Direktorin Pia Müller-Tamm im Gespräch mit Comedian Jakob Schwerdtfeger
14 Jahre lang leitete sie die Staatliche Kunsthalle Karlsruhe – mit der Eröffnung der Ausstellung KunsthalleKarlsruhe@ZKM verabschiedete sie sich in den Ruhestand.
Im Gespräch mit Comedian und Host des Kunsthallen-Podcasts Kunstsnack Jakob Schwerdtfeger gibt Pia Müller-Tamm Einblicke in die Eigenheiten der Museumsarbeit, ihren beruflichen Plan B und ihre Perspektive auf Kunst.
Warum ist Museumsdirektorin der coolste Job der Welt?
Weil im Dreieck zwischen Kunst, Museum und Öffentlichkeit Dynamik herrscht, dort ist es oft eher hot als cool.
Was hat Sie während all der Jahre in Karlsruhe angetrieben?
Der Haupttreiber war und ist das Museum als Institution – ein ganz eigentümlicher Kosmos, einerseits staunenswert anpassungsfähig und robust, andererseits sehr verletzbar.
Was war ihr schönstes Erlebnis mit dem Museumspublikum in Karlsruhe?
Die allmähliche Annäherung der Menschen an den 100 Meter langen Gittergang bei den Alten Meistern, den der polnische Künstler Miroslaw Bałka 2010 dort installiert hat. Aus dem Anfangsschock wurde ein Befremden, wurde ein Verständnis, wurde Akzeptanz.
Der Trick besteht darin, die Illusion zu erzeugen, dass alles ganz einfach war.
Sie kennen den Job der Museumsdirektorin gut: Worum beneiden Sie Ihren Nachfolger nicht?
Mein Nachfolger kann sich auf den Job freuen, und ich bin mir sicher, dass er zu dem Job gut passt. Aber gibt es einen Job, bei dem alles Freude macht? Es gibt zähe Projekte, die die Kräfte unnötig verschleißen, aber – nötig oder unnötig – das ist immer eine Frage der Perspektive.
Ein Museum zu leiten, ist kräftezehrend. Sind Sie mal in einem Meeting eingeschlafen?
Ehrliche Antwort: ja.
Welche Tätigkeit als Direktorin hat Ihnen am meisten Spaß gemacht?
Das Aufbauen einer Ausstellung, also ganz konkret das Komponieren von Wänden in den Galerien.
Viele Menschen unterschätzen die Komplexität eines Museums: Was macht man als Direktorin alles, wovon niemand etwas mitkriegt?
Die Liste würde zu lange und eigentlich interessiert das ja niemanden. Der Trick besteht darin, die Illusion zu erzeugen, dass alles ganz einfach war. Also keine Klagen aus dem Museum!
Wie viele Abende die Woche waren sie auf irgendwelchen Kunst-Events? War das ständige Networking manchmal anstrengend?
Das ist Teil der Jobbeschreibung und zwar der lustvolle. Ich genieße es, über die Kunst mit Menschen in Kontakt zu treten.
Kunst hat Ecken und Kanten, die nicht weichgespült werden sollten.
In Museen werden nur etwa 10% der Werke gezeigt, der Rest ist im Depot. Welches Werk war Ihre größte Entdeckung?
Die größte Entdeckung war nicht meine, sondern die eines famosen Praktikanten, der Georg Kabierske heißt und 2014 zwei Alben mit fast 300 Zeichnungen im Kupferstichkabinett der Kunsthalle neu bestimmt hat: aus Friedrich Weinbrenner wurde Giovanni Battista Piranesi und seine Werkstatt – beinahe ein Jahrhundertfund.
Neben vielen Bildern steht „Privatbesitz“. Wie kommen Sie an diese Werke heran? Gibt es ein geheimes Netzwerk oder wie macht man das?
In der Kunsthalle findet sich dieser Zusatz nur äußerst selten. Wenn man begrenzte Galerieflächen hat und große eigene Bestände, dann muss es sehr gute Gründe für die Annahme von Werken aus Privatbesitz geben, zum Beispiel eine besondere Bereicherung der Sammlung mit der Perspektive auf einen späteren Verbleib im Museum. Denn jedes Kunstwerk, das die Galeriewand besetzt, verdrängt ein anderes ins Depot; das ist die Arbeitshypothese des Museums.
Was war Ihrer Meinung nach die krasseste Leihgabe, die Sie an Land ziehen konnten?
Es gab eine ganze Reihe von Hochkarätern in den vergangenen Ausstellungen. Besonders dankbar waren wir für das monumentale Bildnis der Madame de Pompadour von François Boucher aus den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen in München.
Der Fokus in der deutschen Museumslandschaft liegt fast immer auf der westlichen Kunstgeschichte. Wie stehen Sie dazu?
Ein großes Thema, das mich sehr interessiert, eine Herausforderung, die das Selbstverständnis der Institutionen zentral betrifft. Und doch wäre jede museale Institution überfordert, wenn alle blinde Flecke besetzt werden wollten. Wir können eher intellektuell aufschließen, indem wir unsere eigene historische Rolle verorten und relativieren. Beispiel Kunsthalle: ein genuin europäisches Museum, aber der europäische Osten kommt in der Sammlung nicht vor, also schon im geographischen Nahbereich gibt es blinde Flecken.
Die Kunstwelt wird von außen leider immer noch häufig als elitär und abgehoben wahrgenommen. Was tun Sie dagegen? Wie bringt man Kunst in den Mainstream?
Zu Frage 1: Wir unternehmen auf der Ebene der Vermittlung vieles, um die Kunst Menschen mit unterschiedlichem kulturellen und Bildungshintergrund nahe zu bringen – es ist das Megathema der Gegenwart. Zu Frage 2: Mainstream kann nicht das Ziel sein, weil die Kunst Ecken und Kanten hat, die nicht weichgespült werden sollten.
Jede*r im Team macht das zum ersten Mal: den Umzug eines Museums
Die Staatliche Kunsthalle wird bis 2028 renoviert: Wie ist es ein geschlossenes Museum zu leiten? Liegen alle Mitarbeitenden während dieser Zeit entspannt in Hängematten?
Ja, und auf Futons, in Schaukelstühlen und auf Kuscheldecken. Hier passt die Antwort von oben: Das Museum ist maximal gefordert, weil alle Routinen unterbrochen sind, jeder Vorgang neu ist, es herrscht kontrollierter Aufruhr in allen Bereichen des Hauses. Eine gigantische logistische Leistung, für die es keine Blaupause gibt. Jede*r im Team macht das zum ersten Mal: den Umzug eines Museums, das in seiner fast 180jährigen Geschichte nur ein einziges Mal (im Zweiten Weltkrieg) ausgezogen ist.
Wie kam es zu dem Deal, dass Sie nun einen Teil Ihrer Sammlung im ZKM zeigen? Dass dort die Kunsthalle mit ausstellen darf, ist irgendwie eine knuffige Museums-WG.
Die Geschichte beginnt 2018. Ich hatte Peter Weibel in die Jury unseres Wettbewerbs für die Sanierung der Kunsthalle eingeladen. Er kam und überreichte mir eine für mich angefertigte große Tasche mit der Aufschrift: Staatliche Kunsthalle Karlsruhe in Großbuchstaben und darunter klein das ZKM-Logo. Dann hat er die Einladung ausgesprochen, während der bevorstehenden Schließzeit Teile der Sammlung im ZKM zu zeigen. Es ist sehr bedauerlich, dass er die Museums-WG nicht mehr erleben darf.
Der Museumsbau der Kunsthalle ist doch schon vorhanden und sieht beeindruckend aus. Was muss da denn noch verbessert werden?
Das historische Gebäude ist ein sehr charismatischer Bau, er wurde aber in den vergangenen Jahrzehnten intensiv genutzt und durch zu viele Funktionen überfordert. Bei der Sanierung geht es darum, das Denkmal zu konservieren und zu stärken, dann aber auch um so profane, gleichfalls wichtige Dinge wie Klimatisierung, Barrierefreiheit, Erneuerung der technischen Infrastruktur, Brandschutz, Sicherheit u.v.a.
Wenn Sie in 10 Jahren wieder in die Kunsthalle kommen. Was glauben Sie, was Sie vorfinden werden?
Ein saniertes und wiedereröffnetes Hauptgebäude, eine Erweiterung in der Planungsphase, wenn alles gut geht in der Bauphase.
Die richtige Balance aus Geschichtsbewusstsein und Gegenwartstauglichkeit.
Wissen Sie noch, wie Sie sich an Ihrem ersten Arbeitstag in der Kunsthalle gefühlt haben?
Daran erinnere ich mich sehr genau. 2. Mai 2009, der damalige Ministerpräsident Oettinger lud an dem Tag zu einem Kunst-Gipfel ins ZKM – eine erste gute Gelegenheit, die Akteure im Feld der Kunst in Baden- Württemberg persönlich kennenzulernen.
Wenn Sie jetzt noch mal an der Kunsthalle anfangen würden, was würden Sie anders machen?
Nichts in der großen Linie, aber in den Details.
Was war die größte Herausforderung, mit der Sie an der Kunsthalle konfrontiert wurden?
Dass immer wieder Pragmatismus und Ästhetik im Konflikt miteinander waren – und manchmal der Pragmatismus gesiegt hat.
Was war Ihnen in Ihrer Arbeit in Karlsruhe besonders wichtig?
Die richtige Balance aus Geschichtsbewusstsein und Gegenwartstauglichkeit.
Wie ist es über so einen langen Zeitraum eine repräsentative Rolle innezuhaben? Wären Sie auch gerne mal einfach in Jogginghose zur Arbeit erschienen?
Nein, wie sagte Karl Lagerfeld treffend: Wer in Jogginghosen herumläuft, hat die Kontrolle über sein Leben verloren.
Mal angenommen, es wären alle Möglichkeiten und unbegrenztes Budget vorhanden: Welche Ausstellung hätten Sie gerne in Karlsruhe realisiert?
Ich habe Ausstellungsideen immer im Kontext der jeweiligen Institution entwickelt, aus ihrer Sammlung heraus und aus den räumlichen Voraussetzungen, die ein gutes Zusammenspiel von Räumen und Werken gewährleisten. Also kein teurer Künstlername an dieser Stelle.
Ich liebe das Unerwartbare, die Andersheit, den Ausstand, eine Kunst jenseits von Regelwerken und Regelbrüchen.
Was ging bei einer Ausstellung mal so richtig schief?
Es kam ein fremder Virus, der legte die Ausstellung und die Kunstwelt und das Leben der Menschen lahm, und so kam es, dass die Boucher-Ausstellung bei zweimaliger Verlängerung über sechs Monate installiert, aber nur 28 Tage geöffnet war.
Was lieben Sie an der Kunst? Und was nervt Sie so richtig daran?
Meine Befassung mit dem Surrealismus hat in Teilaspekten auch meinen Kunstbegriff geprägt, daher: Ich liebe das Unerwartbare, die Andersheit, den Ausstand, eine Kunst jenseits von Regelwerken und Regelbrüchen. Und es nerven mich Künstler*innen, die in ihren Werken Lebenslügen des Kunstbetriebs aufsitzen.
Was ist Ihr Lieblingswerk in der Sammlung der Kunsthalle? Und welches Werk mögen Sie gar nicht?
Jetzt also die konventionelle Frage. Und hier die konventionelle Antwort: Eine Mutter liebt alle ihre Kinder, auch wenn manche etwas leichter zu lieben sind und andere etwas schwieriger. Reicht das?
Was müssen Museen machen, um heutzutage relevant zu bleiben?
Dazu würde ich gern die Meinung des ChatGPT einholen.
Digitalisierung hat zahlreiche positive Effekte, aber ohne den analogen Ort ist das digitale Museum auf Dauer schwach.
Warum brauchte es gefühlt erst Corona, damit Museen verstanden haben, dass die Digitalisierung wichtig ist?
Umgekehrte Frage: Warum brauchte es Corona, um zu verstehen, dass Begeisterung für das Museum vor allem im Museum entsteht. Digitalisierung hat zahlreiche positive Effekte, aber ohne den analogen Ort ist das digitale Museum auf Dauer schwach.
Was für Möglichkeiten sehen Sie im digitalen Raum für die Kunsthalle Karlsruhe?
Die Kunsthalle hat mit ihrem gut informierten und hoch motivierten Digitalteam in den letzten Jahren dieses Feld intensiv bearbeitet und damit weithin sichtbare Zeichen gesetzt. Die Mischung ist stark – ein klassisches Kunstmuseum öffnet sich und gewinnt ein neues Profil im digitalen Raum, was auf das ganze Museum zurückstrahlt. Das erzeugt auch Reibungsflächen, die auszuhalten sind.
Ich denke nicht in der Kategorie von Ära; nach mir werden andere Menschen gute Ideen haben.
Wird man als Museumsdirektorin auf der Straße angesprochen? Falls ja, was sagen sie Leute dann?
Ja, immer wieder. Viel Lob für die Museumsarbeit des Hauses, manchmal auch Kritik, der ich mich stelle und für die ich mir Zeit nehme.
Was war ihr größter Glücksmoment in Ihrer Zeit in Karlsruhe?
Das WM-Halbfinale Brasilien – Deutschland 2014, 7:1 für Deutschland, auf einer Großleinwand im Lichthof der HfG vor studentischem Publikum – beste Stimmung!
Als Direktorin brauchen Sie ein Organisationstalent. Waren Sie in der Schule auch schon diejenige, die bei Gruppenreferaten den Großteil der Arbeit übernommen hat?
Im Gegenteil. Ich war keine begeisterte Schülerin.
In den meisten Museen darf sich die Direktorin ein Werk aus der Sammlung ins Büro hängen. Welches haben Sie gewählt und warum?
Ich fing an mit Beckmann, dann kam Fautrier, dann Klapheck, dann der Umzug und die Leere.
Wenn Sie noch mal wählen könnten: Was wären Sie gerne geworden? Gab es einen beruflichen Plan B?
Ja, Architektin; gut, dass das Plan B geblieben ist.
Warum macht Kunst das Leben besser?
Weil es auch im Leben auf die Nuancen ankommt.
Sie konnten an der Kunsthalle viel mitbestimmen und gestalten: Was soll von Ihnen überdauern? Was hinterlassen Sie nach all den Jahren in der Kunsthalle?
In jedem Fall bleiben die Zugewinne für die Sammlung, und da sind – das darf ich unbescheiden sagen – einige sehr gute Werke und Werkkomplexe hinzugekommen. Ich bin sehr froh, dass das Sammelgebiet Fotografie nun eröffnet und die Sanierung auf einem guten Weg ist. Aber sonst: Ich denke nicht in der Kategorie von Ära; nach mir werden andere Menschen gute Ideen haben.