
Der Sturm
Beschreibung
Claude Joseph Vernet gehörte zu einer Künstlerfamilie und erhielt ersten Unterricht bei seinem Vater Antoine Vernet in Avignon. Über eine weitere Station in Aix-en-Provence erhielt er ein Stipendium für die Fortsetzung seiner Ausbildung zum Marinemaler in Rom. 1753 begann seine erfolgreiche Karriere am französischen Hof. Er erhielt von Ludwig XV. den Auftrag zu einer Folge der französischen Seehäfen, um die Seemacht Frankreich zu veranschaulichen. Mit seinen See- und Küstenbildern wurde Vernet berühmt.
Das Gemälde „Der Sturm“ geht der französischen Auftragsserie unmittelbar voran. Im Gegensatz zu ihr spielt jedoch hier die städtebauliche Topographie eine untergeordnete Rolle.
Dargestellt ist ein dramatischer Sturm an einer steilen Felsküste, bei dem ein Dreimaster auf offener See in Not geraten ist. Der Bildaufbau zeigt, dass es hier in erster Linie um einen Kampf der Naturgewalten geht. Die Küstenfelsen am linken Bildrand stemmen sich den von rechts oben kommenden schweren dunklen Sturmwolken entgegen, die sich zum Teil in Regenschleiern entladen, das Meer aufpeitschen und Menschen und Schiffe in große Gefahr bringen. Im Vordergrund ist eine Gruppe Schiffbrüchiger an Land zu sehen, ein voll besetztes Boot kämpft nahe dem Ufer noch mit den hohen Wellen. Die Gesten der Männer an Land und im Boot verraten zusätzlich die Dramatik des Geschehens. Nur im Bildhintergrund rechts verheißt der Himmel eine Wetteränderung: Dort brechen die Wolken auf, erscheint der Horizont mit rötlicher Dämmerung, dringt das Sonnenlicht durch, das die entfernten Berge und die bebaute Küstensilhouette weißlich beleuchtet.
Lassen sich der Ort und die Umstände des Ereignisses konkretisieren? Dass es sich um die Küste der Hafenstadt Genua handelt, ist an dem berühmten Leuchtturm im Mittelgrund des Bildes eindeutig zu erkennen. Dieser hoch aufragende Leuchtturm aus der Mitte des 16. Jahrhunderts scheint unerschütterlich den Himmelsgewalten zu trotzen. Das havarierte Schiff hingegen ist schwer zu identifizieren. Seine Beflaggung (vielleicht mit der „Red Enseign“) deutet möglicherweise auf ein britisches Handelsschiff oder ein Schiff der British East India Company hin. Es muss offenbleiben, ob Vernet sich hier eine Spitze gegen das mit Frankreich rivalisierende England leistete oder über das Verhältnis der großen Seemächte zueinander reflektierte. Das Geschehen ist nicht auf ein historisch belegtes Ereignis zurückzuführen.
Der Dramatik der Darstellung steht eine ernüchternde Wahrheit gegenüber. Die Zusammensetzung des Gemäldes erklärt sich schlicht durch den Auftrag. Vernet schuf es für einen adligen Rom-Reisenden, den Iren Thomas Dawson (1725–1813), der zwischen 1749 und 1768 die Grafschaft Monaghan im irischen Unterhaus repräsentierte und 1770 als Baron Dartrey in das irische Oberhaus aufgenommen werden sollte. Dem Auftragsbuch des Malers lässt sich entnehmen, dass Dawson zwei Marinebilder wünschte, von denen das eine die Komponenten Sturm und Sonnenaufgang enthalten sollte. Die Fertigstellung war für September 1752 festgelegt.
Dass das Rahmenthema nicht vom Künstler, sondern vom Auftraggeber bestimmt wurde, sah Vernets Geschäftsmodell vor: „[Ein Auftraggeber] kann mir das Maß und die Themen im Allgemeinen nennen, wie Windstille, Sturm, Sonnenaufgang, Sonnenuntergang, Mondlicht, Landschaft oder Meer usw., aber mehr nicht.“ Die Größe des Bildes entsprach exakt dem von Vernet notierten römischen Standardmaß tela d’imperatore/toile d’empereur = 3 Fuß 1 Zoll x 4 Fuß 3 Zoll = 99 x 136 cm. Dieses Format wurde normalerweise vertikal für Porträts und horizontal für Landschaften benutzt.
Trotzdem lässt sich dem Bild eine übergegenständliche Aussage abgewinnen. Das Bild enthält eine Anmutung, die beim Betrachter eine wohlige Schauerwirkung auslösen konnte und für die der irisch-britische Schriftsteller Edmund Burke nur fünf Jahre später den Begriff des Erhabenen (the „sublime“) als ästhetische Kategorie einführte.
Daten und Fakten
Titel | Der Sturm |
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Künstler*in | Joseph Vernet |
Entstehungszeit | 1752 |
Inventarnummer | 2690 |
Maße Bildträger | H 98,2 cm B 135,5 cm |
Maße Rahmen | H 124,0 cm B 161,0 cm T 10,5 cm |
Material | Leinwand |
Technik | Ölfarbe |
Genre | Seestück |
Gattung | Gemälde |
Abteilung | Alte Malerei (vor 1800) |
Der Leuchtturm von Genua aus dem Jahr 1543 ist mit einer Höhe von 76 m noch heute der höchste Leuchtturmbau in Europa.
Horst Vey, Eckhard von Knorre, Slg. Kat. Karlsruhe 1984, S. 95: „Dawson bestellte ursprünglich, im April 1751, vier Gemälde welche die vier Tageszeiten darstellen sollten; Nr. 2690 als „une tempeste à l’heure de midy“ (siehe Vernets Auftragsbuch in Avignon; zitiert nach Lagrange 1864). Dann halbierte Dawson den Auftrag auf „Deux tableaux au lieu de 4 qui doivent representer un levant et un couchant, - broüillard, une tempeste“ (womit der Sturm zum Abend geworden wäre). Schließlich trug Vernet ein: „Pour M. Thomas D’aevson de Dublin deux tableaux toile d’empereur devents reppresenter un une tempeste, et l’autre un soleil couchant, et des sujets de marines promis pour le mois de septembre 1752, le prix est de cents ecû romains chacun. Je dois les remetre à M. Parker peintre anglois à Rome“ (womit Nr. 2690 zum Morgen gemacht worden war). Das Gegenstück zu Nr. 2690 wurde erst 1949 (Ausstellung Colnaghi, Nr. 15) von ihr getrennt; der jetzige Besitzer ist unbekannt. Die rote Flagge des Schiffes in Seenot kann als eine Anspielung auf den irischen Auftraggeber gesehen werden, da irische (wie freilich auch englische) Schiffe im 18. Jahrhundert solche Flaggen führten. Der Leuchtturm ist der Torre del Faro von Genua (vgl. W. Suida, Genua, Leipzig 1906, Abb. 57). Die Umgebung entspricht allerdings nur ungefähr der Bucht von Genua.
Ein 17 ½ : 22 Zoll großes radiertes und gestochenes Blatt von William Woollett und James Fittler, das am 1.1.1820 erschien, gibt Nr. 2690 im Gegensinn wieder (L. Fagan, A Catalogue Raisonné of the Engraved Works of William Woollett, London 1885, S. 48, Nr. 106).“
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Old Master Paintings
P. & D. Colnaghi, London Juni 1949, Nr. 16
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Pictures from the Grand Tour
P. & D. Colnaghi, London 1978, Nr. 40
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1864: Les Vernet
Lagrange, Léon
Joseph Vernet et la peinture au XVIIIe siècle -
1926: Joseph Vernet
Ingersoll-Smouse, Florence
Peintre de marine -
1976: Claude-Joseph Vernet 1714-1789
Conisbee, Philip
Greater London Council, The Iveagh Bequest, Kenwood, 04.06.-19.09.1976 -
1978: Pictures from the Grand Tour
P. & D. Colnaghi & Co., London
P. & D. Colnaghi & Co., London, 14.11.-16.12.1978 -
1980: Neuerwerbungen 1979
Staatliche Kunsthalle Karlsruhe
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1984: Neuerwerbungen für die Gemäldegalerie 1972-1984
Hrsg.: Staatliche Kunsthalle Karlsruhe
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1988: Ausgewählte Werke der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe
Lüdke, Dietmar; Reising, Gert; Simons-Kockel, Katrin
150 Gemälde -
1989: Reihe "museum"
Hrsg.: Staatliche Kunsthalle Karlsruhe
Westermann-Führer -
2000: 30 Kunstgeschichten für Kinder
Hrsg.: Staatliche Kunsthalle Karlsruhe
Ausgewählte Werke der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe -
2005: Gesamtverzeichnis Französische Gemälde des 17. und 18. Jahrhunderts in Deutschen Sammlungen
Rosenberg, Pierre; Mandrella, David
... erscheint anlässlich der Ausstellung "Poussin, Lorrain, Watteau, Fragonard ... - Französische Meisterwerke des 17. und 18. Jahrhunderts aus deutschen Sammlungen" , Paris/München/Bonn, 2005-2006