Weiblicher Akt mit Gipskopf
Beschreibung
Georg Scholz studierte an der Karlsruher Kunstakademie zusammen mit Karl Hubbuch und Rudolf Schlichter, die alle drei nach den erschütternden Erlebnissen des Ersten Weltkriegs eine politisch und sozialkritisch engagierte Kunst schufen. 1919 gehörte Scholz zu den Gründern der Künstlergruppe „Rih“ in Karlsruhe, die durch ihre unangepassten und provozierenden Lebens- und Ausdrucksformen auffiel. Er stand in enger Verbindung zu Dadaisten wie George Grosz und John Heartfield. Anfang der 1920er Jahre begann er seine Lehrtätigkeit an der Badischen Landeskunstschule in Karlsruhe. Mit dem Wandel seiner Kunst hin zu einer reduzierenden Formsprache und einer handwerklichen Rückbesinnung zählte er zu den Malern der Neuen Sachlichkeit. 1937 wurden viele seiner Werke als „entartet“ diffamiert und aus öffentlichen Sammlungen, auch der Karlsruher Kunsthalle, entfernt.
Das Gemälde zeigt in äußerst konzentrierter Darstellung eine Raumecke mit einem einfachen Tisch in schräger Aufsicht, auf dem eine Gipsbüste steht und daneben auf einem Kissen ein lebendes Aktmodell sitzt. Die Büste ist dem Modell seitlich zugewandt. Beide sind in Dreiviertelansicht gezeigt, das Kopfstück von seiner rechten, das Kniestück von seiner linken Seite. Die Gruppe ist soweit an den Betrachter herangeholt, dass die Beine des Modells und des Tisches durch den unteren Bildrand beschnitten sind. Die Gipsbüste lässt sich als der sogenannte Brunnsche Frauenkopf identifizieren, der auf eine griechische Skulptur aus dem 4. Jahrhundert vor Christus zurückgeht. Das Aktmodell, eine junge Frau, trägt eine modische Kurzhaarfrisur der 1920er Jahre, den sogenannten Bubikopf, und ist bis auf lange schwarze Seidenstrümpfe vollständig entblößt. Sie hat ihre Hände seitlich auf den Tisch gelegt, hält ihren ungeschützten Oberkörper beinahe ganz gerade, hat das rechte über das linke Bein geschlagen und sieht starr geradeaus.
Auf den ersten Blick springt der Kontrast zwischen der bleichen Materialität der großen antiken Frauenbüste und der warmtonigen Fleischlichkeit des lebendigen Aktmodells ins Auge. Doch dann lassen sich Eigenschaften ausmachen, die beide miteinander verbinden oder in einen stummen Dialog bringen. Beide haben den Tisch als gemeinsame Basis. Sie schauen den Betrachter nicht an, der leere Blick des Gipskopfes ist verinnerlicht nach unten gerichtet, der ebenfalls leere Blick des Aktmodells geht in die Ferne. Beide sind oder erscheinen als Torso, die Figur der Büste ist bis auf das Dekolleté reduziert, von dem Modell ist dagegen fast der ganze Körper zu sehen, jedoch wirken die Beine durch die schwarzen langen Strümpfe vor dunklem Grund verkürzt. Die Oberflächen von Gips und Haut sind ganz ähnlich glatt und unnatürlich unversehrt wiedergegeben.
Die Gipsbüste scheint in der Darstellung ihre Aufgabe darin zu haben, durch den Kontrast die Lebendigkeit und Körperlichkeit des Aktmodells noch hervorzuheben und ihre Funktion als Studienobjekt an das lebende Modell abzugeben. Das Modell hat den leeren Blick, die beherrschte Pose, die glatte Oberfläche der Skulptur übernommen, aber im Gegensatz zu ihr den Kopf gehoben und die Körperlichkeit nicht mehr verborgen. Beide, Gipsbüste und scheinbar lebendes Modell, sind dadurch charakterisiert, dass sie selbstbewusst für sich, mit ihrer jeweils zeittypischen Haartracht für ihre Zeit und der Kunst zur Verfügung stehen. Es sind zugleich individualisierte wie stellvertretende Frauenfiguren.
Letztlich ist beiden der fiktive Charakter, die Nachahmung, gemeinsam, der Gipskopf wie das lebende Modell sind Malerei. Und dennoch erscheinen beide Bildgegenstände nicht als gleichwertig, es wird Position bezogen für die zentrale, raumnehmende, lebendig wirkende Aktfigur. Die moderne Gegenwart scheint die Rolle der Antike als Maßstab für die zeitgenössische Kunst übernommen zu haben.
Daten und Fakten
Titel | Weiblicher Akt mit Gipskopf |
---|---|
Künstler*in | Georg Scholz |
Entstehungszeit | 1927 |
Inventarnummer | 2799 |
Maße Bildträger | H 65,5 cm B 55,0 cm |
Maße Rahmen | H 79,5 cm B 69,0 cm T 6,5 cm |
Material | Leinwand |
Technik | Ölfarbe |
Gattung | Gemälde |
Abteilung | Neue Malerei (nach 1800) |
Der Künstler Georg Scholz soll sein Gemälde „Die alte und die neue Venus“ genannt haben.
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Erste Ausstellung der Badischen Secession
Freiburg 1927
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2. Ausstellung der Badischen Secession
Stuttgart 1928
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Neue Sachlichkeit und Realismus
Galerie Levante, München/Rom 1968
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Il Realismo in Germania
Rotonda di Via Besana 1971-1972
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Georg Scholz. Ein Beitrag zur Diskussion realistischer Kunst
Badischer Kunstverein, Karlsruhe 1975
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Neue Sachlichkeit und Realismus. Kunst zwischen den Kriegen
Museum des 20. Jahrhunderts, Wien 1977
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Neue Sachlichkeit and German Realism of the Twenties
Hayward Gallery, London 1978-1979
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Waldkircher Kulturwoche 1983
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Georg Scholz 1890-1945. Malerei, Zeichnung, Druckgraphik
Georg-Scholz-Haus, Waldkirch 1990
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Georg Scholz. Gemälde, Zeichnungen, Druckgraphik
Staatliche Kunsthalle Karlsruhe 1990-1991
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Realismo mágico. Franz Roh y la pintura europea 1917-1936
IVAM Centre Julio González, Valencia;
Fundacion Caja de Madrid
1997 -
"Der stärkste Ausdruck unserer Tage". Neue Sachlichkeit in Hannover
Sprengel Museum, Hannover 2001-2002
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Le Stanze dell'Arte. Figure e immagine del XX secolo
Museo di Arte Moderna e Contemporanea di Trento e Rovereto 2002
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Die 20er Jahre in Karlsruhe
Städtische Galerie, Karlsruhe 2005-2006
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On the Meanings of Sculpture in Painting
Henry Moore Institute, Leeds 2009-2010
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Staatliche Kunsthalle Karlsruhe 29.04. - 03.10.2011
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Das Auge der Welt. Otto Dix und die Neue Sachlichkeit
Kunstmuseum Stuttgart 10.11.2012 - 07.04.2013
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Neue Sachlichkeit
Museo Correr, Venedig Mai 2015 - September 2015
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Neue Sachlichkeit
Los Angeles County Museum of Art Oktober 2015 - Januar 2016
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Neue Sachlichkeit
Art Institute, Chicago Februar 2016 - Juni 2016
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Unter vier Augen. Porträts sehen, lesen, hören
Staatliche Kunsthalle Karlsruhe 13.07. - 03.11.2013
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Zeitbilder - Georg Scholz
Elztalmuseum Waldkirch 18.9.2015 - 30.11.2015
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Ideale. Moderne Kunst seit Winckelmanns Antike
Kunstmuseum Moritzburg, Halle 18.03. - 10.06.2018
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Welt im Umbruch. Kunst der 20er Jahre
Bucerius Kunst Forum, Hamburg 09.02.2019 – 19.05.2019
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Welt im Umbruch. Die Kunst der 20er Jahre
Münchner Stadtmuseum 01.10.2020 - 02.05.2021
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1928: Zehn Jahre Novembergruppe
Grohmann, Will
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1968: Aspekte der "Neuen Sachlichkeit"
Aspetti della "Nuova Oggettività"
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1980:
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1980: Les Réalismes 1919-1933
Musée national d'art moderne, Ausst.-Kat. Centre Georges Pompidou, Paris
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1980: Realismus
Staatliche Kunsthalle Berlin
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1981: Karl Hubbuch als Lehrer
Goettl, Helmut
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1983: Ikonographische Untersuchungen zur Bildnismalerei der Neuen Sachlichkeit
Oellers , Adam C.
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1987: Staatliche Kunsthalle Karlsruhe
Neuerwerbungen 1986
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1987: Eine Neuerwerbung der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe
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1987: Verbotene Kunst 1933-1945
Wirth, Günther
Verfolgte Künstler im deutschen Südwesten -
1987:
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1988: 150 Jahre Antikensammlungen in Karlsruhe 1838-1988
Maaß, Michael
Ausst.-Kat. Badisches Landesmuseum, Karlsruhe -
1988: Neue Sachlichkeit und Verismus in Karlsruhe
Angermeyer-Deubner, Marlene
Phil. Diss. Univ. Heidelberg 1986 -
1990: Georg Scholz
Holsten, Siegmar
Gemälde, Zeichnungen, Druckgraphik -
1990: Die Wenden des Georg Scholz
Holsten, Siegmar
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1990: Georg Scholz 1890-1945
Malerei, Zeichnung, Druckgraphik
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1991: Félix Vallotton
A Retrospective
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1992: Neue Sachlichkeit
Michalski, Sergiusz
Malerei, Graphik und Photographie in Deutschland 1919-1933 -
1993: Staatliche Kunsthalle Karlsruhe
Holsten, Siegmar
Die Sammlung der Moderne -
1994: Die Künstlergruppe "Badische Secession"
Lechleiter, Antje Michaela
Diss. Freiburg i. Br., 1993 -
1997: Karl Schröder
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1997: Der häßliche Eros
Täuber, Rita E.
Darstellungen zur Prostitution in der Malerei und Grafik 1855-1930 -
1998: Käthe Kollwitz und die Kunst ihrer Zeit
Schirmer, Gisela
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1998: Espido Freire, Irlanda
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1998: Neue Sachlichkeit
Peters, Olaf
Affirmation und Kritik 1931-1947 -
1999: German Post-Expressionism
Crocket, Dennis
The Art of the Great Disorder 1918-1924 -
2002: Ritorno all'oggetto
Tiddia, Alessandra
Tra Realismo magico e Neue Sachlichkeit -
2004: Georg Scholz (1890-1945)
Sternfeld, Felicia
Monographie und Werkverzeichnis -
2005: Staatliche Kunsthalle Karlsruhe
Voigt, Kirsten Claudia
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2010: Chaos & classicism
Silver, Kenneth E.
art in France, Italy, and Germany 1918 - 1936; [published on the occasion of the Exhibition "Chaos and Classicism: Art in France, Italy, and Germany, 1918 - 1936"; Solomon R. Guggenheim Museum, October 1, 2010 - January 9, 2011; Guggenheim -
2011: Caos & clasicismo
Guggenheim Bilbao. Kenneth E. Silver;
arte en Francia, Italia y Alemania, 1918 - 1936; [publ. con ocasión de la Exposición Caos y Clasicismo: Arte en Francia, Italia, Alemania y España, 1918 - 1936; Solomon R. Guggenheim Museum 1 de octubre, 2010 - 9 de enero, 2011; Museo Gugge -
2012: Otto Dix and the New Objectivity
zur Ausstellung "Das Auge der Welt. Otto Dix und die Neue Sachlichkeit"
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2013: Kein Ästchen Veilchenblut
Kohl, Jeanette
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2018: Ideale
Philipsen, Christian; Bauer-Friedrich, Thomas
moderne Kunst seit Winckelmanns Antike -
[2019]: Welt im Umbruch
Baumstark, Kathrin; Pohlmann, Ulrich; Förster, Simone; Szwast, Miriam; Ruelfs, Esther; Stiegler, Ber
Kunst der 20er Jahre: Bucerius Kunst Forum, Hamburg, 09.02.-19.05.2019, Münchener Stadtmuseum, Mai bis Juli 2020 -
2019: Unheil
Bürkle, Horst Dieter
exemplarische Berichte über die Entarteten und Verfemten aus den Reihen der Darmstädter Sezession