
Vitrine de référence I
Beschreibung
Christian Boltanski zählt zu den bedeutendsten Installationskünstlern der europäischen Memorialkultur nach 1945. Oftmals verfolgen seine Arbeiten das Prinzip der fiktiven Spurensicherung – sei es im Film, in der Fotografie, im großen Maßstab im öffentlichen Raum oder im kleineren der Kunstgalerie. Dieser Ansatz lässt sich auch in dieser relativ intimen Vitrine de référence I erkennen.
Ein mysteriös anmutendes Ensemble aus 34 kleinen Objekten füllt eine schlichte Vitrine, sorgfältig aufgereiht, jedoch ohne penible Ordnung: binden- und drahtumwickelte Holzstäbchen mit längs halbierten, bogenförmig gespannten Rasierklingen an ihren oberen Enden wurden in zwei Reihen mit weißem Faden auf einen Karton geheftet, der den Boden der Vitrine bedeckt. Oben quer liegen ein ebenfalls mit Binden umwickeltes Sägeblatt und ein bindenumwickelter Stab, der an beiden Enden und an drei Seiten mit Nadeln gespickt ist.
Die Serie der Vitrines de référence aus den frühen 1970er-Jahren wurde von Ausstellungsvitrinen im Pariser Musée de l’Homme angeregt. Das serielle Prinzip der arrangierten Objekte nimmt Bezug auf den Jagd- und Spieltrieb der Kindheit. Zugleich wohnt dem Ensemble eine unheimliche Qualität inne, die auf Assoziationen von einfachen Waffen und Gewalt zurückzuführen ist. Jedoch bedient sich Boltanski in dieser Arbeit nicht nur der nüchtern-archivarischen Idee von Schauvitrinen, sondern verwebt diese mit Anklängen eines fernen, unspezifischen Reliquienkults. Die Auseinandersetzung mit der materiellen Präsenz heiliger Relikte sowie deren ästhetischer Fassung durch besondere Behältnisse beschäftigte Boltanski immer wieder.
Hier appelliert der französische Künstler an ein latent vorhandenes kulturelles Gedächtnis für nicht mehr allgemein praktizierte Zeremonien sowie eine emotionale Empfänglichkeit für die Ausstrahlung von sakralen Objekten. Im Fall der Vitrine de référence I lassen auch die ausgestellten Objekte selbst eine unterschwellige religiöse Assoziation zur Passion Christi zu. Die Sphäre des Religiösen streift jene von Gewalt und Verbrechen.
Daten und Fakten
Titel | Vitrine de référence I |
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Künstler*in | Christian Boltanski |
Entstehungszeit | 1972 |
Inventarnummer | P 236 |
Maße Plastik | H 12,5 cm B 109,0 cm T 59,3 cm |
Maße Sockel | H 78,8 cm B 109,0 cm T 59,3 cm |
Material | Holz Baumwollstoff Draht Nadeln Rasierklingen Sägeblatt |
Gattung | Plastik |
Abteilung | Plastik |
Der 2021 verstorbene Christian Boltanski war Teil eines künstlerischen Power Couples. Seine Ehefrau ist die bekannte Fotografin und Installationskünstlerin Annette Messager.
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Sommer-Gruppenausstellung
Marian Goodman Gallery, New York 1987
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Christian Boltanski. Lessons of Darkness
The Museum of Contemporary Art, Chicago 23.04.-19.06.1988
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1988: Christian Boltanski
Gumpert, Lynn; Jacob, Mary Jane
Lessons of Darkness -
1994: Neuerwerbungen 1993
Staatliche Kunsthalle Karlsruhe (Hg.)
Gemäldegalerie -
1994: Katalog der Skulpturen
Staatliche Kunsthalle Karlsruhe (Hg.)