Diethard Blaudszun - Westwall Expedition I (Karlsruhe - Basel), w CVIII, 1/4

Westwall Expedition I (Karlsruhe - Basel), w CVIII, 1/4

Diethard Blaudszun

Maße:
H 91,5 cm  B 63,2 cm  
Jahr:
2002
Ort:
nicht ausgestellt

Beschreibung

Wie die unbeholfene Zeichnung eines tanzenden Strichmännchens wirken die scharf konturierten Linien auf grauem Grund. Mittig sitzt die unruhige Form auf dem hochformatigen Papier, wo sie sich mit ihren Diagonalen festzukrallen scheint. Was passiert dort? Sehen wir ein Figurenkürzel - oder bloß eine klare, sich verzweigende Linie, wie ein verbogener, sperriger Draht? So verschieden die Assoziationen sein mögen, die sich beim Betrachter einstellen, eines ist gewiss: Dieser Linienverlauf ist nicht zufällig entstanden. Er ist die exakte kartografische Nachzeichnung eines Weges, den der Künstler ganz bewusst gesucht und sich erwandert hat - eine von rund 150 Etappen in einem großen, mehrjährigen Vorhaben, das Diethard Blaudszun in einer beharrlich an seinem Konzept festhaltenden Weise ausführte.

Ziel seiner Wanderungen im Projekt "Westwall-Expedition I" war die Spurensuche nach Bunkerrelikten des 1938-40 unter den Nationalsozialisten errichteten Westwalls zwischen Karlsruhe und Basel. Dieses monströse, im Aufwand völlig maßlose und zudem schließlich nutzlose Verteidigungssystem erstreckte sich insgesamt über mehr als 630 Kilometer an der Westgrenze des ehemaligen Deutschen Reiches und bestand aus über 18.000 Bunkern, Panzersperren, Gräben und Stollen. Nach dem Krieg geschleift, gesprengt und verschüttet, ist von diesem gigantischen Bollwerk, das von der nationalsozialistischen Propaganda als unbezwingbar dargestellt wurde, nur noch wenig übrig.

Diethard Blaudszun erwanderte zwischen 1997 und 2005 nach alten Militärkarten in 155 Fußmärschen Orte, an denen sich Überreste dieser einstigen Wehranlage befinden. Auf diesen Touren führte er eine Art Logbuch, in dem er schriftlich seine zurückgelegten Strecken und seine Funde vor Ort aufzeichnete. Von jedem aufgefundenen Relikt (insgesamt über 1.500 Objekte) machte er vier Fotografien aus jeder Himmelsrichtung. Die auf der Landkarte eingezeichnete, zu Fuß zurückgelegte Strecke übertrug er in einem Maßstab von 1:12.500 auf eine Radierplatte, die er in einer Auflage von vier Exemplaren und einigen Varianten druckte. Je nach erwanderter Route variieren die radierten Linien: Mal schließen sich Rundwege zu einer geschlossenen Form zusammen und erscheinen wie unbekannte Kontinente auf einer surrealen Landkarte, mal sind die Strecken kurz und bilden kleine Striche auf einer großen, leeren Fläche, und schließlich können sich skurrile Formen wie diese Gestalt eines tanzenden Derwisches abzeichnen. Seine Struktur entstand auf dem Weg von Neuburgweier nach Rappenwörth südlich von Karlsruhe, wo Diethard Blaudszun am 8. März 2002 auf seinem Fußweg die aufgefundenen Bunkerreste notierte: "[...] An Hochwasserdamm 0 1257 (533), Trümmer mit Stahl im Wald. Märzenbecherstaude auf Bunkerplatz. Und 0 1258 (536), ebenfalls Hochwasserdamm. Große Bunkerteile durch Sprengung in den Wald geschleudert. [...]"

Im Kupferstichkabinett der Kunsthalle befinden sich 320 Radierungen Diethard Blaudszuns, darunter der gesamte Zyklus der "Westwall-Expedition I" jeweils im ersten Abzug und in der ersten Variante.

[D.S.]

Daten und Fakten

Titel Westwall Expedition I (Karlsruhe - Basel), w CVIII, 1/4
Künstler*in Diethard Blaudszun
Entstehungszeit 2002
Inventarnummer 2006-85
Maße Blatt H 91,5 cm  B 63,2 cm  
Material Papier
Technik Kaltnadelradierung
Gattung Radierung
Abteilung Kupferstichkabinett
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