Blick auf die venezianische Lagune mit den Inseln San Michele und San Cristoforo

Die Vedutenmalerei prägte maßgeblich das Bild von Venedig im Europa des 18. Jahrhunderts. Die sogenannten Vedutisti schufen einzigartige, teils fiktive Topografien, die die signifikante Architektur der Stadt einfingen. Der Veduten- und Prospektmaler Francesco Tironi zeigt hier aber keine genretypische Ansicht von Venedig, wie beispielsweise die prachtvollen Kanäle und Brücken, welche die Touristen bei der Ankunft mit dem Boot bereits begrüßen, sondern den Handelshafen Sacca della Misericordia nördlich der venezianischen Lagune.

In der Lagune herrscht geschäftiges Treiben. Handelsschiffe gehen vor Anker und Waren werden mit Kränen aus- und umgeladen. Dieser rege Verkehr auf dem Wasser wird auch durch die Malweise, einen raschen Pinselstrich, aufgegriffen. Durch vielschichtige Farbvariationen, mit dominierenden Braun-, Grün- und Blautönen, die oft ans Monochrome grenzen, entsteht eine zarte morgendliche Stimmung. Der streng durchkomponierte Ausschnitt ist gerahmt von einer Häuserzeile auf der rechten und einen hohen Mast mit Segeltuch auf der linken Seite. Dieser Eindruck ist äußerst genretypisch für die Vedutenmalerei, denn das Motiv wird nicht wirklichkeitsgetreu, sondern mit großer künstlerischer Freiheit wiedergegeben. Tironi setzt sich also über topografische Gegebenheiten hinweg und retuschiert architektonische Asymmetrien, um eine harmonische Gesamtansicht zu kreieren. Dazu verlegt er die Insel Murano optisch nach vorne und schiebt sie näher an San Michele und San Cristoforo heran, deren Zwischenbereich um 1837 tatsächlich aufgeschüttet wurde. Dadurch entsteht eine harmonische Linie, auf der sich die einzelnen Inseln aneinanderreihen.

Bis 1920 wurde das Werk in den Galeriekatalogen Francesco Guardi zugeschrieben. Bei genauem Hinsehen, ist jedoch die Signatur Tironis auf einer Transportkiste im unteren linken Bildteil zu entdecken. Hier verewigte er sich mit seinen Initialen FT.