
Gesenkter Frauenkopf
Beschreibung
Wilhelm Lehmbruck war einer der bedeutendsten modernen Grafiker und Bildhauer im deutschen Kaiserreich. Gesenkter Frauenkopf stammt aus einer Phase erster nationaler und internationaler Erfolge des Künstlers nach dem Abschluss seines Studiums an der Düsseldorfer Kunstakademie. Die weibliche Büste trägt die Züge Anita Lehmbrucks, geborene Kaufmann, die der Künstler 1908 geheiratet hatte. Im Jahr der Entstehung, 1910, war die inzwischen vierköpfige Familie bereits nach Paris umgezogen, wo Lehmbruck Kontakte zu Auguste Rodin, Constantin Brancusi, Alexander Archipenko, André Derain, Amedeo Modigliani, Pablo Picasso und Aristide Maillol pflegte.
Lehmbruck verstand sich als Expressionist, obwohl seine Zeichnungen und Skulpturen wie im Beispiel des Gesenkten Frauenkopfs weitaus leiser erscheinen als die Werke seiner berühmten Malerkollegen aus Dresden, Berlin oder München. Die gedankliche Nähe zu ihnen bestand jedoch in der künstlerischen Motivation. Lehmbruck sah seine Aufgabe darin, seine Zeit in einer adäquaten Bildsprache zu formen und so an einer Erneuerung der menschlichen Gesellschaft mitzuwirken: »Was wir Expressionisten suchen, ist: präzis aus unserem Material den geistigen Gehalt herauszuziehen. Seinen äußersten Ausdruck – und das ist’s gerade, warum man zerquetscht wird in einer Welt, die so tief im Materialismus steckt.«
Vergleicht man Familienfotos aus dem Hause Lehmbruck mit der weiblichen Büste, so ist die Ähnlichkeit mit dem schönen großen Gesicht seiner Frau unverkennbar. Zugleich steigert Lehmbruck die Idee eines geistigen Wesens, indem er die individuellen Züge Anitas reduziert und nur ihren ruhigen, subtil elegischen Ausdruck in die Büste übersetzt. Auch modische Elemente wie die Frisur werden zugunsten eines stilisierten Frauentypus zurückgenommen. Die Stirn – im Expressionismus als Sitz des Geistigen oft besonders hoch dargestellt – wird auch hier durch die Neigung des Kopfs betont, während die Augen, die sprichwörtlich gewordenen Fenster zur Seele, in diesem Fall keinen Einblick in das Individuelle der Person gewähren.
Gesenkter Frauenkopf ist in dem vom Künstler geschätzten Verfahren des Steingusses entstanden und weist eine rötlich marmorierte Oberfläche auf. Die Büste ist zudem eine Detailform von Lehmbrucks erster überlebensgroßer weiblicher Ganzfigur, der Großen Stehenden, in der der Künstler auch im großen Format die Priorität von Geist über Materie zum Ausdruck brachte.
Daten und Fakten
Titel | Gesenkter Frauenkopf |
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Künstler*in | Wilhelm Lehmbruck |
Entstehungszeit | 1910 |
Inventarnummer | P 44 |
Maße Plastik | H 42,0 cm B 42,2 cm T 23,8 cm |
Material | Steinguß |
Gattung | Plastik |
Abteilung | Plastik |
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Deutscher Expressionismus
Institut Mathildenhöhe 1920, Nr. 480
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Gedächtnisausstellung Wilhelm Lehmbruck bei Paul Cassirer
Galerie Paul Cassirer 1920, Nr. 2
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Gedächtnisausstellung Wilhelm Lehmbruck
Münchener Neue Sezession 1921, Nr. 2
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Von Rodin bis Giacometti. Plastik der Moderne
SKK 28.11.2009-28.2.2010, Nr. 4
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1964: Sammlungskatalog I
Wilhelm Lehmbruck Museum Duisburg (Hg.)
Wilhelm-Lehmbruck-Museum Duisburg -
1980: Der Torso als Problem der modernen Kunst
Schnell, Werner
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1989: Reihe "museum"
Staatliche Kunsthalle Karslruhe (Hg.)
Westermann-Führer -
1990: Die Kunst Lehmbrucks
Schubert, Dietrich
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1993: Staatliche Kunsthalle Karslruhe
Holsten, Siegmar
Die Sammlung der Moderne -
1994: Katalog der Skulpturen
Staatliche Kunsthalle Karlsruhe (Hg.)
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2000: Lehmbrucks Stehende weibliche Figur und verwandte Frauendarstellungen seiner Pariser Werkphase
Berger, Ursel
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2005: Staatliche Kunsthalle Karlsruhe
Voigt, Kirsten Claudia
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2009: Von Rodin bis Giacometti
Holsten, Siegmar
Plastik der Moderne