
Maria mit Jesusknaben
Beschreibung
Als gekrönte Himmelskönigin sitzt die junge Maria auf einem unsichtbaren Thron. Der stoffreiche Mantel fältelt sich kunstvoll um ihren Schoß, wo er die Basis für den kleinen Jesusknaben bildet. Von seiner Mutter gehalten, balanciert er mit leicht angewinkelten Beinen auf ihren Knien und greift - Halt suchend und spielerisch zugleich - in ihren Ausschnitt. In der Bewegung und Physiognomie wird die Absicht des Zeichners deutlich, ein kleines Kind möglichst realistisch darzustellen: Mit weit aufgerissenen Augen blickt der gelockte Junge auf seine Mutter, sein leicht geöffneter Mund über dem wohlgenährten Doppelkinn und die Stupsnase charakterisieren den Welterlöser als ganz normales, spielendes Kleinkind. Erst der demutsvoll gesenkte Blick der gekrönten Maria auf ihren Sohn sowie ihre zarten, langen Hände, mit denen sie vorsichtig den Jungen wie ein Kleinod hält, veranschaulichen die Bedeutung des Knaben.
Mit großer Präzision führte der unbekannte Künstler seine Feder - Umrisse, Binnenschraffur und der geschwungene Duktus für das gelockte Haar von Mutter und Kind zeugen von einer prägnanten Liniensprache, die Figuren und Gewändern bei aller Naturnähe eine anmutige Eleganz verleiht. Besonders deutlich wird diese Formgebung in der reichen Fältelung des Gewandes, deren plastische Modellierung nur durch Linien erzeugt wird.
Die Komposition dieser Darstellung geht auf den romanischen Typus der "Sedes Sapientiae" (Sitz der Weisheit) zurück, der sich an den alttestamentarischen Thron Salomos anlehnt und die sitzende Gottesmutter mit ihrem Sohn als Thron des Fleisch gewordenen Wortes zeigt. Der anonyme Künstler nutzte für seine Zeichnung eine gedruckte Vorlage des berühmten Kupferstechers Martin Schongauer. Dieser zeigt auf der Krümme eines Bischofsstabes die thronende Muttergottes - knapp 5 Zentimeter groß. Dort sitzt sie hoheitsvoll auf einem reich verzierten Thron und wird von musizierenden Engeln begleitet. Indem der Zeichner diese Vorlage stark vergrößert, unterwirft er sie auch entscheidenden Veränderungen: Außerhalb von Zeit und Raum erscheinen Mutter und Sohn hier von ihrem Thron herabgestiegen, um sich dem Gläubigen als lebensnahes Gegenüber zuzuwenden. [D.S.]
Daten und Fakten
Titel | Maria mit Jesusknaben |
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Künstler*in | Anonym (15. Jh. D) |
Entstehungszeit | wohl um 1480/1485 |
Inventarnummer | 1975-5 |
Maße Blatt | H 22,45 cm H 21,9 cm B 16,7 cm |
Material | Papier |
Technik | Feder in Braun Feder in Dunkelbraun Vorzeichnung schwarze Kreide |
Gattung | Zeichnung |
Abteilung | Kupferstichkabinett |
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