Dr. Michael Kröger, 2. Dezember 2022

Kunst ist kein Witz. Aber eine Pointe, die gelingt.

Kunst und Humor – wie das praktisch zusammenpasst zeigt der Kunsthallen-Podcast Kunstsnack zweiwöchentlich. Autor und Kurator Dr. Michael Kröger nähert sich der Verbindung von Kunst und Humor theoretisch an.

Farben, Fakes und Fun

Die Älteren sehen Formen als Farben.
Die Gegenwärtigen erleben Fakes wie Fiktionen.
Die Zukünftigen kombinieren Fun mit Facts.

„Kunst ist kein Witz. Aber eine Pointe, die gelingt.“
Dieser Titel entstand gefühlt in drei Sekunden und hat mich in diesem Tempo ehrlich gesagt selbst etwas überrascht. Trotzdem ist diese Definition natürlich keine große Kunst, sondern höchstens eine geistreiche Annäherung an das, was wir (in diesem Fall: ich) zurzeit unter Kunst verstehen könnten. Ohne diese wunderbaren Querschüsse und Assoziationssprünge, die die menschliche Sprache in unserem Hirn immer wieder neu und gerne unkontrolliert ausheckt, wären wir wohl ganz schön arm. Vor allem aber humorlos. Offenbar ist der Zusammenhang zwischen Kunst und Humor, Witz und seinen schnellen Pointen nicht gerade voraussetzungslos. Künstler*innen nehmen sich seit jeher die Freiheit ihre eigenen Regeln zu definieren. Was aber, wenn es – wie im Fall von angewandtem Humor – glücklicherweise gar keine Regeln gibt, sondern höchstens eins, zwei schnelle Pointen entstehen, die während des Assoziierens und Schreibens ungeregelt aufploppen?

„Humor ist gefühlter Witz; Witz ist Produkt einer Pointe.“ Diese schöne Dialektik verdanke ich einem (heute fast vergessenen) Kunsthistoriker. Irgendwann während der vierziger Jahre notierte der damals nach Holland emigrierte Max J. Friedländer (1867-1958): „Humor fühlt das Lächerliche, Witz erkennt es.“

Die Kunst, Pointen zu setzen und sie geistvoll kontextuell zu verändern, beherrschen inzwischen viele ambitionierte Akteur*innen. Memes gelten im Netz als eine sehr smarte Form des digital getriggerten Humors. „In der Encyclopedia of Humor Studies wird konstatiert, das Internet habe zu einem »dramatic increase in the scale and speed of humor diffusion« sowie zu „changes in humor themes and formats« geführt.“ fassen Joanna Nowotny und Julian Reidy in ihrer Publikation Memes – Formen und Folgen eines Internetphänomens 2022 zusammen.

Nochmals akademisch-humorloser klingt diese Definition einer Pointe, die aus einem Beitrag von Planet Wissen verwendet wurde: „Das Begreifen der Pointe läuft an der Außenseite des linken Stirnhirns ab. Gefällt uns diese unerwartete Wendung, die die Pointe offenbart, werden Teile des limbischen Systems aktiv. Der Bereich des Gehirns, der Emotionen verarbeitet. Die so genannten Mandelkerne beispielsweise vermitteln uns dann die Emotion der Erheiterung. (…).“

Eine interessante Fragestellung für Gehirnforscher*innen: Ob Mandelkerne wissen, wie humorlos sie selbst funktionieren?

Die formale Pointe zwischen Kunst und Humor liegt bekanntlich darin, dass die Pointe (beinahe ähnlich wie ein*e Künstler*in) so tut als ob, also gezielt und hinterhältig Fakes –Überraschungen, Widersprüche, Irritationen – ins Spiel bringt, die aufgrund ihrer Unbestimmtheit und paradoxen Lust allerdings kulturell geadelt werden. Selbst leicht anzügliche Anspielungen könnten so unter Umständen Kunst sein, wenn man sie im unpassenden Moment oder Kontext – etwa einer Vernissage – erzählt, damit schockiert und vor allem Aufmerksamkeit generiert. Wie im übrigen Leben ist hier der doppeldeutige Moment entscheidend, der darüber urteilt, ob wir gleich verständnisvoll mitlachen oder eher peinlich berührt nach unten schauen. So gesehen wäre Humor einerseits die Fähigkeit, Phänomene einfach wegzulächeln und andererseits die Fähigkeit, sich der eigenen Scham bewusst zu werden, die man ja nicht selten – auch und gerade im Museum – mühevoll vor anderen zu verbergen versucht.

Dass die Pointe, dieser Durchlauferhitzer des Humors, nicht immer ganz einfach zu fassen ist, liegt daran, dass Pointen so zeitgebunden, plötzlich funktionieren. Wer bei einem Witz die alles entscheidende Pointe verpasst, der hat bekanntlich schon verloren. Verspätet lachen kann man zwar, sollte aber aus Selbstschutz vermieden werden. Ähnlich wie die Scham, mit der Kunstwerke und selbst ganze Ausstellungen neuerdings nicht selten kollaborieren, verhält es sich auch mit dem bewusst angewandten ästhetischen Humor. Es kommt auf den Witz im richtigen Moment, den gewissen Esprit oder auch eine bestimmte Dreistigkeit – die s.g. Chuzpe – an, mit der ich hier vorgehe. Um es mit Kurt Tucholsky zu sagen: Es geht doch nichts über den „fröhlichen Kenner“.

Sollten Sie nun bereits einer älteren Generation angehören: Im späten 20. Jahrhundert hieß ein spannendes Buch der Kunstgeschichte Der Anteil des Betrachters (1983). Es stammte von einem heute alten weißen (aber höchst klugen) Kunstgeschichtsprofessor – Wolfgang Kemp – und handelte von der kognitiven Bildung/Kompetenz der Kunst-Betrachter*innen, die vom Werk systematisch vorausgesetzt wird. Diese damals von Kemp beschriebene Erfahrung galt seinerzeit als wegweisende Erforschung des rezeptionsästhetischen Kontextualismus. Die heute Jungen und Junggebliebenen können über diese damals höchst innovative Erfahrung nur noch müde lächeln. Das superschnelle Internet mit seinen Social Media, um 1983 noch in unvorstellbar weiter Ferne, hat aus den damaligen Betrachter*innen längst erwachsene Akteur*innen, smarte Nerds und andere Communities von Fans und neuen Reproduzent*nnen hervorgebracht.

Zu den heutigen Kompetenzen von Kunstfans zählt heute nicht nur kalte Reflexion, sondern wohl immer häufiger das möglichst lebendige Vermögen dem Leben und der Kunst mit Humor zu begegnen. Manchmal auch die hehren Ansprüche exklusive Kunst einmal mit einem lachenden Auge zu relativieren. Das kann bedeuten ein Werk nicht immer extrem fokussiert zu betrachten, sondern sich auch einmal zu trauen aus dem Raster seiner Gewohnheiten herauszuspringen. Humor ist dabei so etwas wie ein Gegengift, das die melancholische Tiefe von Meistererzählungen zumindest für Momente außer Kraft setzen kann. „Das Auge, ein Wunder, ist wie ein Spiegel, der sich erinnert.“ hat Max Friedländer – in seiner umfangreichen, posthum veröffentlichten Zettelsammlung – einmal sinngemäß formuliert. Der Humor von uns Betrachter*innen wirkt dabei wie ein mentaler Geschmacksverstärker – ein entscheidender Moment, der eine Option eines Werkes plötzlich aus den Angeln hebt und in die Pointe einer leichten Veränderung verwandelt …

Bezeichnenderweise war gerade Joseph Beuys derjenige Künstler, dessen teilweise melancholisches und tiefgründiges Lebenswerk das Publikum ohne seinen vielgerühmten (rheinischen) Humor wohl gar nicht ausgehalten hätte. Bei aller heute notwendigen Gesellschaftskritik und den dystopischen Dimensionen der heutigen Welt: Das Schöne am Humor ist, dass er andere und nicht nur mich selbst dazu animiert – endlich einmal – über die Zustände der Gegenwart befreit zu lachen oder wenigstens innerlich lächeln zu können – über eine Welt, in der es ja seit einiger Zeit kaum noch wirklich etwas zu lachen gibt. Ob nun eher britisch-trocken, sprachverliebt-französisch oder am Ende dunkelerdig-deutsch: Humor ist ganz offenbar ein Moment sich selbst befreiender, plötzlicher Eigensinnigkeit. Diese so menschliche Eigenschaft besitzen besonders diejenigen, die leichtsinnig genug gerade heute noch etwas zu lachen haben – dabei ist der Umgang mit Kunst vor allem dann existentielle Lebenshilfe, wenn man weniger über sie, als vielmehr wir über uns selbst und unsere Freiheiten, Eigenarten und Obsessionen zu lachen beginnen.

Es stimmt also, was in diesem Blog an anderer Stelle behauptet wird: Fun ist gerade im Museum zum fact geworden!

Anmerkung der Redaktion:

Im Podcast Kunstsnack wird dieser Fun im Museum besonders deutlich. Comedian und Kunsthistoriker Jakob Schwerdtfeger stellt in kurzen Episoden Werke und Künstler*innen der Sammlung vor und präsentiert humorvolle und ungewöhnliche Fakten – leicht bekömmlich.

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