Re*visionen: Diskriminierungskritische Perspektiven auf Kunst und Museumspraxis
Auch in der Kunst finden sich Spuren von Rassismus: in Bildern, Erzählungen und Perspektiven. Kunstwerke können zeigen, wie Menschen sich und andere sehen, welche Geschichten erzählt werden und welche nicht.
Warum ist es wichtig, dass Museen sich mit Rassismus und Diskriminierung auseinandersetzen – auch in Bezug auf historische Kunstwerke?
Klassischerweise bewahren (Kunst-)Museen das Kunst- und Bildgedächtnis einer Gesellschaft und vermitteln diese in die Gegenwart. In der Vermittlung kontextualisieren, erklären und interpretieren sie diese. Dabei werden – bisweilen unbewusst – immer auch Werte, Bewusstsein und Ideologien in die Gegenwart übermittelt, bisweilen auch rassistische und diskriminierende. Wie soll es denn anders sein, unsere Kultur und Geschichte sind davon imprägniert, bis heute. Wenn wir das als Museum thematisieren, geht es mir aber nicht um eine moralische Verurteilung. Die halte ich nicht immer für angemessen, da es sich häufig eben nicht um ein individuelles Versagen, sondern um rassistische und diskriminierende Normen und Strukturen handelt, in die wiederum die Individuen eingebettet sind. Das kann aber auch keine pauschale Entschuldigung sein. Vielmehr geht es um eine angemessene kritische, wissenschaftliche oder auch künstlerische Auseinandersetzung aus unserer heutigen Perspektive heraus, die immer auch eine selbstkritische Sichtweise auf unsere eigene Arbeit inkludieren sollte.
Welche Herausforderungen gibt es dabei, historische Kunstwerke aus einer heutigen, diskriminierungskritischen Perspektive zu betrachten?
In der musealen Arbeit wenden wir auf der einen Seite wissenschaftliche Methoden an, die aber bei aller Objektivität aus meiner Sicht nicht immer wertneutral sind und deshalb auch kritisch reflektiert werden sollten. Auf der anderen Seite sind wir als Menschen, die im Museum arbeiten, selbst eingebunden in diskursive Formationen und Praktiken unserer Zeit. Somit tragen wir – auch unbewusst und unwillentlich – zur Verbreitung von diskriminierenden Bewertungen bei.
Nehmen wir als Beispiel die Aufklärung, aus der Museen hervorgegangen sind: Wir verdanken ihr sehr viel und ich halte sie für eine große emanzipatorische Kraft. Sie trägt aber in sich auch ein hohes diskriminatorisches und rassistisches Potential. Schon die Einteilung der Menschen in Physiognomik und sogenannte „Rassenmerkmale“ und vieles mehr folgen dem Wissenschaftsparadigma der Aufklärung. Darauf bauen die grundlegenden rassistischen Theorien und Praktiken des 19. Jahrhunderts auf und prägen damit die Weltordnung, in der wir noch heute mehr oder weniger leben. Entsprechend ist es wichtig, dass wir uns unserer eigenen Vorurteile und Diskriminierungspraktiken bewusst sind und diese auch transparent machen. Als Museen geben wir Inhalte weiter, etwa an Schulklassen, auch in Führungen, Wandtexten oder in Publikationen. Daraus ergibt sich die Verpflichtung zum verantwortungsvollen, bewussten und selbstkritischen Umgang mit Sprache. Denn Sprache ist immer auch ein Instrument der Macht, wie der Philosoph Michel Foucault in seiner Ordnung des Diskurses dargelegt hat, dessen müssen wir uns bewusst sein.
Ich halte es für sinnvoll und einem Kunstmuseum angemessen, mit Interventionen zu arbeiten, die ein breites Spektrum an Perspektiven eröffnen, die empathisch und künstlerisch vorgehen, aber klar sind in ihrer Positionierung – und dass wir hierzu auch den Raum für Widerspruch lassen. Diesen Widerspruch und diese Ambiguität müssen wir aushalten.
Was kann Kunst in diesem Zusammenhang leisten?
Das Spannungsfeld, in dem wir uns als Museum bewegen, ist aus meiner Sicht, dass Kunst und Kunsterfahrung von Offenheit und Ambiguität leben. Das ist eine Chance und bisweilen auch ein Dilemma zugleich. Kunst ist kein Schulbuch, kein Parteibuch und keine Bibel, sollte nicht missionarisch unterwegs sein, Kunst kann aber Impulse geben und Auseinandersetzungen fördern. Es wäre ein Verlust an Kultur und Zivilität, wenn wir Mehrdeutigkeit und Vielfalt zwar theoretisch einforderten, aber selbst massiv an der „Vereindeutigung der Welt“ – wie der Islamwissenschaftler Thomas Bauer seinen Essay nannte – arbeiten würden. Entsprechend halte ich es für sinnvoll und einem Kunstmuseum angemessen, mit Interventionen zu arbeiten, die ein breites Spektrum an Perspektiven eröffnen, die empathisch und künstlerisch vorgehen, aber klar sind in ihrer Positionierung – und dass wir hierzu auch den Raum für Widerspruch lassen. Diesen Widerspruch und diese Ambiguität müssen wir aushalten.
Welche Verantwortung trägt ein Museum, wenn es Werke zeigt, die problematische Darstellungen enthalten? In welcher Rolle sieht sich die Kunsthalle als Institution, die der Kunst eine Öffentlichkeit bietet?
Mir stellen sich hier zunächst einige Gegenfragen, die in dem jeweiligen Fall transparent diskutiert werden sollten: Was ist ein „problematisches“ Werk? Warum wird es zu einem bestimmten Zeitpunkt von wem als problematisch gesehen? Wie hat sich die Rezeption gewandelt? Warum reagieren wir heute vielleicht anders darauf und nehmen unsere Pflicht als Bildungsinstitution mit gesellschaftlicher Verantwortung, die auch mit symbolischem Kapital ausgestattet ist, ernst?
Aus meiner Sicht haben wir als Museum die Verpflichtung, die Freiheit des Denkens und Schreibens sowie des Zeigens auch in extremen und bisweilen radikalen Formen weder zu unterbinden noch zu verheimlichen. Demgegenüber haben wir aber auch klare Verpflichtungen, die sich auf das Grundgesetz stützen und die durchaus auch sittlicher Natur sein können. So wenig präzise und konkret das ist, sollten wir in jedem einzelnen Fall sehr kritisch abwägen, wofür wir uns entscheiden. Wir wollen keine rassistischen Vorstellungen oder diskriminierenden Bilder gedankenlos perpetuieren. Und dennoch halte ich es für zielführender, diese zu zeigen und darzulegen, was daran problematisch ist und wie wir heute darauf blicken, als sie nicht zu zeigen und damit auch die lange Tradition von Diskriminierungen und Rassismen zu ignorieren. Aber auch hier gilt, dass das nicht pauschalisiert werden kann: Denn es muss auch die Perspektive derjenigen, die von Rassismen betroffen sind, mit Sensibilität und Rücksicht geachtet werden. Also auch hier ein durchaus spannungsreiches Unterfangen, bei dem es nie den einen einzig richtigen Weg gibt, sondern vielleicht nur einen besseren unter vielen schlechten. Auch wir lernen hier.
Wie geht die Kunsthalle bisher mit Kontextualisierung um, und was soll sich durch re*visionen verändern? Welchen Diskurs wünscht sie sich auch durch die re*visionen zu führen und anzustoßen?
Kontextualisierungen zählen auch bei Kunsthistoriker*innen zum Handwerk des wissenschaftlichen Arbeitens. Und zu diesem Handwerk gehört auch die Wahrnehmung von Entwicklungen in der Wissenschaft und in unseren gesellschaftlichen Diskursen, wie u.a. Gender- und postkoloniale Theorien, Diskussionen um Critical Whiteness, kritische Untersuchungen zu Repräsentation, kolonialen bzw. rassistischen Wissensregimen und anderes mehr. Dabei steht häufig auch das Prinzip des Verlernens von eingeübten Denkmustern im Zentrum, um neue oder noch nicht eingeübte Sichtweisen zuzulassen. Es ist gut, wenn es auch in unserem Museum erste Projekte gibt, die diese in den Fokus stellen. Deswegen finde ich die Impulse, die durch re*visionen gesetzt werden, nicht nur für unsere Besucher*innen, sondern auch für unsere eigene Arbeit durchaus hilfreich und wichtig. Wir alle lernen hinzu, und Menschen, die selbst unter Rassismus und Diskriminierung leiden, fühlen sich vielleicht ein klein wenig stärker wahrgenommen, gesehen, ein klein wenig besser verstanden.
Welche Rolle spielen die Stimmen externer Expert*innen in diesem Prozess?
Diejenigen, die Rassismus nicht selbst erleben, können nur bedingt, vielleicht auch gar nicht, authentisch und empathisch darüber schreiben. Es tut uns also gut und bereichert unsere Sichtweisen, Menschen einzuladen, die in anderen Erfahrungswelten und Lebensbedingungen aufgewachsen sind, die andere Expertisen einbringen und die auch bereit sind, ihre Gedanken mit uns zu teilen. Auch das ist nicht selbstverständlich und dafür bin ich dankbar. Dies kann uns wichtige Impulse für unsere eigene Museums- und Programmgestaltung geben.
Es sind aus meiner Sicht insgesamt kluge, inspirierende, manchmal bittere, manchmal vielleicht auch ein wenig irritierende Interventionen, häufig sensibel, häufig inspirierend. Sie können uns dazu anregen, einen anderen, als den von uns eingeübten Blick auf die Kunst zu werfen, vielleicht auch Lebensrealitäten unserer Mitmenschen kennenzulernen und die Art zu hinterfragen, wie wir miteinander umgehen, mit welchen Werten und (Vor-)urteilen wir einander begegnen.
Wie können solche Interventionen langfristig in die Museumsarbeit integriert werden? Wie ist das Publikum eingebunden?
Ein Museum soll ein lebendiger Ort des Dialogs sein: Das sind Dialoge der Kunst mit dem Publikum, das sind Dialoge der Kurator*innen mit den Besuchenden, das sind die Dialoge der Künstler*innen und Autor*innen von re*visionen mit den Werken und dem Publikum und das können auch die Dialoge der Besuchenden untereinander sein. Ich halte grundsätzlich gezielte Statements für richtig – klare Positionierungen und klare Haltungen, auch um Impulse zu setzen. Wünschenswert wäre es darüber hinaus, dass wir im Team diskutieren, wie sich hier eine gewisse Kontinuität im Ausstellungsraum entwickeln ließe, die sich auch produktiv auf unsere Konzeption der neu einzurichtenden Kunsthalle 2030 auswirken könnte. Zugleich müssen auch wir uns als Kunsthallenteam zu diskriminierungssensibler Arbeit, Sprache und Kommunikation verständigen und hier einiges lernen. Dafür bietet re*visionen einen guten Einstieg, wofür ich zuerst den teilnehmenden Autor*innen sehr herzlich danken will. Mein Dank gilt an dieser Stelle auch den Kolleginnen der Vermittlung, Isabel Dotzauer, Tamara Engert, die das Projekt initiiert und durchgeführt haben. Auch geht mein Dank an die Kolleginnen Tabea Schwarze, Leonie Beiersdorf, Lara Di Carlo, Ute Renner und die Kollegen der Haustechnik für ihre Unterstützung! Finanziert wurde es in Teilen aus einer Förderung des Zentrums für Kulturelle Teilhabe Baden-Württemberg im Rahmen des Projektes Weiterkommen!, wofür ich ebenfalls herzlich danke!