Prof. Dr. Holger Jacob-Friesen, 9. Februar 2024

Das Profil einer außerordentlichen Sammlung – Teil 2

Seine erste bedeutende Erwerbung auf dem internationalen Kunstmarkt tätigte Dr. Hermann Röchling im Ruhestandsalter. Wie baute er seine Sammlung auf und welche Prinzipien leiteten ihn?

 

Der erste Teil des Blogbeitrags warf einen Blick auf das Leben Dr. Hermann Röchlings und zeichnete seinen Weg zum Kunstsammler nach.

Vorlieben

Trotz seines Hangs zur Vielfalt war Hermann Röchlings Geschmack klar umrissen. So sprachen ihn vor allem Gemälde des 17. und 18. Jahrhunderts an. Manchmal ging er weiter zurück in die Zeit um 1500, wovon Werke von Giovanni Maineri, Timoteo Viti, Jan Provoost und vor allem ein wichtiges und spektakulär schönes Madonnenbild von Jan Gossaert zeugen. Diese Gemälde veranschaulichen die Wende vom Mittelalter zur Neuzeit. Wichtiger waren dem Sammler die Jahre um 1600, ebenfalls eine Umbruchszeit, in der auf italienischem Boden der Barock entstand. In der Sammlung Röchling lässt sich das an ausgezeichneten Werken von Alessandro Allori, Orazio Gentileschi, Giuseppe Cesari, Adam Elsheimer, Peter Paul Rubens, Bartolomeo Schedoni oder Alessandro Turchi nachvollziehen. Dabei hatte Hermann Röchling wenig Neigung zum Monumentalen und Gewaltigen. Für ihn mussten Bilder nicht groß, aber gut gemalt sein. Daher galt seine besondere Vorliebe der Feinmalerei auf Kupfer, für die Werke von Joseph Heintz, Hans Rottenhammer, Francesco Albani, Johann König oder Bartholomeus Breenbergh exemplarisch genannt seien. Typisch ist die Abwesenheit von Pathos und Dramatik. Anton van Dycks stark bewegte Ölskizze Anbetung der Hirten bildet in dieser Hinsicht eine Ausnahme, denn auch in barocken Bildern suchte Hermann Röchling eher Stille und Anmut. Als Motiv auffallend oft ist deswegen „Die Ruhe auf der Flucht“ vertreten. Die Vermutung liegt nahe, dass sich darin eine innere Gestimmtheit des bewusst abseits allen Trubels lebenden Sammlers spiegelt.

Das Gemälde von Anton van Dyck zeigt die Anbetung der Hirten.

Zur hochkarätigen Altmeister-Sammlung der Karlsruher Kunsthalle, die so sehr durch die kultivierte, im 18. Jahrhundert lebende „Meister-Sammlerin“ Karoline Luise von Baden geprägt worden ist, fühlte sich Hermann Röchling besonders hingezogen. Obwohl er Figurenbilder mochte, ließen ihn – wie die Markgräfin – theatralische Historien eher kalt. Die stille Erzählung, wie zum Beispiel in Caesar van Everdingens Artemisia, zog er vor. Genau wie Karoline Luise konnte er sich für die Gattungen Genre (Adriaen van Ostade, Cornelis de Man, Giovanni Domenico Tiepolo), Landschaft (teils nordisch: Meindert Hobbema, teils südlich: Claude Lorrain) und Stillleben begeistern. So ist etwa der frühe deutsche Stilllebenmaler Georg Flegel mit vier Werken vertreten, die sich zu einer wunderbaren, bedeutenden Gruppe fügen. Interessen, Neigungen und Qualitätsanspruch, aber auch der europäische Geist und der wache Blick für den internationalen Kunstmarkt verbinden Hermann Röchling mit Karoline Luise. Ihr Motto als Sammlerin – mon Cabinêt doit être plus choisy qu’étendu“ („mein Kabinett soll eher erlesen als umfangreich sein“) – hätte das Seine sein können. Auch die Vorliebe für sehr fein gemalte Bilder – „très fini […] c’est ce que je cherche dans mes tableaux“ („sehr fein […] das ist es, was ich in meinen Bildern suche“) – teilte er.

Das Vermächtnis

Die Sympathie mit der Karlsruher Sammlung brachte Hermann Röchling, der alleinstehend und ohne Nachkommen war, schon während eines frühen Stadiums seines Sammelns auf den Gedanken, die Kunsthalle in seinem Testament zu bedenken. Dabei wuchs seine Schenkungsbereitschaft im Laufe der Jahre: Waren es zunächst einige wenige konkret benannte Werke, die dem Museum zukommen sollten, stellte er schließlich die gesamte Sammlung zur Verfügung. Überaus bemerkenswert ist die Bescheidenheit, mit der er dies tat. Sein letzter Wille enthält nämlich keinerlei Bedingung oder Forderung, was etwa die Art der Präsentation oder die Nennung des Stifternamens angeht. Im Gegenteil: Das Testament stellt dem Museum sogar frei, diejenigen Werke abzulehnen, die nicht als Bereicherung der Sammlung angesehen werden. Der Erlös dieser durch seine Stiftung zu verkaufenden Werke solle, so bestimmte es Hermann Röchling, wiederum für Neuerwerbungen der Kunsthalle zur Verfügung stehen. Damit trug er der Tatsache Rechnung, dass ein Museum einerseits besonders hohe Ansprüche im Hinblick auf Qualität und Erhaltung von Kunstwerken hat, andererseits über sehr begrenzte Erwerbungsmittel verfügt. Nach sorgfältiger Prüfung in den Jahren 2021/22 benannte eine Arbeitsgruppe der Kunsthalle, der testamentarischen Bestimmung folgend, diejenigen Gemälde aus der Sammlung Röchling, die als entbehrlich anzusehen sind. Diese gut zwanzig – nicht inventarisierten – Werke werden nach und nach dem Markt zugeführt. Einen Sonderfall stellt eine 1653 gemalte Landschaft mit Wassermühle und Tieren von der Hand Paulus Potters dar, die im 18. Jahrhundert vom hessischen Landgrafen Wilhelm VIII. gekauft worden war. Bei den napoleonischen Kunstraubzügen kam sie der Kasseler Gemäldegalerie abhanden und kann nun gegen einen finanziellen Ausgleich dorthin zurückkehren.

Schon zu Lebzeiten machte Hermann Röchling der Kunsthalle ein großes Geschenk. 2007 entschloss er sich nämlich, Pieter de Hoochs Magd mit Eimer zu stiften – ausgerechnet sein Lieblingsbild! Hintergrund war, wie er uns damals mitteilte, dass sein Sehvermögen wieder stark nachließ. Das Genregemälde erinnerte ihn nun dauernd und schmerzlich an das Glücksgefühl nach der geglückten Augen-OP zehn Jahre zuvor. Um den Eindruck zu vermeiden, er wolle bloß ein Bild entsorgen, ersteigerte er noch ein Gemälde hinzu: Jan van der Heydens großartige Amsterdam-Ansicht mit St. Anthonispoort. Dieses von Hermann Röchling selbst ausgesuchte Gemälde, das er direkt nach Karlsruhe liefern ließ, war seine kostspieligste Erwerbung überhaupt – ein Meisterwerk, um das sich auch das Rijksmuseum in Amsterdam bemüht hat, wie mir der zuständige Kurator einmal sagte.

Das Gemälde zeigt eine Ansicht des St. Anthonispoort in Amsterdam bei blauem Himmel. Einige Fußgänger*innen sind unterwegs.

Eine atmende Sammlung

Nach 2007 tätigte Hermann Röchling nur noch einzelne Erwerbungen, jedoch von ausgesuchter Qualität, so etwa zwei Werke von David Teniers – eines seiner seltenen Stillleben und das Familienkonzert mit dem Selbstbildnis des Künstlers – sowie ein Blumenstück von Isaak Soreau. Ein wirkliches Juwel ist auch Adriaen Coortes Stillleben Drei Pfirsiche mit Schmetterling, Anfang Dezember 2014 ersteigert. Zwei Monate später schrieb Hermann Röchling an George Gordon, seinen Berater bei Sotheby’s, über dieses Bild: „Der schöne Katalog hat mich veranlasst, das mir selbst gesetzte Preislimit mutig zu erhöhen. Nun bin ich glücklich über den schönen Kauf und darf mich trotz meines immer noch schlechten Sehvermögens täglich an seinem Anblick erfreuen. Ich hätte nicht gedacht, dass ich mich noch einmal zu einem so köstlichen Besitz aufraffen würde. Der wirklich hohe Preis hat mich jedenfalls bisher nie gereut.“

Abbildung eines Gemäldes, das drei Pfirsiche auf einem Steinsims zeigt. Außerdem ist ein Distelfalter zu sehen, der über den Pfirsichen fliegt.

2017 entschloss sich Hermann Röchling zu einer letzten bedeutenden Erwerbung: Erfolgreich bot er auf Giovanni Domenico Tiepolos Menuett, angeboten von Christie’s. Mit diesem heiter-beschwingten Gemälde fügte er der Gruppe von Arbeiten aus dem 18. Jahrhundert (Giovanni Battista und Giovanni Domenico Tiepolo, Cornelis Troost, Jacopo Amigoni, Januarius Zick, Jacques-Henri Sablet) ein besonderes Glanzstück hinzu. Allerdings verkaufte er im Gegenzug ein Gemälde von Teniers, das eine elegante Gesellschaft im Garten zeigt und in der großen Karlsruher Teniers-Ausstellung von 2006 zu sehen war. Dabei ging es dem Sammler wohl mehr um die freiwerdende Hängefläche als um das eingenommene Geld: Nur wenige Wände des Wohn- und des kleinen Arbeitszimmers dienten nämlich der Präsentation seiner Kunstsammlung. An diesen Wänden war es mit der Zeit trotz dichter Hängung eng geworden, was auch Hermann Röchlings zunehmende Vorliebe für Kleinformate und schmale Zierrahmen erklärt. Verkäufe aus der Sammlung hatte es schon in den Jahren zuvor gegeben. So trennte sich Hermann Röchling immer wieder mal von Bildern, die er nur wenige Jahre zuvor gekauft hatte – darunter Werke von Lucas Cranach, Salomon de Bray und François Boucher. Es war eine lebende, eine ein- und ausatmende Sammlung.

Dem Gemeinwohl verpflichtet

Hermann Röchling ist nicht nur ein Mensch von großer Höflichkeit, sondern ein Philanthrop gewesen. Er lebte weltfern, ohne weltfremd zu sein. Sieht man von seinem teuren Hobby, dem Kunstsammeln, ab, so war er persönlich anspruchslos. Seinen Wohlstand wollte er mit der Allgemeinheit teilen. Das belegt nicht nur sein Vermächtnis zugunsten der Kunsthalle, sondern vor allem die 2008 von ihm gegründete Fontana-Stiftung. Sie unterstützt seither in starkem Maße karitative, kulturelle und wissenschaftliche Einrichtungen. Der Name der Stiftung leitet sich von einem Lieblingsgemälde Hermann Röchlings ab, das sich nun in der Kunsthalle befindet: Lavinia Fontanas mystische Heirat der heiligen Katharina. Es handelt sich um ein signiertes, kleines, um 1575 auf Kupfer gemaltes Frühwerk der später sehr erfolgreichen Malerin. Aber der Name „Fontana“ lässt auch an einen Brunnen denken, der tatsächlich in segensreicher Weise sprudelt. Davon profitiert auch weiterhin die Karlsruher Kunsthalle.

Im Oktober 2020 starb Hermann Röchling in Baden-Baden und wurde kurz darauf in Saarbrücken beigesetzt. Prof. Dr. Stephan Scherer, Vorsitzender der Fontana-Stiftung und langjähriger Vertrauter des Verstorbenen, gab seiner Trauerrede den Titel „Ein Leben in Bescheidenheit, Großmut und Höflichkeit“.