Prof. Dr. Holger Jacob-Friesen, 2. Februar 2024

Einblicke in das Leben eines großen Kunstliebhabers und Mäzens – Teil 1

Schon zu Lebzeiten hat Dr. Hermann Röchling (1929-2020) die Karlsruher Kunsthalle vielfältig unterstützt. Sein Vermächtnis bedeutet einen spektakulären Zugewinn für die Sammlung Alter Meister.

Ihm verdankt die Kunsthalle das größte und bedeutendste Geschenk ihrer Sammlungsgeschichte: Über die Person Dr. Hermann Röchling, seine Familiengeschichte und seinen eigenen Lebensweg.

Im April 2023 durfte ich 54 Gemälde alter Meister in das Inventarbuch der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe eintragen: Werke italienischer, französischer, deutscher und niederländischer Meister vom späten 15. bis zum ausgehenden 18. Jahrhundert. Zusammen bilden sie das „Vermächtnis Dr. Hermann Röchling“. – Doch wer war dieser Mäzen, dem die Kunsthalle das größte und bedeutendste Geschenk ihrer gesamten Geschichte zu verdanken hat?

Schwieriges Erbe

1929 kam Hermann Röchling (junior) zur Welt. Sein Urgroßvater Carl Röchling hatte 1881 die Völklinger Hütte im Saarland erworben und sie zu einem modernen Hochofenwerk ausgebaut. Unter Hermann Röchling (senior), dem Sohn Carls, setzte sich der Aufstieg der Hütte zu einem der führenden Industrieunternehmen Deutschlands fort. In beiden Weltkriegen hatte das Eisen- und Stahlwerk hohe Bedeutung für die Waffenproduktion. Das erklärt das Interesse des nach Hegemonie strebenden Kriegstreibers Adolf Hitler an der Völklinger Hütte und an ihrem Chef. Hermann Röchling senior wurde zu einem Vertrauten Hitlers und leitete das Unternehmen im nationalsozialistischen Sinne, auch durch die Beschäftigung von Zwangsarbeitern unter menschenunwürdigen Bedingungen. Zwei aus der Sowjetunion deportierte Arbeiter waren es, die im Dezember 1944 Carl-Theodor Röchling, Sohn des älteren und Vater des jüngeren Hermann Röchling, zusammen mit einem ihn begleitenden Ingenieur erschossen. Sie hatten sich auf dem bereits stillgelegten Werksgelände versteckt und waren von Röchling und seinem Begleiter entdeckt worden.

Für den sensiblen Hermann Röchling junior, der 1948 in Saarbrücken das Abitur ablegte und anschließend das Studium der Wirtschaftswissenschaften im zerbombten Köln aufnahm, waren diese Jahre mehr als belastend; sie bedeuteten eine traumatische Erfahrung. Aus der Ferne verfolgte er den Rastatter Prozess gegen seinen Großvater, den einst mächtigen „Stahlbaron“ und Kriegsverbrecher. Er endete im Januar 1949 mit der Verurteilung zu zehn Jahren Haft. 1953 schloss Hermann Röchling junior sein Studium als Diplom-Kaufmann ab, 1956 folgte die Promotion. Nach ersten Berufserfahrungen in den USA und in Nürnberg trat er 1962 ins Direktorium der Völklinger Hütte ein, die der Familie einige Jahre zuvor zurückgegeben worden war. Die wirtschaftliche Krise Anfang der achtziger Jahre bewirkte, dass sich die Familie Röchling aus der Stahlproduktion zurückzog und sich auf andere Geschäftsfelder verlegte. Den radikalen Umbau des Familienunternehmens stieß Hermann Röchling noch mit an, doch schied er Mitte der achtziger Jahre aus der Leitung aus. Er siedelte ins ruhige Baden-Baden über, das ihm zur zweiten Heimat wurde. Hier lebte er fast im Verborgenen und ging seinen Interessen nach, insbesondere der Musik und der Kunst.

Ein spät berufener Sammler

Ich lernte Hermann Röchling 1999 kennen. Anlass war die von Dr. Dietmar Lüdke für die Kunsthalle konzipierte Große Landesausstellung Jean Siméon Chardin, an deren Vorbereitung ich, frisch von der Uni gekommen, als Volontär mitwirken konnte. Nicht nur Werke Chardins waren zu sehen, sondern auch solche seiner künstlerischen Vorbilder, zu denen der in Delft arbeitende Genremaler Pieter de Hooch zählte. Hermann Röchling besaß ein bezauberndes Bild dieses „Meisters der Stille“ – die Magd mit einem Eimer in einem Hinterhof, und er lieh es uns. Später erfuhr ich, dass eben dieses Gemälde drei Jahre zuvor seine Sammelleidenschaft entfacht hatte: 1996 nämlich war es Hermann Röchling nach einer günstig verlaufenen Augenoperation gelungen, das Bild bei Sotheby’s in London zu ersteigern. Mit dieser Erwerbung feierte er seine zurückgewonnene Sehkraft, vor allem das Vermögen, Farben wieder wahrnehmen zu können. In einem Brief an den Sotheby’s-Experten George Gordon, seinen langjährigen Berater in Kunstdingen, sprach er später von seinem „glücklichsten und am meisten geliebten Bilderwerb“.

Das Gemälde zeigt eine Magd mit Eimer in einem Hinterhof.

Das Pieter de Hooch-Gemälde war Hermann Röchlings erste Erwerbung im Millionenbereich. Im Jahr zuvor hatte er bereits zwei Bilder für einen sechsstelligen Betrag gekauft. Doch bald schon sollten weitere folgen. An Dietmar Lüdke schrieb der 68-Jährige im März 1997: „Das ist im übrigen eine ganz und gar ungewöhnliche Entwicklung, weil ich noch vor anderthalb Jahren keine solchen Gemälde besessen habe“ – nicht ohne hinzuzufügen: „an denen ich viel Freude habe“. Bis etwa 2007 kaufte Hermann Röchling nun jährlich rund vier bis fünf Gemälde, wobei er ausschließlich Dividenden seines Aktienbesitzes einsetzte. Aus dieser Praxis spricht eine gewisse Sparsamkeit des Ökonomen, doch vertraute er mir einmal an: „Mein Großvater hätte es missbilligt, so viel Geld in Kunst zu stecken.“ Für einen Unternehmer wie Hermann Röchling senior mochten teure Gemälde totes Kapital, somit Verschwendung gewesen sein. Für seinen gleichnamigen Enkel jedoch, den feinsinnigen Kunstfreund, waren sie eine Quelle der Anregungen und des Genusses. Vielleicht war die späte Wandlung zum Sammler – bewusst oder unbewusst – auch ein Akt der Emanzipation; eine Distanzierung vom Völklinger Patriarchen und von vielem, wofür dieser im negativen Sinne stand.