Kirchners Blick – Das Verhältnis zu seinen Modellen
Aktstudien bei den Brücke-Künstlern
Ernst Ludwig Kirchner bezeichnete in seiner 1913 verfassten Chronik der „Brücke“ den Akt als „Grundlage aller bildenden Kunst“. Seine Aktstudien zeigen nicht nur die lebensreformerische Haltung der Gruppe, die bürgerliche Normen infrage stellte, sondern auch ein verändertes Verständnis des weiblichen Körpers.
Das „Brücke“-Manifest endete 1906 mit einem eindringlichen Appell:
„Jeder gehört zu uns, der unmittelbar und unverfälscht das wiedergiebt, was ihn zu schaffen draengt.“
Die Künstlergruppe „Brücke“ entwickelte einen neuen Umgang mit dem menschlichen Körper, im Gegensatz zur idealisierten Tradition der Aktdarstellung. Zuvor wurde der nackte Körper in der westlichen Kunst meist im Zusammenhang mit mythischen und historischen Bedeutungen dargestellt.
Seit Beginn des 20. Jahrhunderts lässt sich jedoch eine neue Tendenz beobachten: Der Körper gewinnt eine eigene Ausdruckskraft. Die intensive Auseinandersetzung mit dem natürlichen Körper wurde zu einem zentralen Element der Suche nach einer neuen künstlerischen Sprache.
Diese war durchaus heikel: Selbst die abstrahierte Darstellung des nackten weiblichen Körpers – etwa auf Fritz Bleyls Plakat zur ersten „Brücke“-Ausstellung 1906 – wurde von der Polizei zensiert. Doch Begriffe wie „Ursprünglichkeit“ und „Unverfälschtheit“ blieben Leitideen der Avantgarde.
Die Frauen in Kirchners Umfeld – Doris Große, Lina Franziska Fehrmann, Milly/Milli sowie Erna und Gerda Schilling – waren Freundinnen, Vertraute oder Bekannte. Ihre Darstellungen aus den Skizzenbüchern zeigen Alltagssituationen und intime Momente, die persönliche Beziehungen sichtbar machen – weit über die Rolle eines klassischen Modells hinaus.