Die Familie (Familie Beckmann)

Deutschland vor 85 Jahren: Ein grausamer Krieg ist zu Ende und verloren gegangen, doch die Gewalt setzt sich im Innern fort. In Berlin und anderen Städten kommt es zu Aufständen und politischen Morden. Die Gesellschaft ist aus den Fugen geraten, es regieren Chaos und Not. In dieser Zeit arbeitet Max Beckmann an einem Mappenwerk, das im Juli 1919 fertiggestellt ist und noch im selben Jahr vom Berliner Verlag I. B. Neumann veröffentlicht wird. Diese Folge aus zehn großformatigen Lithografien, als Spiegel der unmittelbaren Gegenwart konzipiert, trägt den Titel "Die Hölle". Den Abschluss bildet das vorliegende Blatt "Die Familie": Zu sehen sind - dicht gedrängt - der erregt gestikulierende Künstler selbst, seine 76-jährige, betroffen reagierende Schwiegermutter Minna Tube-Römpler sowie sein 11-jähriger Sohn Peter. Peter Beckmann hat im Alter den Hintergrund der Szene erläutert: Sie "fand in der Wohnung meiner Großmutter in Berlin, Pariser Straße 2 statt, in einer Zeit, in der heimkehrende Soldaten in einem Park noch einmal kampierten und gelegentlich den hungernden Kindern etwas aus ihrer Feldküche zusteckten. Graupensuppe mit Rosinen. Eine paradiesische Erinnerung für mich. Eine Erinnerung auch daran, dass ich unter den Büschen des Parks einmal zwei Büchsen fand - allerdings ohne Stiel -, die ich wohl für Konservenbüchsen hielt. Ich brachte den Fund stolz nach Hause. Der Vater sah sogleich, dass es Handgranaten waren. Hinaus damit!" Max Beckmann hatte sich bei Kriegsbeginn 1914 freiwillig zum Sanitätsdienst gemeldet, das Leiden und Sterben an verschiedenen Fronten miterlebt bis er einen Nervenzusammenbruch erlitt, der ihn zu weiterem Einsatz untauglich machte. Doch die Gewalt beschränkte sich nicht auf die Schlachtfelder, sie prägte auch den zivilen Alltag, hielt Einzug in das allgemeine Bewusstsein. Unser Bild führt es vor Augen: Ein unschuldiges Kind trägt todbringende Waffen in die bürgerliche Wohnstube. In kraftvoller Bildsprache zeigt die Lithografie wie auch die anderen Blätter der Folge: Der Krieg hat die Welt in ein diesseitiges Inferno verwandelt. [H.J.-F.]