Exzess, Glücksspiel und ein Tanzbär
Mathis Gerung: Die Melancholie im Garten des Lebens
Exzess, Party, Glücksspiel, kämpfende Ritter und… eine Hinrichtung? Auf diesem Bild ist unfassbar viel los – „Die Melancholie im Garten des Lebens“ von dem Künstler Mathis Gerung. Es gibt echt wenige Kunstwerke, auf denen es so wild zugeht. Auf diesem Bild steppt der Bär und das meine ich wörtlich. Hier gibt’s einen Tanzbären und das ist noch nicht mal das Absurdeste an diesem Werk. Also lasst uns in dieses Bild eintauchen – glaubt mir, das lohnt sich.
Der Kunstsnack – Kurze Facts leicht bekömmlich. Von der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe mit dem Comedian und Kunsthistoriker Jakob Schwerdtfeger.
Wart ihr schon mal im Miniatur Wunderland in Hamburg? Falls nicht, dort ist eine riesige Welt komplett aus Märklin-Sachen gebaut. Überall kann man da kleine Details entdecken. Das ist ein bisschen wie bei Pettersson und Findus – diesen Büchern früher. In einer Winterlandschaft dort ist zum Beispiel eine kleine Skischanze und darauf steht mit Ski an den Füßen ganz locker: Ein Pinguin. Solche lustigen Details lassen sich auch in der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe finden und zwar auf dem erwähnten Bild von Mathis Gerung aus dem Jahr 1558.
Schaut euch das Bild gerne mal in Ruhe an – einen Link zur Abbildung findet ihr in den Shownotes. Und auch eine schöne Homepage, auf der ihr jedes Detail des Bildes anklicken könnt und eine Erläuterung bekommt. Aber ihr könnt mir auch einfach ganz entspannt zuhören. Ich beschreibe euch das Bild ausführlich – wobei Ihr wissen müsst, da ist echt viel los. Denn es sind weit über 100 Figuren auf diesem Gemälde. Das Ganze ist ein richtiges Wimmel-Bild, also im Prinzip „Wo ist Walter“ im 16. Jahrhundert. Nur… die Erwachsenenversion von „Wo-ist-Walter“, aber dazu später mehr.
Was sehen wir? Wir gucken von einem erhöhten Standpunkt auf eine grüne, hügelige Landschaft. Hat ein bisschen was vom Auenland aus Herr der Ringe. Alles ist von kleinen Figurengruppen bevölkert. Aber zwei Figuren springen sofort ins Auge, weil sie viel größer sind als alle anderen. In der Mitte des Bildes sitzt eine Frau mit Flügeln. Wie so oft in der Kunstgeschichte guckt völlig unnötigerweise ihre eine Brust raus. Das ist ja wirklich auf zig Gemälden, wo man sich denkt, wie schlecht waren Eure Kleider eigentlich geschneidert. Naja. Nachdenklich stützt sie ihren Kopf auf eine Hand. Es handelt sich hierbei um die Personifikation der Melancholie. Woher ich das weiß? Über ihrem Kopf steht „Melancolia“.
Und dann gibt es noch die zweite große Figur. Die ist auch in der Mitte des Bildes, aber weiter unten. Da sitzt ein Kosmograph, ein Weltvermesser – quasi ein Vorläufer von Google Maps. Er hat ein rundes Landschaftsbild und einen Zirkel in den Händen. Der Gott Saturn wird in der Mythologie passenderweise oft mit Geometrie in Verbindung gebracht – daher dieser Zirkel. Aber Saturn verbindet man auch mit einem melancholischen Temperament. Aha! So wird Saturn also auf die Melancholie bezogen. Die beiden großen Figuren stehen also in Beziehung zueinander. Und der Titel des Bildes ließe sich so auch erklären: „Die Melancholie im Garten des Lebens“. Und genau da sind wir bei der zentralen Frage: Was hat die Melancholie im Garten des Lebens verloren? Die Erklärung könnte der Himmel ganz oben im Bild liefern.
Dieser Himmelsteil ist sehr dramatisch inszeniert. Links geht die Sonne unter. Was ich sehr gut finde: Die Sonne ist wie bei Kindern mit einem knuffigen Gesicht drauf gemalt. Daneben ist der Himmel tiefschwarz. Er wird nur durchstoßen von einem hellen Lichtschein: Ein Komet. 1558, also im Entstehungsjahr des Bildes, gab es nämlich einen Kometen. Dieser galt als böses Omen für Krankheiten, Seuchen, Kriege oder Naturkatastrophen. Es kann also sein, dass der Maler Mathis Gerung ausdrücken wollte: Da ist so ein schlimmes Himmelszeichen. Dagegen erscheint das menschliche Tun doch irgendwie vergänglich. Und auch höchst bedenkenswert. Denn so ein Komet wurde als göttliche Ermahnung gesehen. Eine Ermahnung weniger sündhaft zu leben und melancholisch zu reflektieren.
So, jetzt aber höchste Zeit, dass wir uns dieses wilde, sündenhafte menschliche Treiben mal genau anschauen. Den Garten des Lebens. Grundsätzlich lässt sich das Bild grob in zwei Hälften unterteilen: Unten ist das Vergnügen und oben die Arbeit. Wir machen es jetzt mal umgekehrt: Erst das Vergnügen, dann die Arbeit. Ist ja eigentlich auch die bessere Reihenfolge.
Ganz unten im Bild gehen die Leute zwei Tätigkeiten nach, die auch heute noch in Deutschland sehr beliebt sind: Kegeln und Saufen. Manche haben es komplett übertrieben: Ein Typ kotzt an einen Baum, während sich neben ihm eine Frau in die Büsche erleichtert. Eine klassische Oktoberfestszene. Der Rest der Party tanzt zu einem Dudelsack und andere widmen sich dem Glücksspiel. Dann gibt es noch ein paar Gaukler, die echt drittklassige Kunststücke zeigen. Das sieht ein bisschen aus meine traurigen Breakdance-Versuche mit 14. Und glaubt mir, die waren richtig traurig.
Etwas weiter oben im Bild ist ein Freudenhaus mit einem Pool voller nackter Frauen. Direkt gegenüber findet ein Ritterturnier statt. Also, auf der einen Seite FKK und auf der anderen Seite Rüstungen. Schöner Kontrast. Dann gibt es noch ein paar sportliche Wettbewerbe und mein persönlicher Liebling: Ein Tanzbär, der deutlich coolere Moves macht als diese Breakdance-Gaukler.
In der oberen Bildhälfte wird es dann seriöser: Ich habe ja gesagt, da geht es eher um Arbeit. Und wir sehen auch direkt Leute bei der Feldarbeit. Es wird gesät und geerntet. Das Getreide steht hoch auf den Feldern. Auf dem Teich schwimmen Enten. Und direkt daneben ist einfach eisiger Winter. Leute fahren da Schlitten. Hier geht’s wohl eher darum, die ganze Bandbreite des Lebens zu zeigen und nicht um korrekte Jahreszeiten. Denn vollbestellte Felder oder Leute, die säen, neben einem vereisten Teich, ist eher ungewöhnlich. Insgesamt geht’s viel um Arbeit: Leute schuften in einem Bergwerk, bauen ein Haus, angeln oder hüten Vieh. Wir sehen außerdem eine Hinrichtung, die sehr pragmatisch direkt an einem Friedhof stattfindet. Und: Es wird Krieg geführt. Oben im Bild versammelt sich ein großes Heer. Und wenn man ganz genau hinguckt, sieht man direkt daneben im Wald ein Paar beim… Techtelmechtel. Naja: Make love, not war.
Ihr merkt also, das Bild ist fast 500 Jahre alt, aber es ist in vielen Aspekten gar nicht soooo weit von uns weg. Menschliche Laster und Leidenschaften scheinen sich einfach zu halten. Mathis Gerung gibt uns mit diesem Bild auf jeden Fall einen sehr lebendigen Eindruck vom Alltag im 16. Jahrhundert. Und ich bin mir sicher, ihr könnt auf diesem Gemälde noch ganz viel entdecken, das ich übersehen hab. Hach, toll, was Kunst alles leisten kann. Das ist schon wieder das Ende dieser Folge von Kunstsnack. In zwei Wochen geht’s weiter. Macht’s gut. Ciao.
Das war der Kunstsnack – Kurze Facts leicht bekömmlich. Mit Jakob Schwerdtfeger. Eine Produktion der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe. Abonniert unseren Podcast und folgt uns bei Instagram. Habt Ihr Themenwünsche, schreibt uns via Directmessage oder per Mail an digital@kunsthalle-karlsruhe.de.