Das geschlossene Museum: Ein Ort für alle?
Seit November 2021 ist die Kunsthalle nun „geschlossen“ und kann neben ihrem einschränkenden Ausstellungsgeschehen auch sämtliche Kommunikations- und Vermittlungsmaßnahmen nur unter veränderten Bedingungen nachgehen. Zum Abschied meiner Kunsthallen-Zeit wird es Zeit für einen (kritischen) Rückblick.
Vor über zwei Jahren berichtete ich an dieser Stelle über die geschlossene Kunsthalle und ihre Chancen aus Sicht der Kommunikation. Wir alle kennen doch diese Schlagwortwolken, die oftmals in Workshops zur Informationsvisualisierung verwendet werden. Wenn man die aktuelle Situation der Kunsthalle in diesen Wortwolken denken würde, wären das wohl die ersten drei, die einem einfielen: Schließzeit. Sanierung. Interim. Seit dem 1. November 2021 ist die Staatliche Kunsthalle Karlsruhe also geschlossen – und irgendwie auch wieder nicht. Man müsste es also präziser formulieren: Das Hauptgebäude der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe in der Hans-Thoma-Straße 6 sowie die benachbarte Orangerie sind geschlossen, aber ein Teil unserer Sammlung ist dennoch sichtbar: Im Gegensatz zu anderen Museen, die aufgrund umfangreicher Sanierungsmaßnahmen schließen mussten, hat die Kunsthalle das große Privileg, seit Ende April 2023 im ZKM | Zentrum für Kunst und Medien zu Gast sein zu dürfen. Hier zeigen wir mit der Ausstellung KunsthalleKarlsruhe@ZKM rund 600 Sammlungswerke aus acht Jahrhunderten. Auf rund 2.000 m² werden Gemälde, Grafiken, Fotografien, Installationen und Plastiken in einer speziell für den Hallenbau entwickelten Neukonzeption gezeigt. Man könnte diese Präsentation durchaus als Highlight-Ausstellung bezeichnen, aber darüber hinaus sind auch bislang nie gezeigte Neuerwerbungen zu sehen.
Ein digitaler Vermittlungsguide für die Sammlung
Der neue Ort im ZKM und die dortige völlig neue Präsentation der Sammlungswerke verlangten auch neue Ansätze im Bereich der digitalen Kunstvermittlung. Die im Hauptgebäude verwendeten Audioguides, die einst für die dortige Dauerausstellung genutzt wurden, waren nicht nur längst überholt, sondern auch in ihrer inhaltlichen Form sehr unflexibel und zu eindimensional. Daher fiel mit der Vorbereitung der Interimsausstellung die Wahl auf die Neukonzeption eines digitalen Vermittlungsguides, der multimedial durch die Ausstellung KunsthalleKarlsruhe@ZKM führt und über das eigene Smartphone nutzbar ist. Hierfür wurden nicht nur thematische Rundgänge zu den Sammlungs-Highlights oder zur Provenienzforschung entwickelt, sondern auch Wert auf einen Perspektivwechsel gelegt: Mit Touren, die persönlich von Online-Multiplikator*innen konzipiert wurden, können die Besucher*innen die Werke nun aus völlig neuen Blickwinkeln betrachten. Dafür konnten wir den 3sat-Moderator Markus Brock, die Influencerin und Creative Director Lisa Masé oder die Künstlerin und Medien-Designerin Jette gewinnen. Bei allen Touren ist es frei wählbar, ob die Inhalte lesend oder hörend abgerufen werden. Via QR-Code lassen sich zudem einzelne Werke erschließen. Neben den Basisinformationen kann hierbei vertiefendes Wissen durch Blogbeiträge oder kreative Gestaltungsangebote entdeckt werden. Durch die Abrufbarkeit mit eigenem Browser sind die Inhalte auch von zu Hause als Vor- oder Nachbereitung der Ausstellung verfügbar. Wie auch innerhalb anderer Projekte war mit der Konzeption des digitalen Vermittlungsguides das erklärte Ziel, eine nachhaltige Lösung zu entwickeln, um mit nur einem Tool auf die unterschiedlichen Bedürfnisse eines vielfältigen Publikums einzugehen. Gleichzeitig sollte es auch an anderen potenziellen Interimsorten eingesetzt werden können. Eine große Herausforderung innerhalb der Konzeption war die Skizzierung der unterschiedlichen Zielgruppen und damit verbunden auch die Frage, wie bedarfsgerechte Texte und Inhalte aussehen können. Aktuell ermöglicht es der digitale Vermittlungsguide, mittels Storytelling und dem Einsatz unterschiedlicher Medien ganz unterschiedliche Zielgruppen zu gewinnen. Das Tool wird hierbei auch in Zukunft immer wieder strategische Erweiterungen erfahren, sodass neue Inhalte kontinuierlich folgen sollen und auch hierbei wird ein besonderer Fokus auf die potenziellen Zielgruppen gelegt. Eine Auswertung des User*innen-Verhaltens ist ein nächster Schritt, um das Tool nochmal kritischer zu prüfen und entsprechend anzupassen.
Erweiterung des Podcast-Angebots
Zwei weitere Herzensprojekte aus dem Bereich der digitalen Kommunikation gingen seit Beginn der sanierungsbedingten Schließzeit ebenfalls an den Start: Die beiden Podcast-Formate Kunstsnack (Launch 2022) und Kunstcouch (Launch 2023). Nicht erst durch die sanierungsbedingte Schließzeit hat die Kunsthalle den Weg ins Digitale eingeschlagen, um die Kunsthalle mit ihrer exzellenten Sammlung im kollektiven Gedächtnis lebendig zu erhalten, dennoch war die Entwicklung beider Podcast-Formate erst einmal wieder ein neuer Weg, um Zielgruppen zu erreichen, die nicht zu unseren üblichen Besucher*innen zählen. Dazu konzipierten wir bewusst zwei sehr unterschiedliche Formate: Während im rund 10-minütigen Kunstsnack der Comedian und Kunsthistoriker Jakob Schwerdtfeger humorvoll und unterhaltsam kurze Fakten zu den Werken aus der Kunsthallensammlung präsentiert, ist die Kunstcouch ein längeres psychologisches Gesprächsformat. Die Hosts der Kunstcouch waren in der ersten Staffel der Psychotherapeut Umut Özdemir und die Autorin Jaqueline Scheiber. In der zweiten Staffel, die erst kürzlich startete, steht der Psychologe Can Isyapar Jaqueline als Gesprächspartner zur Seite. Ausgehend von unseren Sammlungswerken sprechen die beiden Hosts über soziale und psychologische Themen und Phänomene, die uns im Alltag bewegen. Der „Alltag“ bzw. das „alltägliche“ Leben spielt generell bei der Konzeption digitaler Angebote der Kunsthalle eine Rolle. Wir verfügen über eine großartige Sammlung, die aber stark fürstlich geprägt ist. Es gibt Besucher*innen, die sich fragen, was das eigentlich mit ihnen zu tun hat. Dabei arbeitet die Sammlung die großen Themen der Menschheitsgeschichte auf: Es geht um Liebe, Eifersucht, Trauer, Narzissmus, toxische Beziehungen – dieses Spannungsfeld zeigt sich sowohl in unseren Werken wieder als auch in den Künstler*innenbiografien. Da das Aufzeigen dieser Ebene im Ausstellungskontext oft nicht möglich ist, sind digitale Vermittlungsangebote wie der Kunstsnack oder die Kunstcouch ein guter Weg, um die Menschen direkt im eigenen Alltag abzuholen und um Identifikation zu stiften.
Kunst im Kino
Eine analoge Kommunikationsmaßnahme, die die „geschlossene“ Kunsthalle im lokalen Kulturgeschehen auch außerhalb der ZKM-Ausstellung lebendig halten sollte, war die Reihe Alles über Kunst in Kooperation mit dem Karlsruher Programmkino Schauburg. In enger Abstimmung mit dem Kino wurde eine Filmreihe kuratiert, die durch die Kunsthallen-Sammlung inspiriert war. Hierbei trafen die unterschiedlichsten Filmgenres aufeinander: Von Dokumentationen wie Vermeer – Reise ins Licht oder Peggy Guggenheim – Ein Leben für die Kunst bis hin zu fiktivem Stoff aus Hollywood mit Wie klaut man eine Million?: Jeder dieser Filme wurde vor Ort durch eine*n Kolleg*in der Kunsthalle kunsthistorisch eingeführt. In der darauffolgenden Woche fand eine dazu thematisch passende Führung in der ZKM-Ausstellung oder auch letztmalig im Hauptgebäude der geschlossenen Kunsthalle statt. Die Verbindung von Kunst und Kino fand glücklicherweise sehr großen Anklang. Die Kooperation war vor allem dadurch erfolgreich, dass mit der Schauburg eine Partnerin gefunden wurde, mit der sich viele Karlsruher*innen identifizieren. Mit Kinobesucher*innen erreichten wir ein Publikum, das per se als kulturaffin eingestuft werden kann. Die Begegnungen und die Gespräche mit den Teilnehmenden haben aber dennoch gezeigt, dass viele aus dem Kinopublikum die Kunsthalle bzw. das neue Domizil im ZKM noch nicht aufgesucht hatten. So konnte über das Medium Film eine Brücke für den Museumsbesuch gebaut werden. Dies zeigt einmal mehr, dass auch die Konzeption und Durchführungen von Veranstaltungen – jenseits von konventionellen Führungen – die Sichtbarkeit auch an anderen Orten noch einmal deutlich steigern können. Auf vielfacher Nachfrage wird diese Kooperation weitergeführt, worauf wir uns schon sehr freuen.
Digital vs. analog?
Es ist paradox: Während der Corona-Zeit waren sich schnell alle einig, dass die digitale Kommunikation ein wichtiges und unerlässliches Standbein ist, denn schließlich war dies für eine lange Zeit die einzige Möglichkeit, am Leben außerhalb von Quarantäne teilhaben zu können. Es war das einzige Mittel, wie man sich begegnen und seine liebsten Kultureinrichtungen besuchen konnte. Selbst Skeptiker*innen – sei es im eigenen Team oder innerhalb der Besucherschaft – erkannten die Bedeutung des Digitalen an, was dazu führte, dass viele Museen und auch andere Einrichtungen endlich im Digitalen aufsatteln konnten, was zuvor vielleicht versäumt wurde. Jetzt – einige Zeit nach der akuten Pandemie und den damit verbundenen Einschränkungen – sind jedoch Rückschritte zu beobachten. Die 360°-Tour der Kunsthalle, die unabhängig von der Corona-Pandemie als Konservierung eines Museums gedacht war, das so nie wieder besuchbar sein wird, – erhielt neben einer Quiz-Challenge auch die Möglichkeit in der dortigen Umgebung eine Live-Führung stattfinden zu lassen. Sie sollen durch die so nicht mehr begehbare Architektur des Hauptgebäudes führen. Ein Umstand, der auch denjenigen Menschen zugutekommt, die aufgrund von körperlichen oder geographischen Einschränkungen nicht mehr vor Ort sein können. Dennoch lässt sich überall beobachten, dass der Schwerpunkt seit einiger Zeit vor allem auf analoge Führungsformate gesetzt wird, obwohl diese zum Teil eine kleinere Zielgruppe erreichen als es virtuelle Führungen tun. Sollte es nicht auch an dieser Stelle viel eher das Ziel sein, die analoge und die digitale Vermittlungsebene als gleichwertig zu betrachten? Und mit Blick auf die Konkurrenz in Sachen Onlineangebote außerhalb der Kulturblase: Macht es nicht Sinn – inspiriert von den großen Player*innen – diese Angebote zu professionalisieren und auszubauen, statt sich zurückzuziehen?
Große Herausforderungen brauchen weiterhin große Ideen
Vor über zwei Jahren berichtete ich an dieser Stelle, dass wir vor allem viele Chancen im Transformationsgeschehen der Kunsthalle sehen, auch wenn wir immer wieder vor große Herausforderungen gestellt werden. Zum Ende meiner Dienstzeit in der Kunsthalle kann ich nun sagen, dass das Team zum Glück weiterhin große Visionen und Ideen im Kopf hat und auch vor allem den Ansporn, unser Publikum und Nicht-Publikum besser kennenzulernen und sogar neu zu denken. Ein Schritt in diese Richtung ist die Teilnahme am Förderprogamm Weiterkommen! des Zentrums für kulturelle Teilhabe: Hierfür sind maßgeschneiderte digitale Angebote in Planung, um die kulturelle Teilhabe und zielgruppenspezifische Kunstvermittlung in diesem Bereich weiter zu verstetigen. Die Erkenntnisse, die wir bisher aus diesem Projekt ableiten konnten, zeigen, dass noch ein langer Atem notwendig ist. Aber das ist auch nicht verwunderlich, denn der Weg, das Nicht-Publikum zu erreichen, ist noch recht neu und hierbei muss erst einmal Grundlagenarbeit betrieben werden. Die Rückmeldungen aus der Community zu den einzelnen Maßnahmen zeigen aber dennoch, dass wir auf einem guten Weg sind, auch wenn wir uns weiterhin noch stärkere Interaktion und Diskurs wünschen würden. Daher wird das Team der Kunsthalle auch in den kommenden Jahren auf unterschiedliche Vermittlungsangebote setzen, denn eines steht zweifelsfrei fest: Es gibt nicht nur DAS Publikum bzw. EIN Angebot für alle. Dennoch ist das Museum ein Ort für ALLE, daran sollten wir weiterhin arbeiten. Und wenn ich mir also zum Abschied die Schlagwortwolken für die Kunsthalle in naher Zukunft überlegen dürfte, wären das: Vielfalt. Lebendigkeit. Offenheit.