Anbetung des Kindes, verso: Verkündigung an Maria, Himmelfahrt Christi
Beschreibung
Ulrich Apt ist ab 1481 als Meister in Augsburg fassbar, wo er eine florierende Werkstatt betrieb. Bei der Karlsruher Tafel von 1510 (datiert) handelt es sich um den ursprünglich linken Flügel eines Retabels (Altaraufsatz) in der Augsburger Heiligkreuz-Kirche, der auf der Vorderseite die Anbetung des Christuskindes durch Maria, Joseph und die Hirten, auf der Rückseite die Verkündigung an Maria sowie die Himmelfahrt Christi zeigt. Zusammen mit dem rechten Flügel, dessen Vorderseite mit der Anbetung der Könige sich im Louvre in Paris erhalten hat, stellt die Karlsruher Tafel das früheste erhaltene bekannte Werk des Malers dar. Gestiftet wurde das Retabel sehr wahrscheinlich von einer Augsburger Zunft, denn in einigen Figuren sind Porträts von Zeitgenossen zu erkennen, unter ihnen einer der Vorsteher der Weber- und der Salzmacherzunft, Martin Weiss – ihm wurde als König in der Anbetung des Christuskindes ein herausragender Platz eingeräumt.
Der prächtige Farbakkord von warmen und kühlen Tönen trägt neben der Größe der Figuren dazu bei, dass das zentrale Geschehen auf der Vorderseite des Flügels sofort ins Auge fällt: Maria, gekleidet in die kostbaren Gewänder der zukünftigen Himmelskönigin (Goldbrokat und Hermelin), wendet sich in demütiger Anbetung mit gesenktem Blick ihrem neugeborenen Kind zu. Dieses liegt – ein Verweis auf seine menschliche Natur und seine Schutzlosigkeit – nackt auf einem blendend weißen Tuch, das schon auf die spätere Grablegung vorausdeutet. Joseph, der Ziehvater, hat sich auf die Knie fallen lassen und seinen Hut in Demut abgenommen. Auch die beiden Hirten rechts hinter einem Mauervorsprung der Ruine blicken andächtig auf das Kind. Sie sind schon angekommen, wo doch ihre Genossen im Hintergrund gerade erst die frohe Botschaft durch die Engel erhalten – eine für mittelalterliche Bilder typische Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen.
Wie bei den Engeln im Vordergrund fällt es auch bei den Hirten schwer, ihr Alter zu schätzen, sitzen doch sehr große Köpfe mit ältlichen Gesichtszügen auf kindlich kleinen Körpern. Ein teils mühevolles Ringen um die Mittel zur Darstellung von Wirklichkeit ist dem Werk am Übergang zur Neuzeit anzumerken. Während die Ruine der Anbetungsszene gekonnt in Zentralperspektive konstruiert wurde, hat z. B. die Untersicht-Wiedergabe der nach oben gereckten Häupter bei der Himmelfahrt der Rückseite etwas Bemühtes an sich. Meint die kleine Christusfigur der Himmelfahrt, dass der Gottessohn schon in weite Ferne entrückt wurde? Die detailreiche Wiedergabe von Einzelheiten der Natur zeigt einen anderen Versuch der Realitätsnähe auf und verrät die Kenntnis führender niederländischer Meister des 15. Jahrhunderts. Unterschiede in der stilistischen Ausarbeitung von Festtags- und Alltagsseite eines Altars (teils wohl eine Werkstattarbeit) sind nicht unüblich.
Anachronistisch schreibt sich die Institution der Kirche in das biblische Geschehen ein, dem sie doch erst ihre Existenz verdankt: Die Engel um das Jesuskind der Anbetung sind angetan mit liturgischen Gewändern, wie sie zu unterschiedlichen Anlässen und von unterschiedlichen Personen des Klerus getragen wurden. Auch der in großer Hast ins Bild geeilte Engel der rückseitigen Verkündigung – er tritt Maria in einem ausladenden Schritt auf den Mantelsaum – ist als Mann der Kirche gekleidet. Die Erfüllung der Engelsbotschaft ist direkt ins Bild gesetzt, denn Gottvater sendet nicht nur den Heiligen Geist, sondern auch das Christuskind aus, das sein Kreuz bereits geschultert hat: Ein Paradebeispiel der mittelalterlichen Vorstellung der Empfängnis durch das Ohr – denn das Wort war Fleisch geworden.
Daten und Fakten
| Titel | Anbetung des Kindes, verso: Verkündigung an Maria, Himmelfahrt Christi |
|---|---|
| Künstler*in | Ulrich Apt |
| Entstehungszeit | 1510 |
| Inventarnummer | 2448 |
| Maße Bildträger | H 124,0 cm B 70,0 cm |
| Maße Rahmen | H 135,5 cm B 83,5 cm T 7,0 cm |
| Material | Tannenholz |
| Technik | Mischtechnik |
| Gattung | Gemälde |
| Abteilung | Alte Malerei (vor 1800) |
Das Altarretabel, zu dem dieser Flügel mit der »Anbetung des Kindes« ursprünglich gehörte, wurde für das Chorherrenstift Heilig Kreuz in Augsburg gemalt. Wilhelm V. von Bayern kaufte 1610 die Altarflügel und vererbte sie seinem Sohn Maximilian I. von Bayern. Im Zuge des Dreißigjährigen Krieges besetzte der schwedische König 1632 München, die Flügel gelangten in schwedischen Besitz. Sie sind im Inventar des Kunstkabinettes der Königin Christina von Schweden von 1652 aufgeführt.
Vermutlich brachte sie die Flügel mit nach Rom, von wo sie in Sammlungen hochrangiger Würdenträger in Italien und Frankreich kamen. Um 1800 nahmen die Flügel verschiedene Wege.
Die Tafel der »Anbetung des Kindes« befand sich Anfang des 19. Jahrhunderts im Besitz des britischen Dichters Lord Byron in Newstead Abbey. Sie wurde von der Familie Chermside erworben und gelangte dann in den Besitz von Richard Gatty, Northallerton. 1958 erwarb die Staatliche Kunsthalle Karlsruhe die Tafel von David Carritt, London.
Forschungsstand: 2010, Bearbeiterin: Dr. Tessa Rosebrock.
- 1510 - 1610 ↓
- 1610 - wohl 1626 ↓
- wohl 1626 - 1632 ↓
- wohl 1632 - mind. 1652 ↓
- wohl 1689 - 19. Jh. ↓
- früh. 1788 - spät. 1824 ↓
- vor 1824 - vor 1929 ↓
- früh. 1850 - spät. 1929 ↓
- nach 1909 - spät. 1958 ↓
- ab 27.11.1958 ↓
1510 - 1610
1510 für die Kirche des Chorherrenstiftes Heiligkreuz in Augsburg gemalt. [1]
Quelle:- [1] Staatliche Kunsthalle Karlsruhe, Inventarkarte Nr. 2448 a/b.
1610 - wohl 1626
- Eigentümer*in: Wilhelm
Als Gegenleistung ließ Herzog Wilhelm V. von Bayern dem Kloster Kopien anfertigen, welche in Augsburg als Leihgabe in den Städtischen Kunstsammlungen und Windsor erhalten sind. [1]
Quelle:- [1] Karl Feuchtmayr, »Die Malerfamilie Apt«, in: Münchner Jahrbuch 11 (1919/20), S. 30–61, hier S. 36, online: Heidelberger historische Bestände, 14.10.2025.
- [2] Staatliche Kunsthalle Karlsruhe, Inventarkarte Nr. 2448 a/b.
wohl 1626 - 1632
- Eigentümer*in: Maximilian
Maximilian I. von Bayern erbte die Flügel wohl von seinem Vater, Kurfürst Wilhelm V. von Bayern.
Als Werk Holbeins d. Ä. in der Galerie Kurfürst Maximilians I. von Bayern (Kammergalerie) in München genannt: »Ein alte uberhöchte Tafel, darauf das Opffer der Heyligen Drey Khönigen mit Contrafetischen gesichtern, wol gemallt, ist 4 Schuech 3 Zoll hoch, und 2 Schuech 4 ½ Zoll brait, zue rugg mit Nr. 19 bezaichnet. Gleicher manier und grösse, ein andere solche Tafel, darauf die Weyhenachten, gleichsfahls mit Contrafetischen Gesichtern Anno 1510 gemalt, mit Nr. 20.« [1]
Quelle:- [1] Inventar der Kammergalerie Kurfürst Maximilians I. von Bayern, 1628, Nr. 19, 20, online: ART-Dok.
- [2] Staatliche Kunsthalle Karlsruhe, Inventarkarte Nr. 2448.
wohl 1632 - mind. 1652
- Eigentümer*in: Christine
1632 von den Schweden geplündert und nach Stockholm verschleppt. [1]
Im Sammlungsinventar der Königin Christine von Schweden zu Stockholm 1652 unter den Werken »de Myniken« beschrieben: »205. Dito, representant la Ste Vierge et les Anges, qui viennent pour adorer Jesus Christ. Sur du bois.«, Anmerkung: »›Livets brunn‹, av Huns Holbein d. ä., Lissabons museum.« [2]
Die Anmerkung »Huns Holbein« geht auf die frühere Zuschreibung des Werken an Hans Holbein d. Ä. zurück.
Quelle:- [1] Staatliche Kunsthalle Karlsruhe, Inventarkarte Nr. 2448 a/b.
- [2] Inv. d. Antiquitätenkabinetts d. schwed. Königin, 1652, in: O. Granberg, Svenska konstsamlingarnas historia, Bd. 1, S. 182–229, hier S. 215, 229, online: HD hist. Best, 29.10.25.
wohl 1689 - 19. Jh.
Bis zum 19. Jahrhundert lässt sich die Provenienz der Tafel nur aus dem Kontext der Sammlungsgeschichte erschließen. Olof Granberg liefert 1929 eine Zusammenfassung des Verbleibs der Sammlung von Königin Christina von Schweden. Demnach vermachte Christina ihre Sammlung Kardinal Decio Azzolini dem Jüngeren (1623-1689), der jedoch im selben Jahr wie die Königin verstarb, woraufhin sein Neffe, Marquis Pompeo Azzolino die Sammlung erbte. Er verkaufte sie Fürst Livio Odescalchi, Neffe von Papst Innozenz XI. Die Sammlung wurde von Fürst Baldassare Odescalchi-Erba geerbt. 1721 verkaufte er die Gemäldegalerie an den Herzog-Regenten Philippe d'Orléans, der sie mit seiner umfangreichen Gemäldesammlung vereinte. Später erbte sein Urenkel Philippe d'Orléans, bekannt als Philippe-Egalité, den Kunstbesitz. Um seine Schulden zu begleichen, verkaufte er die Kunstwerke. Die flämischen, holländischen und deutschen Gemälde verkaufte er 1792 an Lord Kinnaird sowie Morland und Hammersley, welche vom Kunsthändler Slade vertreten wurden. Slade transportierte die Werke nach London, wo er sie unter der Hand verkaufte. [1]
Quelle:- [1] Olof Granberg, Svenska konstsamlingarnas historia, Bd. 1, S. 143–144, online: Heidelberger historische Bestände.
früh. 1788 - spät. 1824
- Eigentümer*in: wohl George Gordon Byron Byron
Die »Anbetung des Kindes« befand sich im 19. Jahrhundert in Lord Byrons Wohnsitz Newstead Abbey. [1]
Quelle:- [1] Staatliche Kunsthalle Karlsruhe, Inventarkarte Nr. 2448.
vor 1824 - vor 1929
- Eigentümer*in: Familie Chermside
Die »Anbetung des Kindes« gelangte im 19. Jahrhundert aus Lord Byrons Wohnsitz Newstead Abbey an die Familie Chermside. [1]
Quelle:- [1] Staatliche Kunsthalle Karlsruhe, Inventarkarte Nr. 2448.
früh. 1850 - spät. 1929
- Eigentümer*in: Sir Herbert Charles Chermside
- [1] Staatliche Kunsthalle Karlsruhe, Inventarkarte Nr. 2448.
nach 1909 - spät. 1958
- Eigentümer*in: Richard Gatty
Aus der Sammlung Sir Herbert Chermside von Richard Gatty, Pepper Arden Hall/Yorkshire, erworben. [1]
Quelle:- [1] Staatliche Kunsthalle Karlsruhe, Inventarkarte Nr. 2448.
ab 27.11.1958
- Eigentümer*in: Staatliche Kunsthalle Karlsruhe
- Kunsthändler*in: David Carritt Limited
- [1] Staatliche Kunsthalle Karlsruhe, Inventarkarte Nr. 2448.
Die Rückseite war lange Zeit in einer einheitlichen Farbe völlig überstrichen und wurde erst 1960 wieder freigelegt.Herzog Wilhelm V. von Bayern kaufte das Retabel 1610 in der Annahme, es handle sich um ein Werk Holbeins.Ulrich Apt war 11 Jahre lang in seiner Heimatstadt Augsburg Richter im Stadtrat.
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Holbein und die Rennaisance im Norden
Städel Museum, Frankfurt am Main 20.11.2023 - 18.02.2024
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Kunsthistorisches Museum Wien 19.03.-30.06.2024
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1966: Katalog Alte Meister bis 1800
Bearb.: Lauts, Jan; Hrsg.: Vereinigung d. Freunde d. Staatl. Kunsthalle
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Bearb.: Lauts, Jan; Hrsg.: Vereinigung d. Freunde d. Staatl. Kunsthalle
Bildband -
1968: Die Staatliche Kunsthalle Karlsruhe
Lauts, Jan (Bearb.); Staatliche Kunsthalle Karlsruhe (Hg.)
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1973: Meisterwerke in der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe
Ammann, Edith u.a. (Bearb.); Staatliche Kunsthalle Karlsruhe (Hg.)
Erworben von Jan Lauts -
1988: Ausgewählte Werke der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe
Lüdke, Dietmar; Reising, Gert; Simons-Kockel, Katrin
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1992: Christus und Maria
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Auslegungen christlicher Gemälde der Spätgotik und Frührenaissance aus der Karlsruher Kunsthalle -
2010: Miroslaw Balka - Wir sehen dich
Heynen, Julian; Staatliche Kunsthalle Karlsruhe
Staatliche Kunsthalle Karlsruhe, 16.4. - 22.8.2010 -
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