
Fuku
Beschreibung
Zahlreiche Werke der in Japan geborenen Künstlerin Leiko Ikemura zeichnen sich durch poetische, stille und zeitenthobene Motive aus, deren Offenheit wie die Leerstellen in Haiku-Gedichten Raum für Assoziationen lässt. Ob Landschaften oder Figuren, selten sind ihre Sujets an konkreten Orten, Personen oder Ereignissen orientiert, sondern in imaginierte, fantastische Szenarien voller Mischwesen verlegt. Große Bekanntheit erreichte die Künstlerin mit gemalten und gezeichneten mädchenhaften Figuren, die durch Zwischenreiche schwebend gerade Gestalt anzunehmen scheinen.
Die Zeichnung Fuku steht in größtem Kontrast zu diesen Werken und ist daher im Œuvre der Künstlerin singulär. Sie ist zwar im selben Medium ausgeführt, der dahingeworfen erscheinenden Pinselzeichnung in zarten Aquarellfarben. Doch ihre Motivwahl reagiert unmittelbar auf die Zeitgeschichte, nämlich auf die katastrophalen Ereignisse infolge des Erdbebens und des Tsunamis im Osten Japans im März 2011. Fuku steht für Fukushima und das Atomunglück, das die Umgebung des Kernkraftwerks kontaminierte und für abertausende Menschen unbewohnbar machte, aber auch für die Ängste vor der Bedrohung durch eine nicht vollständig beherrschbare Technologie.
Das Blatt zeigt das Bildnis einer Figur, deren schemenhafte Gesichtszüge von Weinen oder Schreien, von Furcht oder Schmerz verzerrt sind. Es vermittelt diese Emotionen mit großer Eindringlichkeit, denn der enge Bildausschnitt erweckt den Eindruck unmittelbarer Nähe und lässt sogar die Annäherung der Dargestellten über die Schwelle des Bildraums hinaus assoziieren. Was in ästhetischer Betrachtung als das Faszinosum der Formwerdung verstanden werden kann – mit wenigen Pinselstrichen, mit dünner, fließender Farbe, ohne jede zeichnerische Kontur eine Figur aufs Blatt zu bringen –, erhält im Zusammenhang der Nuklearkatastrophe eine weitere Bedeutungsebene. Das konturlose, zerfließende Bildnis lässt sich auch als eine in Auflösung begriffene Gestalt verstehen, deren Körper keine Grenzen und keinen Schutz gegen das Eindringen der gefährlichen Stoffe besitzt. Mit minimalen Mitteln entsteht damit ein ›Katastrophenbild‹, das nicht zuletzt an andere ikonische Bilder wie das Pressefoto des Napalm-Bombenangriffs in Vietnam 1972 von Nick Út denken lässt.
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Daten und Fakten
Titel | Fuku |
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Künstler*in | Leiko Ikemura |
Entstehungszeit | 2012 |
Inventarnummer | FK 62 |
Maße Blatt | H 61,0 cm B 46,0 cm |
Maße Rahmen | H 66,6 cm B 51,6 cm T 4,0 cm |
Material | Papier |
Technik | Aquarell |
Genre | Porträt |
Gattung | Aquarell |
Abteilung | Kupferstichkabinett |
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Systemrelevant? Dass und wie wir leben
Staatliche Kunsthalle Karlsruhe 30.06.2020 - 27.09.2020