich in bestimmten Konstellationen mit ihren Mitteln in gesellschaftspolitische Debatten einbringen können. Museen können durchaus Debatten führen, andere Impulse setzen, andere Zugänglichkeiten zu kritischen Themen schaffen, vielleicht auch über Emotionen und soziale Verbindungen zu einem Kern von Konflikten und Kontroversen vorstoßen, die über einen rein wissenschaftlichen Diskurs hinausgehen und die Menschen zur Reflektion animieren können. Auch viele zeitgenössische Künstler*innen beschäftigen sich mit politischen und gesellschaftlichen Fragen, ihre Arbeit kann eine große Bereicherung für Museum und Publikum sein, da wir im Idealfall verstehen und erleben können, wie unser eigenes Denken bereichert wird, wie unsere festen Standpunkte vielleicht auch in Frage gestellt werden und wir uns kritischen Debatten in der offenen Gesellschaft stellen können.
Parteipolitisch sollten Museen sich neutral verhalten, aber ich sehe Museen als gesellschaftliche Akteure, die sich in bestimmten Konstellationen mit ihren Mitteln in gesellschaftspolitische Debatten einbringen können.
Ich komme nochmal auf das Thema Transformation zurück. Alles, was wir bis hierhin gesprochen haben, muss gelebt, muss umgesetzt werden. Und wenn wir über Wandel verbunden mit Veränderung sprechen, dann stellt sich auch die Frage nach neuen Arbeitsformen und -weisen. Es ist von dir das Stichwort Experiment an anderer Stelle schon angesprochen worden und es gibt mit der Schließungszeit eine spannende Situation, in der man möglicherweise Dinge anders angehen könnte. Was sind aus deiner Sicht wichtige Voraussetzungen, um sich auch auf Experimente (und möglicherweise Neues und Radikales) einlassen zu können?
Die Phase des Umzugs hat das Team viel Energie abverlangt. Das ist wohl ein einmaliger Vorgang in einem Museum, dass die gesamte Sammlung, Archive, Bibliothek, Büros und Werkstätten ausgelagert werden müssen. Nun gibt es eine sehr gute Bürosituation und eine gute Präsentation der Sammlung im ZKM, sodass der Blick in die Zukunft gerichtet werden kann in einem neuen Umfeld jenseits der alten Komfortzone, jenseits der eingefahrenen Wege und Vorstellungen. Das kann ja den Blick erfrischen, neue Perspektiven können eingenommen werden, neue Formate versucht und neue Nachbarschaften erkundet werden. Die Sanierungsphase bietet uns als Team Gelegenheit, uns zu unseren Vorstellungen von Museum, unserer Arbeitsweise und Strukturen, auch unserem Verhältnis nicht nur zu Kunst und Künstler*innen, sondern auch zu Stadt und Gesellschaft zu befragen, unser Selbstverständnis abzuklopfen, oder eben auch ephemere Präsentationen an eher ungewöhnlichen Orten zu bespielen, unsere Angebote und Kommunikation offener zu gestalten und zu den Menschen hinzugehen. Wir werden nicht alles überall machen können, auch nicht alles für alle, aber differenziert bestimmte Angebote machen und Dinge ausprobieren. Somit können wir diese Zeit zum Lernen nutzen, um mehr über unsere eigene Arbeit und unsere Publika erfahren und hoffentlich dann produktiv in unsere Arbeit im dann sanierten Museum weiterzuführen.
[…] neue Perspektiven können eingenommen werden, neue Formate versucht und neue Nachbarschaften erkundet werden.
Museen sind auch forschende Institutionen. Gibt es neuere kunsthistorische Forschungsfelder, die auch für die Kunsthalle Karlsruhe spannende Impulse liefern könnten? Mit welchen Fragen könnte man vielleicht auch die Sammlung neu beleuchten?
Ich persönlich verfolge einen eher kulturhistorischen Ansatz der Kunstgeschichte, habe mich immer auch für den historischen, politischen, kulturellen und gesellschaftlichen Kontext von Kunst interessiert, entsprechend meine Dissertation über das Sammeln als Strategie im Rahmen politischer und kultureller Rivalitäten im Frankreich der Aufklärung geschrieben. In den letzten Jahren und Jahrzehnten haben weitere wissenschaftliche Ansätze und Forschungsbereiche die Kunstgeschichte geprägt, bildwissenschaftliche Ansätze und globale Perspektiven wie sie ja etwa Hans Belting als lange Zeit prägender Kopf der HfG Karlsruhe vertreten hat, die Entgrenzung der Künste und ihre Intermedialität, feministische Ansätze bzw. Genderfragen oder der Blick auf den kolonialen Kontext und postkoloniale Ausrichtungen. Neuere Forschungsansätze werden ja mit großem Erfolg seit Längerem bei uns betrieben, und auch die Öffnung zur Fotografie unter eher bild- und kulturwissenschaftlichen Ansätzen wurde gerade vollzogen. Aber im Museumsbetrieb gibt es ja in der Regel eine ganze Reihe von Wissenschaftler*innen jenseits des Direktors, die ihre eigenen Ansätze haben und am wissenschaftlichen Austausch teilhaben. Ich bin hier völlig offen für andere wissenschaftliche Ansätze, die im Kontext der Sammlung von Bedeutung sein können, welche genau das sein könnten, wird sich zeigen, wenn ich mich vor Ort intensiv mit der Sammlung auseinandersetzen konnte.
Neuere Forschungsansätze werden ja mit großem Erfolg seit Längerem bei uns betrieben, und auch die Öffnung zur Fotografie unter eher bild- und kulturwissenschaftlichen Ansätzen wurde gerade vollzogen.
Vielleicht können wir am Schluss auch noch einmal das Thema Nachhaltigkeit in den Blick nehmen. Und in dem Zusammenhang auch die Vorstellung von Blockbuster-Ausstellungen. Hältst du die weiterhin für notwendig? Auch im Hinblick auf die Wahrnehmung beim Publikum?
Die Frage zielt auf ein großes Dilemma der Museumsarbeit, dem wir uns stellen müssen und zu der ich noch keine befriedigende Antwort habe. Die Forderung, die sich in den letzten Jahren mit einer enormen Geschwindigkeit angesichts der dramatischen Entwicklung im Bereich des globalen Klimas und der nahenden Kipppunkte durchgesetzt hat, ist wohl klar: Klimaneutralität bis 2030. Ich unterstütze diese Forderung und möchte mit meiner Arbeit dazu beitragen, dass wir das schaffen können. Zugleich weiß ich aber, etwa mit Blick auf die Sanierung der Kunsthalle, dass wir hier noch nicht die optimale Lösung und Ansätze in allen Bereichen haben. Mit Blick auf das Ausstellungsprogramm zeigt sich das Dilemma darin, dass wir wissen, dass sogenannte Blockbuster-Ausstellungen nicht mehr zeitgemäß sind, ökologisch und bisweilen auch ökonomisch, aber dass die großen und vielbesuchten Publikumsmagneten häufig immer noch darin bestehen, bekannte Werke von bekannten Künstler*innen mit großem Aufwand aus aller Welt zusammenzubringen. Zuletzt war dies zu beobachten bei der Vermeer-Ausstellung im Rijksmuseum in Amsterdam, die nach vier Tagen ausverkauft war und die, das muss ich zugeben, auch ich mit großem Gewinn gesehen habe. Mein Wunsch wäre es, beim Publikum, aber auch bei Geldgebern und Trägern dafür zu werben, dass auch die weniger ressourcenverbrauchenden Ausstellungen, gerade auch solche, die aus eigenen Beständen sich speisen, toll und von hohem Interesse sein können, Vergnügen bereiten, wissenschaftlich anspruchsvoll und den Horizont erweitern können. Aber das wird nicht einfach, da sind auch gesamtgesellschaftliche Veränderungen notwendig, sodass wohl beides gemacht werden muss, dabei aber mit großer Sorgfalt auf ein möglichst nachhaltiges Arbeiten in möglichst allen Bereichen geachtet werden sollte.
Mit Blick auf das Ausstellungsprogramm zeigt sich das Dilemma darin, dass wir wissen, dass sogenannte Blockbuster-Ausstellungen nicht mehr zeitgemäß sind, ökologisch und bisweilen auch ökonomisch, aber dass die großen und vielbesuchten Publikumsmagneten häufig immer noch darin bestehen, bekannte Werke von bekannten Künstler*innen mit großem Aufwand aus aller Welt zusammenzubringen.
Ich bin mir sicher, dass der Kurator in dir schon eine genaue Vorstellung von Ausstellungen hat, die du gerne umsetzen würdest. In mir schlägt ja das Vermittlerinnenherz und deswegen würde mich neben deiner Vision einer perfekten Ausstellung auch interessieren, was hier deine Rezepte für Relevanz und Wirkung beim Publikum wären.
Auch hier eine Kernfrage zur Museumsarbeit, zur Relevanz unserer Arbeit, auf die ich keine schnelle Antwort geschweige denn ein Rezept habe. Ich muss zugeben, dass ich die Frage der Relevanz durchaus auch mit ein wenig Unbehagen sehe: Wer will nicht relevant sein? Aber was ist relevant und ist Relevanz wichtiger als alles andere? Grundsätzlich sollte unsere Arbeit, sollten Ausstellungen, Vermittlungs- und Forschungsprojekte, ihre Fragen aus unserer Gegenwart heraus zu stellen, mit Fragestellungen, die etwas mit unserem Leben zu tun haben, in einem Museum, das mitten im Leben der Menschen steht und das ein Sensorium für die Wirklichkeit um das Museum herum, die Notwendigkeiten und Bedürfnisse hat. Das ist nicht als Populismus zu verstehen, sondern als Ausdruck eines offenen Dialogs mit unserem Publikum. Ein Beispiel: Wir haben in Chemnitz vor zwei Jahren ein Audience Development-Projekt mit Besucher*innen und Nicht-Besucher*innen durchgeführt. In beiden Gruppen wurde häufig der „mangelnde Bezug zu meinem Leben“ als Kritikpunkt genannt. Relevanz ist also nicht nur eine Frage des Selbstverständnisses, der gesellschaftlichen Bedeutung, der Glaub- und Förderungswürdigkeit, sondern auch ganz konkret auf je unterschiedliche Weise für das Publikum und dem Zuspruch wichtig. Aber so divers die Publika, so unterschiedlich die Auffassung, was als relevant empfunden wird. Das Spektrum ist weit und ich könnte unzählige Beispiele aufzählen, was im Museum alles gesucht wird, sodass ich am Ende ein wenig unschlüssig vor diesem Begriff der Relevanz stehe. Deswegen denke ich, dass wenn wir uns die Frage nach der Relevanz von Themen, Ansprachen oder Methoden stellen, sollten wir von den aktuellen wissenschaftlichen Fragen und gesellschaftlichen Debatten ausgehen und diese zusammendenken mit den Bedürfnissen eines diversen Publikums. Wir sollten den Dialog suchen, um unterschiedliche Erwartungshaltungen und relevante Fragen zu verstehen und diese in unsere eigene Arbeit einfließen zu lassen. Wir sind im Museum Kompliz*innen der Künstler*innen, Hüter*innen der Sammlungen und Freund*innen des Publikums. Am Ende des Tages sehe ich aller berechtigten Kritik an der Institution zum Trotz im Museum einen Ort der Aufklärung, das Selbstbewusstsein steigern und Selbstermächtigung anregen soll, und dies können wir nur tun, wenn das Publikum uns als relevant für das eigene Leben wahrnimmt.
Wir sind im Museum Kompliz*innen der Künstler*innen, Hüter*innen der Sammlungen und Freund*innen des Publikums.
Vielen Dank, lieber Frédéric Bußmann für das Gespräch. Ich wünsche ganz viel Erfolg für den Start in der Kunsthalle Karlsruhe und freue mich, wenn wir uns dann in Karlsruhe irgendwann einmal persönlich kennenlernen. Bis dahin verfolge ich weiter als critical friend alles, was Ihr zukünftig vorhabt.