Römische Bogenarchitektur mit zwei Löwenreliefs im Vordergrund
Beschreibung
Der Blick wird im riesigen, düsteren Raum, der sich auf dem Papier entfaltet, empor gelenkt. Die schwindelerregende Höhe der Bögen, die Taue, schweren Ketten und Balken erzählen von Gewalt und Gefangenschaft. Die Reliefs im Vordergrund zeigen einen gefesselten Häftling und zwei massige steinerne Löwen. Einer von ihnen wird gerade von einem Steinmetz bearbeitet. Weitere Figuren bewegen sich bis ganz nach oben im Gebäude, wo sie lediglich als winzige, dunkle Schemen wahrnehmbar sind. Ambivalenzen nicht nur in der Raumdarstellung, sondern auch in den möglichen Lesarten sind charakteristisch für die geheimnisvolle Serie der Carceri Piranesis, zu denen Die Löwenreliefs gehören. Der Eindruck des ersten Blicks wird bei genauerem Hinsehen oft konterkariert.
Die Carceri sind eine der berühmtesten Radierfolgen der Kunstgeschichte. Im Alter von dreißig Jahren publizierte der in Venedig geborene, in Rom berühmt gewordene Künstler erstmals seine Serie von 14 alptraumartigen Kerkerdarstellungen. Im Jahr 1761 gab Piranesi sie stark überarbeitet erneut heraus. Bis heute faszinieren sie und inspirieren sie vor allem auch Kreative aller Genres zu Paraphrasen und Interpretationen. Dem Thema der Gefangenschaft begegnet er mit einer immensen künstlerischen Freiheit und Innovationsfreude, mit der er Räume schafft, verschränkt, vertieft, mitunter den Regeln der Logik widersprechend. Stets sind die expressiven Raumphantasien des Künstlers, der auf weiten Strecken seines übrigen Werks von archäologischen Interessen geleitet war, auch als Bilder der Existenz oder psychischer Bedrängnis verstanden worden.
Verwinkelte Räume und phantastische Architektur
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Tauchen wir zusammen in die imposante Darstellung römischer Fantasiearchitektur ein. Lenken Sie ihren Blick vom Großen ins Kleine – von den unzähligen Bögen aus dickem Mauerwerk, über die massiven, mit Ketten und Tauen umschlungenen Balken in beängstigenden Höhen bis zu den beeindruckenden Löwenreliefs im Bildvordergrund.
Der Spezialist für phantastische Räume
Piranesi, Meister der Architekturzeichnung und der Druckgrafik, erlangt im 18. Jahrhundert vor allem durch seine detaillierten und dramatischen Darstellungen dieser sogenannten Carceri d’invenzione Berühmtheit. Die Serie aus 16 alptraumartigen Kerkerzeichnungen gehört zu den bekanntesten Radierungen der Kunstgeschichte.
Es gibt viel zu entdecken!
Die monumentale, verschattete Bogenarchitektur – die Piranesi mit Hilfe dicht aneinandergereihter Striche meisterhaft erschafft – vermag unseren Blick sogartig in die verschachtelte Szenerie zu ziehen. Am linken Bildrand zeigt er einen gefesselten Häftling in einem Relief.
Piranesi macht hieran deutlich, worum es im ganzen Blatt geht – um Gefangenschaft. Es ist interessant, dass die Szene trotz ihrer Betonung des düsteren Bildthemas den hellsten Punkt im Bild darstellt. Der Bildvordergrund wird von zwei massiven Löwenreliefs bestimmt, die Piranesi in unterschiedlichen Tonwerten eindrucksvoll modelliert.
Wenn Sie genau hinschauen, sehen sie den Bildhauer, der den hinteren Löwen mit Hammer und Meißel bearbeitet – ein Kunstwerk im Kunstwerk . Kleine Figuren, die auf Brettern und Balken balancieren, bewegen sich an vielen Stellen im Bild.
Piranesis Œuvre spiegelt einerseits sein großes Interesse an antiken römischen Bauten und andererseits Freude an einer ausdrucksstarken Fantastik wider. Dieses Blatt lädt zur Reflexion ein: Welches Verhältnis besteht zwischen Macht – die durch die Darstellung der Löwen verkörpert wird – und Gefangenschaft? Versteht Piranesi das Leben an sich als Gefangensein, als labyrinthisch? Eindrucksvoll und rätselhaft rufen Piranesis »Carceri« Gefühle der Ambivalenz hervor.
Daten und Fakten
| Titel | Römische Bogenarchitektur mit zwei Löwenreliefs im Vordergrund |
|---|---|
| Künstler*in | Giovanni Battista Piranesi |
| Entstehungszeit | 18. Jahrhundert |
| Inventarnummer | 1972-27 |
| Maße Blatt | H 54,4 cm |
| Maße | B 40,7 cm |
| Material | Papier |
| Technik | Radierung |
| Gattung | Radierung |
| Abteilung | Kupferstichkabinett |
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