Marcel van Eedens Künstlerische Forschung zu Hans Thoma
Marcel van Eeden ist diesjähriger Preisträger des Hans-Thoma-Preises. Mit Kuratorin Dr. Leonie Beiersdorf sprach er über seine Arbeit sowie seine kritische Betrachtung Hans Thomas.
Du bist der erste aus der Reihe bedeutender Hans-Thoma-Preisträger*innen, der sich der Künstlerischen Forschung widmet. Was verstehst du darunter und warum hast du dies zum Schwerpunkt deiner Arbeit gemacht?
Direkt eine schwierige Frage zum Einstieg. In meiner Arbeit beschäftige ich mich immer mit der Vergangenheit. Alle meine Arbeiten basieren auf historischen Fakten, die vor 1965, also vor meiner Geburt stattgefunden haben. Das heißt, dass es sich immer um eine Art Forschung handelt: da ich nicht dabei war, muss ich erforschen, was stattgefunden hat. Für mich ist es interessant, irgendwo hineinzugehen, wo ich eigentlich nicht hinkommen kann, aber es durch die Informationen trotzdem irgendwie schaffe. So funktioniert Geschichte: Man hat Informationen, aber ist kein Teil dessen. Der Versuch da hineinzukommen, sich hineinzuarbeiten, ist interessant für mich.
Die Künstlerische Forschung ist ja noch ein relativ junges künstlerisches Gebiet, eine Weiterentwicklung der Konzeptkunst mit wissenschaftlichem Anspruch. Kann man sagen, dass sie für dich als eine Art Reflexionspraxis funktioniert, insbesondere zum Thema Zeit, um neue Einsichten zu generieren?
Schon, ja. Ich weiß nicht mehr genau, wie ich zu diesem künstlerischen Ansatz gekommen bin, aber ich weiß noch, dass ich mich mit Fotos von vor meiner Geburt auseinandergesetzt habe. Damit hat es angefangen. Mich hat es immer fasziniert, dass man ein Foto sehen kann von einem Moment, in dem man noch nicht im Leben war. Da laufen Leute, da ist eine Tram, da fahren Autos, aber ich selbst bin nicht im Leben, an diesem Tag, in diesem Moment, in dem das Foto gemacht wurde. Das finde ich faszinierend: Den Moment zu sehen von diesem bestimmten Tag, an dem das Licht auf eine bestimmte Weise fällt, die Tram fährt und ein Mann da entlangläuft. Es repräsentiert einen Moment in der Geschichte, an dem ich nicht da war. Wie kann ich einen Moment sehen, an dem ich nicht im Leben war? Das ist doch eigentlich unmöglich, das ist gegen alle Gesetze der Natur, aber die Fotografie macht es möglich.
Gegenstand deiner Künstlerischen Forschung ist die Reise Hans Thomas in die Niederlande – warum hast du diese als Ausgangspunkt deiner Arbeit gewählt?
Als wir das erste Mal in Bernau im Hans-Thoma-Museum zur Besichtigung waren, habe ich eine Tafel gesehen, auf der die Biografie von Thoma wiedergegeben wurde. 1898 war eine Reise in die Niederlande vermerkt. Das hat bei mir Interesse geweckt und ich habe mich gefragt, was Hans Thoma in den Niederlanden gemacht hat. Ich habe schon in meiner vorherigen Serie für die Kunsthalle Karlsruhe – das Karlsruher Skizzenbuch – mal leicht zu Thoma recherchiert und Biografien über ihn gelesen, aber ich habe nie etwas über die Reise in die Niederlande entdeckt. Das hat mich dann interessiert und ich dachte, dass ich dazu mehr erfahren muss. Ich fragte Frau Köpfer [Leiterin des Hans-Thoma-Kunstmuseums], ob es hierzu Briefe gibt, woraufhin sie mir einige gab. Später fanden wir noch mehr Briefe zu seiner Holland-Reise und weitere Stellen, in denen er beschrieb, wo er war. Das hat mich auch deshalb interessiert, weil ich selbst aus den Niederlanden komme. Da entstand die Idee 1898, das Jahr, in dem die Reise stattfand, nun mittels einer Fotografie-Serie zu rekonstruieren.
Bernau im Schwarzwald ist der Geburtsort Hans Thomas und Ort deiner Ausstellung. Wie blickst du auf das Aufeinandertreffen deiner zeitgenössischen wie auch kritischen Kunst und dem traditionellen Heimatfest am Tag der Preisverleihung?
Ich glaube es ist ein Clash. Das war nicht mein Ziel, es ist vielmehr etwas, dem ich nicht mehr aus dem Weg gehen konnte.
In meiner Recherche haben wir Briefe von Thoma gefunden, die bislang nicht publiziert wurden.
Ich habe während der Recherche zu der Reise Thomas nach Holland entdeckt, dass der Grund für die Reise auch die Rembrandt-Ausstellung, die zu Ehren der Königin Wilhelmina stattfand, 1898 in Amsterdam war. In den weiteren Recherchen habe ich bemerkt, dass Hans Thoma zehn Jahre lang gut befreundet war mit Julius Langbehn, der das Buch Rembrandt als Erzieher geschrieben hat. Das hat Rembrandt in Deutschland bekannt gemacht. In Frankreich war er bei den Impressionisten schon länger bekannt, in Deutschland kannte man zwar auch schon seinen Namen, er galt aber noch nicht als der große Maler. Durch das Buch von Langbehn ist Rembrandt auch bei den Deutschen sehr bekannt geworden, viele reisten deshalb zur Ausstellung nach Amsterdam. So auch Hans Thoma.
In den Briefen zwischen Thoma und Langbehn wird deutlich, dass Langbehn als völkisch gesinnter Kulturtheoretiker einen großen Einfluss auf Thoma hatte. Aber auch Thoma selbst äußert sich an verschiedenen Stellen völkisch-national und auch antisemitisch. Das war etwas ganz Unerwartetes und als Fund auch ernüchternd.
Nun ist sie da, die Dissonanz zwischen meiner kritischen Arbeit und dem Hans-Thoma-Fest. Es war nicht meine Absicht, aber ich finde, wenn man eine seriöse Ausstellung machen will, muss man eine seriöse Arbeit leisten. Die Ausstellung ist nicht Teil des Festes, deshalb finde ich, dass man hier ernst sein kann, ohne dass das Fest dadurch gestört wird. Aber ich merke schon, dass man bisher Hans Thoma lieber gefeiert hat und nun muss man mit den neuen Fakten, die präsentiert werden, umgehen. Die müssen eingeordnet werden und das erfordert intensive Arbeit.
Das war nicht mein Ziel, es ist vielmehr etwas, dem ich nicht mehr aus dem Weg gehen konnte.
Völkisch-nationale Ansichten und auch antisemitische Äußerungen Hans Thomas hast du subtil in deine Serie 1898 integriert, sie erscheinen als Brüche zwischen den stimmungsvollen Aufnahmen aus Amsterdam, Den Haag oder auch Bernau – was meinst du, inwiefern wird dieser noch relativ neue Aspekt zu Thomas Weltanschauung auch die Rezeption seines künstlerischen Erbes verändern?
Das ist für mich als Künstler schwierig einzuschätzen, das musst du als Kunsthistorikerin sagen. Ich glaube aber, Hans Thomas Spätwerk wird ohnehin nicht mehr als so wichtig erachtet. Sein Frühwerk mit den frühen Schwarzwald-Studien war sehr wichtig. Der Naturalismus, wie ihn bspw. auch Corot ausübte, war innovativ. Einfach nur einen Bauern zu malen, war damals eine Neuheit und dafür war seine Kunst wichtig. Er hat sich damals auch als junger Künstler dargestellt. Als dann später die Kontakte zu u.a. Cosima Wagner stärker geworden sind, ist seine Arbeit in eine Art verkrampften Symbolismus gerutscht, der gar nicht mehr interessant ist und auch nicht mehr gut.
Ja, das kann ich nachvollziehen, wobei mir auch noch viele Lücken in der kunstwissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Thoma auffallen, gerade im Spätwerk. Es wird nun sicherlich eine neue Debatte geben, bei der ich mir grundsätzlich die Frage stelle – da dies nicht nur Hans Thoma betrifft, sondern auch andere Künstler aus völkisch gesinnten Kreisen – welche Haltung wir im Kulturbereich einnehmen, wenn wir merken, dass neue biografische Fakten auftauchen, die in der Vermittlung problematisch sind, weil sie unseren heutigen Grundwerten widersprechen. Was bedeutet die Weltanschauung für das Schaffen, das Œuvre? Wo gibt es eine Beziehung zwischen der Haltung und dem Werk des Künstlers, und wo gibt es sie nicht? Lässt sich beides entkoppeln, oder wäre das zu einfach? Wieviel Kontextualisierung hält die Kunst aus, bevor sie zur historischen Quelle gerät? – Und diese Debatte wird nun von der Ausstellung weiter vorangebracht.
Ich denke auch, dass man zwischen dem frühen und dem späten Thoma differenzieren muss, die beiden kann man nicht miteinander vergleichen. Aber wenn ich auf das Museum hier in Bernau blicke, ist das eine Chance, sich dem frühen Thoma zu widmen, und sich auch mehr auf den Kontext des späten Thoma zu konzentrieren. Die Debatten des 19. Jahrhunderts, den ganzen Antisemitismus, den völkischen Nationalismus kann man hier behandeln und diskutieren. Wenn man das Umfeld von Hans Thoma miteinbezieht, gibt es dem Ganzen eine neue Dimension und mehr Tiefe.
1898
Die Ausstellung 1898 von Marcel van Eeden ist bis zum 15. Oktober 2023 im Hans-Thoma-Kunstmuseum in Bernau im Schwarzwald zu sehen. Die Werkschau wurde organisiert von der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe in Zusammenarbeit mit dem Hans-Thoma-Kunstmuseum.