Die Heilige Familie mit der Heuschrecke

Ein Bild der Andacht und Idylle: Vor einer friedvollen, sich weit in den Hintergrund erstreckenden Landschaft sitzt Maria auf einer Rasenbank und hält das Jesuskind auf dem Arm. In prachtvollen Falten breitet sich ihr weites Gewand auf dem Boden aus, das offene Haar legt sich in langen Locken um ihre Schultern. Liebevoll blickt sie auf ihr Kind, dessen lebhaften kleinen Körper sie wie darbietend auf Händen trägt. Neben ihr liegt Joseph schlafend auf die Rasenbank gelehnt. Der abgenommene Wanderhut in seiner Rechten weist auf die bevorstehende Flucht nach Ägypten. Eine Mauer und das hölzerne Tor am linken Rand des Bildes deuten auf den abgeschlossenen Garten, in dem sich die Heilige Familie aufhält und der als "Hortus conclusus" ein Symbol der Jungfräulichkeit Mariens ist. In der detailreichen und ausgedehnten Seelandschaft im Hintergrund erscheint ein Turmgebäude - ebenfalls eine Mariensymbolik -, von dem eine Brücke auf das andere Ufer führt. Mehrere Schiffe und kleine Boote sind bis an den entfernten Horizont auszumachen. Im Himmel erscheint Gottvater mit dem Heiligen Geist in Gestalt einer Taube segnend über den Wolken. Das Insekt, das dem Bild seinen Namen gab, sitzt rechts unten auf dem Boden vor Maria. Verschiedentlich als Heuschrecke, Gottesanbeterin, Libelle oder Schmetterling gedeutet, bildet auch dieses Tier sicherlich ein Mariensymbol. So wird die Libelle volkstümlich als "Wasserjungfer" bezeichnet, während der Name der "Gottesanbeterin" für sich spricht. Dieser Kupferstich ist der erste monogrammierte Stich Dürers und wird stilistisch in die Jahre um 1495 datiert. Zu diesem Zeitpunkt war der Künstler 24 Jahre alt und gerade von seiner ersten Italienreise zurückgekehrt. Der großformatige, in Form und Funktion einem gemalten Andachtsbild entsprechende Druck bildete sicherlich ein Hauptwerk seines zu jener Zeit aufgebauten Graphiksortiments. Die kristalline Schärfe und differenzierte Wiedergabe der kleinsten Grabstichelspuren offenbaren Dürers Kupferstichkunst in ihrem frühen Stadium. [D.S.]