Prof. Dr. Holger Jacob-Friesen

Die heimliche Gründerin der Karlsruher Kunsthalle

Zum 300. Geburtstag der Meister-Sammlerin Karoline Luise von Baden am 11. Juli 2023

„Man kann nicht liebenswürdiger sein als die Markgräfin. Sie übertrifft wirklich alles, was Sie mir von ihr erzählt haben. Keine Französin gibt es, die so viel Geist, Kenntnisse und Höflichkeit besäße wie sie. Ihre Konversation hat mich entzückt, hätte ich sie nur schon früher kennengelernt!“

Es war Voltaire, der Aufklärer, der berühmteste Intellektuelle seiner Zeit, der Karoline Luise 1758 auf diese Weise pries. Vorangegangen war ein viertägiger Besuch in Karlsruhe – ein Aufenthalt, den der Dichter-Philosoph mehreren Zeugnissen zufolge sehr genoss: Er lobte das Schloss, wo Geschmack wichtiger sei als Pracht, den botanischen Garten mit seinen 3.000 exotischen Pflanzen, die Gespräche mit Karoline Luise und die erstaunlichen Pastelle von ihrer Hand. Später sandte ihm die Markgräfin ein solches Werk nach Genf, wofür sich Voltaire mit einer gereimten Lobeshymne bedankte:

„Tout me plaît en vous, tout me touche;
Parlez, belle princesse, écrivez ou peignez:
Les Grâces, par qui vous régnez,
Ou conduisent vos mains, ou sont sur votre bouche.“

(„Alles an Ihnen gefällt mir, alles berührt mich;
Ob Sie reden, schöne Prinzessin, ob Sie schreiben oder malen:
Die Grazien, durch welche Sie regieren,
Führen Ihre Hand und sprechen durch Ihren Mund.“).

Und Voltaire fügte hinzu: Die Stadt trage ihren Namen zu Recht. Sie sei in den schrecklichen Zeiten des Krieges (wir nennen ihn heute den Siebenjährigen Krieg) tatsächlich ein Asyl der Ruhe.

Abbildung eines Kupferstichs, der den schreibenden Voltaire am Tisch zeigt.

Karoline Luise, die Meister-Sammlerin

Karoline Luise war eine Meister-Sammlerin – so der Titel der Großen Landesausstellung, die ihr die Staatliche Kunsthalle Karlsruhe 2015 gewidmet hat. Sie kaufte nicht nur Meisterwerke, sondern tat dies auf eine meisterliche Art und Weise. Doch was genau war so außerordentlich? War es das besondere Profil ihres Malereikabinetts? – Keineswegs! Die Markgräfin kaufte das, was im mittleren 18. Jahrhundert allgemein und speziell in Frankreich sehr geschätzt wurde: die großen Flamen der Barockzeit, die Holländer des 17. Jahrhunderts und französische Meister des 18. Jahrhunderts mit Neigung zur niederländischen Malerei. Für die Italiener konnte sie sich nie recht erwärmen, und sie bevorzugte Genrebilder, Landschaften und Stillleben entschieden gegenüber Historie und Porträt. Auch das lag durchaus im Trend. Nein: Nicht Karoline Luises Geschmack und Vorlieben waren einzigartig. Als ziemlich singulär aber dürfen die Konsequenz und das Niveau ihres Sammelns sowie ihr hoher persönlicher Einsatz bezeichnet werden. Karoline Luise sammelte mit Eifer und Verstand, schulte unablässig ihren Blick für die Qualitäten großer Kunst und beobachtete genauestens den Markt. Sie las die gedruckte Kunstliteratur ihrer Zeit, studierte Sammlungs- und Auktionskataloge, betrachtete Reproduktionsstiche, holte den Rat von Kennern, Künstlern, Agenten und Händlern ein. Sie ließ sich von vielen Seiten informieren, doch am Ende entschied sie selbst.

Karoline Luise, die Künstlerin

Und niemand konnte ihr etwas vormachen! Seit früher Jugend zeichnete und malte sie selbst. Der große Genfer Porträtist Jean-Etienne Liotard hat sie 1745 als 22jährige Prinzessin von Hessen-Darmstadt, das heißt vor ihrer Hochzeit mit Markgraf Karl Friedrich von Baden 1751, dargestellt: Karoline Luise sitzt vor der Staffelei und ist im Begriff, ein Pastell zu beginnen. Liotard hat ihr systematischen Unterricht erteilt, davon zeugen Karoline Luises eigenhändige Notizen noch heute. Die wohl erstaunlichsten Werke von der Hand Karoline Luises sind ihre Pastellkopien nach Alten Meistern. Sie sind Zeugnisse für ein Verstehen durch Nachahmung. Malend ging sie der Frage nach: Was macht ein Bild zum Meisterwerk? Die Markgräfin war eine wissbegierige, forschende, Einsichten suchende Sammlerin. Ihr Malereikabinett war für sie eine Art Bibliothek, in der sie studieren konnte. So hat sie es in einem Brief selbst formuliert. Für ihre Pastelle war nicht nur Liotard, sondern auch Rosalba Carriera, die Pionierin dieser Technik, ein Vorbild. 1764 konnte Karoline Luise mit der Allegorie der Poesie ein Meisterwerk der großen „Rosalba“, wie sie genannt wurde, erwerben.

Karoline Luise, die Perfektionistin

Karoline Luise, die Meister-Sammlerin, kümmerte sich um alles selbst: Sie beaufsichtigte sogar das Ein- und Auspacken der Transportkisten, wenn Bilder zur Ansicht nach Karlsruhe kamen oder wenn diese wieder zurückgeschickt wurden. Sie war unerbittlich, wenn es um die Qualität ging: „Ich dulde nichts in meinem Kabinett, das nicht perfekt ist“, schrieb sie an Gottlieb Heinrich Treuer, ihren Agenten in Den Haag. Sie fürchte das Mittelmaß – „Je crains le mediocre“ – heißt es an anderer Stelle. Außergewöhnliche Schönheit – „une beautée surprenante“ war ihre Grundbedingung. Diese Schönheit maß sich zumeist am Grad der Ausführung. Karoline Luise liebte besonders die holländischen, ganz präzise („très fini“) arbeitenden Feinmaler. Nichtsdestotrotz konnte sie sich für die freiere Malerei Rembrandts oder Chardins erwärmen.

Auch das zeichnet sie aus: Ihr Geschmack war klar umrissen, gelegentlich aber durchaus offen für abseits Liegendes. Da die Markgräfin mit ihren begrenzten finanziellen Mitteln auf das Optimum zielte, schreckte sie vor hartnäckigem Handeln und Feilschen nicht zurück. Als sie beispielsweise aus Paris das besonders begehrte, aber auch besonders teure Blumenstillleben von Jan van Huysum erhielt, da bemerkte sie in der Holztafel Wurmlöcher. Daraufhin schickte sie das Bild nicht etwa zurück, besaß es doch zweifellos die von Karoline Luise geforderte „außergewöhnliche Schönheit“. Nein, sie versuchte den vereinbarten Preis neu zu verhandeln. In diesem Falle übrigens ohne Erfolg: Sie bekam keinen Rabatt, sondern lediglich einen Ratschlag, wie man Holzwürmer mit Terpentin bekämpft.

Abbildung eines Gemäldes von Jan van Huysum, das einen Blumenstrauß vor dunklem Hintergrund zeigt. Die Blumen haben prächtige Blüten.

Nie ging es Karoline Luise um ein bloßes Akkumulieren von Kunstwerken. Die Meister-Sammlerin war dauernd bestrebt, das Niveau ihres Kabinetts zu heben und deswegen auch bereit, schwächere Bilder abzustoßen. Gerade bei den Verkäufen zeigt sich, wie sich ihre Kennerschaft entwickelte. Eine Fehlentscheidung wird man ihr allerdings vorhalten müssen: Aus den veräußerten Gemälden ragt nämlich ein Meisterwerk heraus, das von Karoline Luise offenbar nicht hinreichend als solches erkannt worden ist: Anthonis van Dycks grandioses, hoch elegantes, sensibles und farblich delikates Bildnis Susanna Fourment und ihre Tochter – 1762 gekauft und 1766 wieder abgestoßen. Heute gehört es zu den Höhepunkten der National Gallery Washington. Ein anderes herausragendes Gemälde, Maria van Oosterwijks Blumenstrauß in einer Vase, heute im Denver Art Museum, wurde lange nach Karoline Luises Tod, nämlich 1932, verkauft – ein großer Fehler, wie wir heute feststellen müssen. Wenigstens blieben die Werke der bedeutenden Stilllebenmalerinnen Rachel und Anna Elisabeth Ruysch in der Karlsruher Sammlung erhalten.

Karoline Luise, die heimliche Gründerin der Kunsthalle

Charakteristisch für Karoline Luise war ihr wacher, tätiger Geist, und dieser war auch die Grundlage ihres Sammelns. Das Malereikabinett ist Resultat eines aufgeklärten, kritisch-reflektierenden, qualitäts- und preisbewussten Sammelns, das auf umfassender Bildung, intensivem Austausch und echter Begeisterung für die Kunst beruhte. Glücklicherweise blieb es weitgehend erhalten. Denn nachdem die Markgräfin auf einer Reise 1783 in Paris überraschend gestorben war, wurde ihre Sammlung von den drei Söhnen – ausdrücklich im Sinne der Verstorbenen – zu einem unveräußerlichen und unteilbaren Sondervermögen des Hauses Baden erklärt. Die Bestände des Malereikabinetts – 205 Werke – wurden genau inventarisiert und ab 1789 im neu errichteten Gebäude der „Zeichenakademie“ öffentlich ausgestellt. Sie bildeten später den historischen Kern der 1846 eröffneten Großherzoglich Badischen Kunsthalle. Insofern kann man Karoline Luise als ihre heimliche Gründerin bezeichnen. Die von ihr gesammelten Gemälde begründeten den internationalen Ruf der Karlsruher Altmeistersammlung und gehören noch immer zum Kostbarsten, was die (inzwischen Staatliche) Kunsthalle zu bieten hat.

Ausstellungsansicht mit barocker Hängung in der Kunsthalle Karlsruhe. An der Wand hängen verschiedene Gemälde in goldenen Rahmen.