Unidentifizierte Figuren in Kirchners Werk
Zirkus, Varieté und koloniale Bilder
Viele Figuren in Kirchners Werk lassen sich nicht eindeutig benennen. Zahlreiche Skizzen zeigen Darstellungen Schwarzer Menschen mit Namen wie Sam, Milly oder Nelly.
Diese Arbeiten spiegeln koloniale Blickweisen und die Faszination für das „Fremde“. Besonders in der Zeit, in der Kirchner in Dresden lebte, arbeitete er gemeinsam mit den Künstlern der „Brücke“ mit dem Ziel, unterschiedliche Momente menschlicher Bewegung festzuhalten.
Dazu gehörten wiederholte Besuche in Zirkussen, Varietés, , um Eindrücke dynamischer Situationen und internationalerzu sammeln. Kirchners Werke bezeugen damit auch die zeitgenössische Verflechtung mit dem deutschen Kolonialismus, der solche Formen der Zurschaustellung von Menschen überhaupt erst ermöglichte.
Unsichtbarkeit individueller Identität
Obwohl manche dieser Figuren reale Personen gewesen sein könnten, bleiben ihre Identitäten unklar. Auffällig an diesen Zeichnungen ist, dass sie im Gegensatz zu den Zirkusszenen teilweise auch in Atelierszenen eingebunden sind.
Manche Werke zeigen intime Momente, wie etwa die Holzschnittdarstellung der Schlafenden Schwarzen Frau von Erich Heckel oder die Darstellung einer auf einem Liegebett posierenden Frau bei Kirchner.
Mögliche Identitäten von Milly/Milli
Die Kulturwissenschaftlerin Natasha A. Kelly verweist auf fünf mögliche Wege, wie diese Figuren in Kirchners Atelier in der Berliner Straße 80 in Dresden gelangt sein könnten.
Verschiedene Quellen legen nahe, dass Nelly tatsächlich existierte. Darauf weist unter anderem eine Postkarte von Heckel hin.
Unklar bleibt hingegen die Herkunft von Milly/Milli. In der Literatur wird vermutet, dass Sam und Milly ein Paar waren und zwischen 1909 und 1910 als Artistinnen und Artisten im Zirkussen auftraten.
Wie Kirchner mit den beiden in Kontakt kam, bleibt unbekannt. Kelly fand bei genauerer Untersuchung jedoch keine Belege für Personen, die mit den literarischen Beschreibungen übereinstimmen. Möglich ist, dass es sich um Jazz-Tänzerinnen und Tänzer aus den USA handelte oder um Personen aus den Völkerschauen, die im Dresdner Zoo regelmäßig aufgeführt wurden.
Der Name „Milly“ taucht erneut im Jahr 1929 in einem Brief von Kirchner an Erna Schilling auf, diesmal vermutlich im Zusammenhang mit einer Haushaltshilfe. Möglicherweise verwendete Kirchner denselben Namen für verschiedene Schwarze Frauen. Daran wird deutlich, dass ihre Individualität in seinen Darstellungen weitgehend unbeachtet blieb.