Thomas Frank, 09. Dezember 2022

Karl Hubbuch: mit Feder, Stift und Pinsel für eine humanere Welt

Erschreckend aktuell wirkt Karl Hubbuchs Zeichnung Die Umschüler, mit der er vor faschistischer Barbarei warnte. Die Staatliche Kunsthalle Karlsruhe hat sie nun für ihr Kupferstichkabinett erworben. Kulturjournalist Thomas Frank über das Blatt und dessen Schöpfer, der zu einer Galionsfigur der „Neuen Sachlichkeit“ in Karlsruhe wurde.

Ein Klassenzimmer. Der Lehrer zeigt mit einem Stock auf eine Tafel. Darauf steht groß und unterstrichen: „Demokratie“. Darunter: „Persönliche Freiheit, Freiheit der Rassen und Religionen, Freiheit von Not und Freiheit von Furcht.“ Im Hintergrund hängt ein durchgestrichenes Hitler-Porträt. Hinter den Schulbänken sitzen Männer jüngeren, mittleren und betagteren Alters. Mit spitzen Nasen, Schnauzbärtchen, kahlen Köpfen, militärischen Kurzhaarfrisuren, ausladenden Kinnpartien oder Rundrücken.  Ihre Blicke: arrogant, gelangweilt, kritisch, nachdenklich, sorgenvoll. Einer streckt gar seinen Arm entgegen und protestiert vehement gegen den Lehrstoff.

Abbildung des Werks Umschüler von Karl Hubbuch

Die Umschüler nennt sich die Zeichnung. Der Karlsruher Maler, Zeichner und Grafiker Karl Hubbuch hat sie direkt nach dem Ende des Zweiten Weltkrieg angefertigt, in den Jahren 1945/46. Mit Bleistift, Tuschfeder und Pinsel karikierte er die einstigen NS-Akteure, die dem von den Alliierten beschlossenen Entnazifierungs-Programm in den Besatzungszonen alles andere als offen gegenüberstanden. Hubbuch schuf die Zeichnung für das Schaufenster der „Antifaschistischen Gesellschaft“ in Rastatt, wo sie unter dem Titel Vergessen? – Niemals! ausgehängt war – zusammen mit weiteren Blättern von ihm. Auch die satirische Wochenschrift Das Wespennest veröffentlichte das Werk. Die Kunsthalle Karlsruhe hat es nun für ihr Kupferstichkabinett erworben, wo bereits 60 Werke von Karl Hubbuch versammelt sind.

Hubbuch auf antifaschistischer Mission in Rastatt

Hubbuch wird am 21. November 1891 in Karlsruhe geboren und verbringt dort die meiste Zeit seines Lebens. Nach Rastatt zieht er im Sommer 1944 mit seiner zweiten Frau Ellen, nachdem deren gemeinsame Wohnung und sein Atelier in der Fächerstadt bei einem Luftangriff zerstört wird. Das Ehepaar findet zunächst bei Ellens Mutter Unterschlupf. Als im April 1945 die Franzosen die Barockstadt besetzen, weisen sie Hubbuch eine neue Wohnung zu.  Die Besatzungsmacht will den Künstler zum kommissarischen Bürgermeister ernennen, doch er lehnt ab. Dafür engagiert er sich im ersten Rastatter Gemeinderat nach dem Krieg und tritt im Mai 1945 der antifaschistischen Bewegung der Antifa in Rastatt bei. Sie soll die Alliierten bei der sogenannten Entnazifizierung unterstützen. Hubbuchs Mission: die Bürgerschaft mit Zeichnungen und Plakaten über NS-Verbrechen aufklären. Hierfür macht er sich auch das ihm von den Franzosen gewährte Privileg zunutze, den Kriegsverbrecherprozessen im Rastatter Schloss beizuwohnen.

Hubbuchs Faible für Frankreich

Ausschlaggebend für Hubbuchs Sonder-Status bei den Franzosen dürfte sein Frankreich-Faible und völkerverbindendes Engagement sein. Er unternimmt viele Studienreisen ins westliche Nachbarland, etwa nach Trouville, Fécamp, Deauville, Le Havre, St. Malo oder Paris. Die dabei entstandenen Zeichnungen veröffentlicht er 1931 als Buch im Selbstverlag. Damit will Hubbuch der „Erbfeind“-Propaganda, der Volksverhetzung und Kriegstreiberei entgegentreten und stattdessen „den Brüdern drüben die Bruderhand“ reichen, konkret: den „Arbeitenden und Schaffenden“. Die wahren Grenzen würden nicht zwischen den Völkern, sondern innerhalb der Völker verlaufen, wie er im Vorwort des Buches schreibt: „Innerhalb eines jeden Volkes geht die Trennungslinie und scheidet zwei Klassen: Die Klasse der Habgierigen, Herrschsüchtigen, Genußsüchtigen und Hetzer von der großen Klasse der Arbeitenden, die den Frieden wollen!“ Die Bilder in Frankreich würden denen der Weimarer Republik gleichen: auf der einen Seite „verbrauchte Menschen, Armut, Krankheit, Verbrechen, Prostitution“, auf der anderen Seite die „Fratzen der Scharfmacher“.

Karlsruhe als Zentrum der Neuen Sachlichkeit

Sein politisch links orientiertes, humanistisches Engagement setzt Hubbuch nach dem Zweiten Weltkrieg fort. Er zeigt seine antifaschistischen Arbeiten im Rathaus und an anderen öffentlichen Orten in Rastatt. Ende 1946 verlässt er die deutsch-französische Grenzstadt jedoch wieder und kehrt zurück nach Karlsruhe. In seiner Heimatstadt nimmt er einen Lehrauftrag an der Technischen Hochschule an, ab 1948 lehrt er wieder als Professor an der dortigen Kunstakademie. An jener Kunstinstitution, an der Hubbuch schon ab Mitte der 1920er Jahre bedeutende Spuren hinterlässt: Gemeinsam mit Künstlerfreund Georg Scholz und Wilhelm Schnarrenberger wirkt er daran mit, dass die Akademie zu einem Zentrum der Neuen Sachlichkeit und des Verismus in Deutschland avanciert. Die neusachlichen Künstler und Künstlerinnen fangen die gesellschaftliche Wirklichkeit nüchtern, ruhig und exakt ein und nutzen altmeisterliche Maltechniken. Sie widmen sich Künstler*innen, Schriftsteller*innen oder Journalist*innen in Cafés, den Vergnügungen in Zirkussen oder Varietés, der modernen „Neuen Frau“, der dekadenten Oberschicht, der ausgemergelten Arbeiterschaft, den Prostituierten, Obdachlosen und Kriegsversehrten, den mit Fabriken zugebauten Stadtvierteln oder den von neuen Bahnlinien zerfurchten Dörfern. Die Verist*innen, zu denen Karl Hubbuch zugerechnet wird, gehören auch der Neuen Sachlichkeit an, sind aber stärker politisch orientiert. Sie stehen zumeist der Arbeiterklasse nahe, Hubbuch bekennt sich zum Kommunismus. Die gesellschaftlichen Zustände stellen sie hart, direkt und schonungslos dar, oft übersteigert bis ins Karikaturhafte, Satirische, Groteske.

Innovatives Kultur-Biotop

Karl Hubbuch ist Teil eines innovativen Kultur-Biotops in Karlsruhe. Der visionäre Direktor der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe (damals Badische Kunsthalle), Willy F. Storck und seine Nachfolgerin Lilli Fischel, verwandeln das bis dahin lokal ausgerichtete Haus in ein modernes „Museum für alle“. Sie engagieren sich für die fortschrittliche Kunst in der Stadt, zum Beispiel mit Ausstellungen und Ankäufen. Auch der Badische Kunstverein und die jüdische Galerie Moos entfachen avantgardistischen Aufbruchsgeist in der Fächerstadt. Unter progressiven Künstlern, Künstlerinnen und Kulturschaffenden herrscht geselliges Miteinander, sie treffen sich in Cafés, besuchen sich zu Hause oder in Ateliers und verwirklichen gemeinsame Projekte. Mit Hermann Brand, einem jüdischen Schauspieler am Badischen Landestheater, und den beiden Künstlerkollegen Anton Weber und Erwin Spuler gründet Karl Hubbuch 1930 die kritische Kunstzeitschrift Zakpo, für die er unter den Pseudonymen „Boris Burawoy“ und „Franz Radek“ viele Zeichnungen und Linolschnitte liefert.

Karl Hubbuch umarmt eine Säule an der Karlsruher Akademie

Chronist der gar nicht so „Goldenen Zwanziger“

Hubbuch entwickelt sich zum gesellschaftskritischen Chronisten der „Goldenen Zwanziger“, die gar nicht so golden sind. Auf der einen Seite zeichnet, malt und karikiert er Glanz, Vergnügungsrausch und kulturelle Blütezeit: Menschen in Tanzlokalen, Damen in Cafés, emanzipierte Frauen mit Bubikopf und Hut in Theaterlogen, „Schleckermäuler“ vor prall gefüllter Kuchentheke. Auf der anderen Seite zeigt er Armut, Arbeitslosigkeit und Elend: Die Bauwut der Städte, wo Gründerzeithäuser, Fabrikgebäude, Flussbrücken, Straßenbahnen und dampfende Eisenbahnen auf engstem Raum aufeinanderprallen, die von Zeitdruck, Hungerlöhnen und Wirtschaftsnot gebeutelten Arbeiter oder das entwürdigende Leben von Prostituierten. Mit schwungvollem Strich, scharfen Konturen, Blick für Details, Sinn für raffinierte Kompositionen und der Fähigkeit, Städte, Landschaften und vor allem Menschen in ihrer lebendigsten Vielfalt aufs Bild zu bannen. Hubbuchs Zeichnungen, Radierungen, Aquarelle oder Ölgemälde vibrieren vor Lebenskraft – sei es im Heiteren, Ironischen, Ernsten oder Tragischen.

„Frischer Wind“: Hubbuchs Begegnung mit Hilde Isay

Als Hubbuch künstlerisch aufsteigt, lernt er seine wichtigste Weggefährtin kennen: die Fotografin Hilde Isay. Sie kommt 1926 an die Karlsruher Kunstakademie (damals Badische Landeskunstschule) und studiert bei ihm. Sie verlieben sich, später heiraten sie. Beide befruchten sich künstlerisch enorm, arbeiten kongenial zusammen, reisen gemeinsam. Hilde bringt „frischen Wind“ in Hubbuchs Leben. Sie verkörpert die moderne „Neue Frau“, mit Bubikopf, runder Hornbrille, Zigarette rauchend, hegt eine Leidenschaft für Bauhaus-Möbel und verschreibt sich der damals noch jungen Fotografie. Auch Karl Hubbuch begeistert sie für die Lichtbildnerei. In slapstickartigen Performances inszenieren sie sich im Atelier vor der Kamera: mit Föhn, Nudelholz oder Besen. Doch ihre Ehe währt nur kurz. Während sie, die Tochter einer jüdischen Tuchhändlerfamilie, über Wien und London in die USA emigriert, bleibt Hubbuch in Karlsruhe.

Karl und Hilde Hubbuch inszenieren sich vor der Kamera in einem wohnlichen Umfeld.

Hetzkampagnen gegen Hubbuch

Doch das traditionelle Kunstmilieu, das sich der lokalen, volkstümlichen und heimatverbundenen Hans-Thoma-Schule verbunden fühlt, protestiert gegen die modernen Kunstströmungen. Es tobt ein „Kulturkampf“, der sich mit den ausgehenden Jahren der Weimarer Republik immer mehr zuspitzt. Karl Hubbuch gerät ins Fadenkreuz der deutschnationalen Presse und des Reichsverbandes bildender Künstler Deutschland, Gau Südwestdeutschland. Autoren der Karlsruher Zeitung oder des Führers verunglimpfen vor allem Hubbuchs Aktdarstellungen als „perverse Fleischbeschau“, „schlimmste Hurenmalerei“ oder „bolschewistische Nuditäten“, die eine „vergiftende Wirkung“ nach sich zögen und zur „Entsittlichung des Volkes“ führen würden.

Aus für die moderne Kunst

Als die Nationalsozialisten 1933 in Deutschland die Macht übernehmen, endet die Zeit der kulturellen Avantgarde in Karlsruhe. Hubbuch wird als Professor an der Akademie entlassen. Der neue Kunsthallen-Direktor Hans Adolf Bühler brandmarkt dessen Bilder in der Ausstellung Regierungskunst 1918-1933 als „entartet“. Hubbuch schlägt sich mit Gelegenheitsarbeiten durch die Jahre der NS-Barbarei, malt Blumen für Uhrengehäuse der Firma Schmid-Schlenker in Schwenningen und entwirft Keramikfliesen mit Gräser- und Blumendekors an der Karlsruher Majolika-Manufaktur. Es lässt sich nur erahnen, wie sich die fortschrittlichen Kulturströmungen in Karlsruhe weiterentwickelt hätten, wenn Künstler wie Karl Hubbuch sich weiter kreativ hätten entfalten können.

Erschreckend aktuell: Hubbuchs Kampf für eine humanere Welt

So erinnert Hubbuchs Zeichnung Die Umschüler auch an die faschistischen Täter, die eine Ära des vibrierenden Karlsruher Kulturlebens auslöschten und seine eigene verheißungsvolle Künstlerkarriere zunichtemachten.  Auch wenn er sie nach dem Zweiten Weltkrieg fortsetzen konnte und Karlsruhe ihn als Akt der „Wiedergutmachtung“ rasch wieder zum Akademieprofessor berief, so blieb doch der Schatten des NS-Terrors haften. Josef Krips, der 1926 als jüngster Generalmusikdirektor in Deutschland ans Badische Landestheater berufen und wegen seiner jüdischen Abstammung von den Nazis entlassen wurde, sagte nach dem Krieg rückblickend auf seine Karlsruher Jahre: „Eine so kulturbewußte Stadt, wie es damals Karlsruhe war, gibt es heute in der ganzen Welt nicht mehr.“ Angesichts der weltweiten Wiederkehr rechtspopulistischer Regierungen, Kriegskatastrophen oder menschenfeindlicher Hetze und Gewalt erweist sich Hubbuchs Umschüler als erschreckend aktuelle Warnung vor neuen „Zivilisationsbrüchen“. Karl Hubbuch kämpft als Künstler auch im Nachkriegsdeutschland weiterhin für eine humanere, friedlichere Welt, indem er sich gegen einen drohenden Atomkrieg wehrt. Er bleibt weltoffen, reist weiterhin nach Frankreich und arbeitet 1963 als Ehrengast der Villa Massimo in Rom. Bis er fast vollständig erblindet und keine Arbeiten mehr schafft. Hubbuch stirbt am zweiten Weihnachtsfeiertag 1979 in Karlsruhe. Im Winter 2018 ehrte ihn die Stadt mit der Einweihung des Karl-Hubbuch-Wegs im „Künstlerviertel“ von Neureut, wo auch Matthias Grünewald, Albrecht Dürer oder Rembrandt mit Straßennamen verewigt wurden.

Die Neuerwerbung von Hubbuchs Umschüler für die Staatliche Kunsthalle Karlsruhe konnte dank der großen Unterstützung des Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg gelingen.