Die Herren der Welt
Beschreibung
In den 1920er-Jahren wandte sich Georg Scholz dem Verismus zu und kritisierte in seinen Arbeiten die sozialen, politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse der Weimarer Republik. In Die Herren der Welt konfrontiert er drei Großindustrielle mit der Natur und einem Vertreter des Bürgertums. Die Brücke oder Schleuse betont die ungleichen Machtverhältnisse. Scholz prangert hier wirtschaftliche Großbauprojekte an – wie die Anlage großer Kanäle oder die Errichtung von Braunkohleförderanlagen im Ruhrgebiet –, die die Landschaft nachhaltig verändern.
Die Architektur gliedert das Werk in Oben und Unten. Durch die Brücke, die Schleuse oder das Wasserkraftwerk, möglichweise auch eine Kombination aus allen dreien, werden die drei Männer über die Natur erhoben. Die Beton-Eisen-Konstruktion zeigt die neuen technischen Möglichkeiten im Zeitalter der Industrialisierung. Um einen schnellen Waren- und Gütertransport zu garantieren, wurde massiv in die Flussläufe eingegriffen. Neue Kanäle für die Zechen entstanden. Die Familie von Hugo Stinnes, links im Bild, initiierte und finanzierte den Bau des Rhein-Herne-Kanals, da sie im Besitz mehrerer Zechen war. Als Vertreter der Stahl- und Eisenindustrie ist Stinnes als wandelnder Kassenschrank dargestellt. Neben ihm steht der Politiker und Lobbyist der Elektroindustrie Walther Rathenau. Auf der rechten Seite befindet sich der US-amerikanische Bankier Frank A. Vanderlip, der mit gespitztem Bleistift darauf wartet, sich Notizen zu machen. Er besuchte zwischen August und November 1921 Europa und begutachtete die wirtschaftliche Lage einzelner Länder. Unweit dieser Gruppe steht eine entkleidete Frau mit großem Hut und halterlosen Strümpfen. Sie fotografiert die Idylle mit der Burgruine Hohenecken bei Kaiserslautern und einem beleibten Kleinbürger.
Das Werk stellt eine Agglomeration aus Bildthemen dar, die Scholz wiederholt aufgriff. Beispielsweise tritt das Herren-Trio immer wieder prominent als Teil der Bildkomposition auf, wie unter anderem in Kriegerverein (1921, Inv. 2820) und Apotheose des Kriegervereins (1921, Inv. 1955-33, beide im Besitz der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe).
Von oben herab
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Hoppla, eine Brückenansicht einmal anders – im engen Ausschnitt: Statt der zwei Brückenenden sehen wir hier vor allem auf und unter die Brücke, das Oben und Unten.
Das Bauwerk selbst besteht aus einer schmucklosen Metallkonstruktion, die auf einem massiven Brückenpfeiler aus Beton ruht. Auch eine Schleusenfunktion könnte dieses Bauwerk haben, da sich am rechten Bildrand ein Räderwerk befindet, das die Öffnung und Schließung steuern könnte.
Während wir oben eine bizarr anmutende Personengruppe mit rätselhaften Entstellungen erkennen, erschließt sich unten eine weite Landschaft mit Gewässer, Bergen am Horizont, einer Burg gegenüber einer Fabrik.
Diesen Blick auf ein Stück Architektur hat Georg Scholz 1922 geworfen. Seine Werke werden dem Verismus, dem gesellschaftskritischen Zweig der Neuen Sachlichkeit, zugerechnet, einer Stilprägung, die 1924 ihren Namen erhielt.
Die Neue Sachlichkeit spiegelt die politischen und sozialen Bedingungen während der Weimarer Republik. Neben den Nachwirkungen der Niederlage im Ersten Weltkrieg beschäftigte viele Künstler die Spaltung der Gesellschaft.
Die Elite unter sich
In der oberen Bildzone dieser Lithographie sehen wir zwei untersetzte Männer, deren Bäuche aus Tresoren bestehen. Ihnen gegenüber steht ein Mann mit kantigem Gesicht und Helm auf dem Kopf, der in den Händen einen zeitungsartigen Bogen und einen Stift hält. Die einander zugewandten, aber inaktiven Männer stehen in der Nähe von Zahnrädern, die zu einer Maschine gehören dürften.
Die Männer, die Scholz hier darstellt, lassen sich identifizieren: Es sind der Stahlmagnat Hugo Stinnes links, der Industrie-Funktionär Walther Rathenau in der Mitte und der (amerikanische) Bankier Frank A. Vanderlip rechts. Sie sind die Herren der hier dargestellten Welt, Herren über das Kapital, über die Schleusentore, über die Industrie und über die Natur.
Für sie ist alles käuflich – vielleicht auch die Frau, die etwas entfernt von diesen Männern und von ihnen abgewandt auf der Brücke steht.
Bis auf Strümpfe, Hut und Stola ist sie nackt. Sie hält eine Kamera, deren Objektiv auf den Bereich unter der Brücke gerichtet ist. Gerade will sie den Auslöser betätigen und vielleicht den Pfeife rauchenden Spaziergänger unter der Brücke aufnehmen oder aber das Landschaftspanorama mit Burg ablichten – ein Erinnerungsfoto machen von einem nur noch scheinbar intakten Stück Natur.
Daten und Fakten
| Titel | Die Herren der Welt |
|---|---|
| Künstler*in | Georg Scholz |
| Entstehungszeit | 1922 |
| Inventarnummer | 1977-14 |
| Maße Darstellung | H 29,7 cm B 39,8 cm |
| Material | Papier |
| Technik | Lithografie |
| Gattung | Lithografie |
| Abteilung | Kupferstichkabinett |
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