Die Poesie

Rosalba Carriera zählt zu den erfolgreichsten Künstlerinnen ihrer Zeit. In Venedig führte sie eine eigene Werkstatt, in der sie mit mehreren Mitarbeiterinnen tätig war. Zu ihren zahlreichen Auftraggeber*innen gehörten neben wohlhabenden Venezianer*innen und Reisenden auch Mitglieder europäischer Herrscherhäuser.

Carriera spezialisierte sich auf Pastellmalerei und wurde vor allem für ihre Porträts berühmt, schuf aber auch mythologische, religiöse und allegorische Darstellungen – wie auch dieses Karlsruher Pastell.

Das Werk zeigt die Personifikation der Poesie. Die dargestellte junge Frau blickt nachdenklich nach oben, während sie eine Buchseite umblättert. Sie trägt einen Lorbeerkranz als Kopfschmuck – ein Zeichen dichterischen Ruhmes und klassisches Kennzeichen der Musen. Daher könnte es sich hier auch um eine der neun Göttinnen der Künste und Wissenschaften handeln. Kalliope, die Muse der epischen Dichtung, wird in der Kunstgeschichte häufig lesend dargestellt.

Carriera wiederholte das Motiv mehrfach und variierte dabei Details. Eine weitere Version des Pastells befindet sich Privatbesitz. Dort weist eine zusätzliche Schreibfeder in der Darstellung auf Klio, die Muse der Geschichtsschreibung, hin.

Carrieras Erfolg hängt eng mit ihrer meisterhaften Pastellmalerei zusammen. Während Pastellkreide zuvor meist für Skizzen verwendet wurde, schuf sie damit vollwertige Kunstwerke. So verhalf sie der Technik zu neuer Bedeutung. Die pudrigen Farben verfügen über eine zarte Leuchtkraft und ermöglichen weiche Übergänge, wodurch Stoffe und Hautpartien besonders lebendig wirken – ein Effekt, der am Karlsruher Blatt deutlich sichtbar wird.

Die Pastellmalerei bot viele praktische Vorteile: Die Werke konnten schnell entstehen, da keine Trocknungszeiten wie in der Ölmalerei notwendig waren. Gleichzeitig sind Pastelle aber empfindlich. Um sie vor Beschädigungen beim Transport zu schützen, fügte Carriera ihren Pastellen oft kleine Gebetszettel (Santini) bei.

Das Pastell »Die Poesie« wurde 1764 für Markgräfin Karoline Luise von Baden bei einer Kunstauktion für 720 Livres erworben. Die Markgräfin gehörte zu den bedeutendsten Kunstsammlerinnen ihrer Zeit. Ihre exzellente Sammlung bildet bis heute ein wichtiges Fundament für den Bestand des Museums.