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Die Darstellung wiederholt eine bekannte Komposition: Es handelt sich um eine Tafel des von Matthias Grünewald geschaffenen Isenheimer Altars (um 1512–1516) – ein Hauptwerk der Malerei am Übergang vom Spätmittelalter zur Renaissance, das heute im Unterlindenmuseum in Colmar aufbewahrt wird.
Dargestellt ist die Versuchung des Heiligen Antonius. Der Legende zufolge verkaufte Antonius im Alter von 20 Jahren all sein Hab und Gut, verteilte den Erlös unter den Armen und ging in die Wüste Oberägyptens. Dort war der Heilige im Laufe seines Lebens einer schier endlosen Folge von Versuchungen ausgesetzt, mit denen ihn der Teufel in immer neuer Gestalt heimsuchte.
Überraschend ist, dass Antonius in der hier vorgestellten Kopie nicht wiedergegeben ist – das Zentrum der Darstellung ist leer: Grünewalds Werk zeigt an dieser Stelle den hilflos am Boden liegenden Heiligen. Vermutet wird, dass die Zeichnung während der Arbeit am Isenheimer Altars entstand und daher ein Zwischenstadium der Bildentstehung dokumentiert. Diese Annahme wird durch Hinweise zum Arbeitsprozess gestützt, die belegen, dass Grünewald die Figur des Antonius als Letztes ausführte. Die Zeichnung ist damit ein einzigartiges Zeugnis seiner Malpraxis.
Dem menschenähnlichen Wesen mit der Kragenkapuze, einer sogenannten Gugel, fehlt das Gesicht, während dieses in der Vorlage, der Isenheimer Bildtafel Grünewalds, vorhanden ist. Hingegen ist der geplagte Körper genau erfasst. Die wiedergegebenen roten Pusteln und eitrigen Schwellungen verweisen auf Krankheiten wie das sogenannte Antoniusfeuer, einer im Mittelalter verbreiteten Erkrankung.
Die Antoniter gaben den Altaraufsatz für ihr in den Vogesen gelegenes Kloster in Isenheim in Auftrag, zu dem ein Hospital gehörte.
Bücher waren im späten Mittelalter eine kostspielige Angelegenheit, die sich nur wenige leisten konnten. Das hier dargestellte dickleibige Buch wird Beutelbuch genannt. Man könnte es als eine Art mittelalterliches Taschenbuch bezeichnen. Es wurde von Ordens- und Kaufleuten auf ihre Reisen mitgenommen. Zu diesem Zweck wurde es mithilfe des über den Bucheinband hinausreichenden Lederbezugs am Gürtel befestigt oder in der Hand getragen.
Fratzenhafte Ungeheuer und dämonische Fabelwesen kommen dem Heiligen Antonius nahe, holen zum Schlag aus, bedrängen und zerren an ihm. Weitaufgerissene Münder, krallenartige Hände und scharfkantige Schnäbel lassen Böses ahnen.
Die fantastischen, ins Groteske gesteigerten Gestalten erinnern an Darstellungen von Hieronymus Bosch und Pieter Brueghel und so wundert es kaum, dass das Blatt im Inventar der Karlsruher Sammlung von 1823 als Werk des „Höllen-Broechel“ geführt ist. Der Zusammenhang mit dem Isenheimer Altar des aus Aschaffenburg stammenden Matthias Grünewald wurde erst 1904 erkannt.
Die vogelartige Gestalt zeigt die Vorgehensweise des Zeichners: Über die Vorzeichnung legte er einen zarten Aquarellton, den er anschließend mit Aquarell- und Deckfarben weiter überarbeitete, so dass ein farblich fein nuanciertes Gefieder entstand.
Einziger Hoffnungsschimmer inmitten der dargestellten bedrohlichen Szene ist Gott. Er thront mit einem Zepter in der Hand hoch oben in den Wolken. Von einem goldleuchtenden Himmelsfenster aus betrachtet er das Geschehen und legitimiert damit gleichsam die Versuchung des Heiligen Antonius als eine göttliche Prüfung.
Der in täuschender Weise wiedergegebene, mehrfach geknickte und oben verschattete Zettel ist in Grünewalds Gemälde mit der Klage des von Ungeheuern bedrängten Antonius versehen. „Wo warst du, guter Jesus, wo warst du, warum bist du nicht hier gewesen, um meine Wunden zu heilen?“, heißt es dort.
Diese gemalte Beschriftung kommentiert als Bild im Bild die Darstellung.
Der Freude an fantastischen, furchteinflößenden Erfindungen scheint bei dem Bildthema der Versuchung des Heiligen Antonius kaum Grenzen gesetzt. Eines der eindrucksvollen Beispiele eines urzeitlich wirkenden Mischwesens, in dem sich die Vorstellungen des Bösen schlechthin bündeln, ist dieses geflügelte Knüppel schwingende Ungeheuer, dessen Kopf dem eines Nilpferds mit Haifischgebiss gleicht.
Die Versuchung des heiligen Antonius blieb auch für nachfolgende Künstlergenerationen ein reizvolles Thema, das insbesondere Vertreter des Surrealismus wie Max Ernst und Salvador Dali inspirierte.
Die gepanzerte Bestie am unteren Blattrand weist Unterschiede zur gemalten Version von Matthias Grünewald auf: In der Zeichnung ist sie mit einem hochgereckten Schnabel ausgestattet, während die ausgeführte Tafel des Altars einen gesenkten, mit großen Stacheln besetzten Kopf zeigt. Das Ungeheuer greift dort den Heiligen Antonius direkt an und beißt in seine Hand.
Auch diese Veränderung spricht dafür, dass die Zeichnung nicht als Kopie nach dem fertigen Werk entstand, sondern eine Phase innerhalb des Entstehungsprozesses dokumentiert.
Entgegen der Legende verortet das Bild den Heiligen Antonius nicht in einer staubigen heißen Wüste, sondern inmitten einer Gebirgslandschaft. In genauer Übereinstimmung mit der Isenheimer Bildtafel von Matthias Grünewald zeigt das Blatt die markant ansteigenden Berge, den dunkelgrünen Tannenwald und eine Wiesenfläche, vor der ein moosbewachsener knorriger Baum steht.
Die differenzierte Wiedergabe der naturräumlichen Besonderheiten bezeugt das zunehmende Interesse der Zeitgenossen an einer realistischen Wiedergabe der Landschaft, wie sie beispielhaft bei Künstlern wie Albrecht Dürer oder auch Albrecht Altdorfer zu finden ist.