Prof. Dr. Pia Müller-Tamm, 4. Februar 2022

Das Europa der Museen – Museen für Europa

Die Kunsthalle Karlsruhe kann als genuin europäisches Museum verstanden werden: Die badische Markgräfin Karoline Luise baute in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts ein Malerei-Kabinett auf, das eine der wesentlichen Voraussetzungen für die spätere Gründung des Museums war. Von der relativ kleinen Residenzstadt Karlsruhe aus konnte ihr dies nur aufgrund ihres weit verzweigten europäischen Netzwerks an Künstlern, Agenten und Korrespondenzpartnern gelingen.

Es ist symptomatisch für das gewachsene Selbstverständnis der Kunsthalle als europäisches Museum, dass man nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs europäisch blieb; der Schritt hin zur US-amerikanischen Kunst, den viele westdeutsche Museen damals gegangen sind, wurde in Karlsruhe nicht vollzogen. Aber auch der Blick auf das europäische Geschehen war einseitig: Es ist bis heute insbesondere die Kunst Deutschlands, Frankreichs und der Niederlande, die die Sammlung prägt; dazu kommen Italien, Spanien, wenig England, Österreich und die Schweiz, also allein Westeuropa. Als ich 2009 als Direktorin an die Kunsthalle kam, habe ich deshalb das Ausstellungsprogramm gezielt mit einem Künstler aus dem Osten Europas eröffnet: mit einer sehr markanten Großinstallation des global tätigen Polen Miroslav Bałka.

Als sich einige Jahre später die Förderlinie Creative Europe der Europäischen Union für die grenzüberschreitende Interaktion verschiedener Einrichtungen einsetzte, war dies für die Kunsthalle das Signal, den Aktionsradius des Museums international zu erweitern.

Unsere Wunschpartner waren das Musée des Beaux-Arts in Lyon und die Scottish National Galleries in Edinburgh. Alle drei Institutionen liegen nicht in den Hauptstädten ihrer Länder; alle drei zählen zu den frühen musealen Gründungen im 19. Jahrhundert; alle drei Häuser sammeln spartenübergreifend Kunst von der frühen Neuzeit bis in die Gegenwart; alle besitzen Hauptwerke der europäischen Kunstgeschichte, aber auch weniger bekannte Werke von regional tätigen Künstlern und Künstlerinnen.

Nach einer längeren Phase der Themensuche im Kreis des siebenköpfigen internationalen Kurator*innenteams fiel die Entscheidung für das „Selbstporträt“. Diese Gattung ist aufs engste mit der Geschichte der Emanzipation des europäischen Künstlersubjektes verbunden und ist in allen drei Sammlungen breit vertreten. Die EU-Förderlinie Creative Europe bot den Rahmen zur gemeinsamen Beantragung von Finanzmitteln, die vor allem der Vermittlungsarbeit zu Gute kamen.

Nach einer vierjährigen Vorbereitungszeit entstanden drei Ausstellungen mit sehr großen Schnittmengen bei den Werken, aber auch mit der Möglichkeit, in jedem Haus eigene Akzente zu setzen. Die Kunstgeschichte des Selbstporträts wurde im Zusammenspiel der drei Sammlungen nicht in der zeitlichen Ordnung des Nacheinander, sondern eher in Bruchstücken erzählt – als eine Kette von Knotenpunkten im Netzwerk der europäischen Kunstgeschichte. Für alle drei Museen und ihre kuratorischen Teams war diese kooperative Form der Museumsarbeit eine lohnende Erfahrung, die sich auch in einer überaus positiven Besucher- und Medienresonanz spiegelte.

Zu fragen ist: Brauchen wir heute seitens der Museen einen dezidierten Einsatz für Europa? Ist dies ein vertretbares Anliegen angesichts einer heute gleichfalls notwendigen Kritik eurozentristischen Denkens? Wir meinen, dass die Stärkung des Europas der Sammlungen und der Kompetenzen auch künftig ein lohnendes Projekt ist. Das Europa der Kulturen war immer ein Produkt des Austauschs; europäische Geschichte war in ihren produktiven Phasen immer Beziehungsgeschichte –verwoben mit der außereuropäischen Welt, aber auch dynamisch nach innen, also zwischen den europäischen Nachbarn. Kooperationen können als Kraft gegen die Gefahr eines Rückfalls Europas in die Zersplitterung wirken. Kunstmuseen sind vorzügliche Orte, um dem Gedanken eines weltoffenen Europa Geltung zu verschaffen.

Dieser Beitrag entstand auf der Grundlage eines Vortrags, der am 9. Dezember 2021 im Rahmen der Konferenz Peut-on parler d’une Europe des musées? von ICOM France gehalten wurde.