Undercover Selbstporträt: Augenbetrüger-Stillleben von Samuel van Hoogstraten
Kennt ihr das Gefühl, wenn ihr durch eine offene Tür geht, aber dann ist es eine Scheibe und ihr knallt voll dagegen? Das ist letztens einem Freund von mir passiert – an seinem ersten Arbeitstag. Er hat sich überschwänglich von seinen neuen Kolleg*innen verabschiedet und dann… hat’s richtig gescheppert. War super peinlich, durchaus schmerzhaft und aber auch ein bisschen witzig, aber manchmal spielen uns unsere Augen nun mal einen Streich. Der Maler Samuel van Hoogstraten hat es sogar regelrecht drauf angelegt. In der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe befindet sich sein Augenbetrüger-Stillleben aus dem 17. Jahrhundert. Ich verspreche euch nicht zu viel, wenn ich sage: Ihr werdet euren Augen kaum mehr trauen. Viel Spaß mit dieser Folge!
Der Kunstsnack – Kurze Facts leicht bekömmlich. Von der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe mit dem Comedian und Kunsthistoriker Jakob Schwerdtfeger.
Das Werk, um das es heute geht, sollte man sich in Ruhe angucken. Und es ist jeden Blick wert. Schaut daher gerne in die Shownotes, da ist ein Link zur Abbildung. Aber ich beschreibe euch das Bild natürlich jetzt auch genau. Wir sehen ein Steckbrett, über das zwei rote Lederriemen gespannt sind. Dahinter sind jede Menge Gegenstände gesteckt – ein bisschen wie bei einem Koffer, wenn man mit Gurten versucht, den Inhalt zu fixieren. All diese Dinge sind gemalt.
Die Gegenstände auf dem Bild sind eine Mischung aus Schreibutensilien und Kosmetikartikeln. Wir sehen Papier und eine Feder, aber auch einen Kamm und einen Rasierpinsel. Vielleicht haben wir es hier mit dem Besitzstand eines sehr gepflegten Schriftstellers zu tun, ein hygienischer Hochintellektueller, ein aufgedonnerter Autor, ein schnieker Schreiberling. Was hier vor allem direkt ins Auge sticht, ist die Malweise des Bildes: Die ist nämlich der Wahnsinn. Jeder einzelne der 21 Gegenstände ist perfekt gemalt. Alles wirkt so plastisch, als könnte man es anfassen und einfach von diesem Steckbrett runternehmen. Die Textur vom Papier ist zum Beispiel ganz anders als die Textur von dem Kamm, der vermutlich aus Horn besteht.
Die Objekte sind auch allesamt ziemlich genau so groß wie in echt. Man muss sich hier wirklich aktiv dran erinnern: Das hier ist Ölfarbe auf Leinwand, das hier ist eine zweidimensionale Fläche. Der Effekt ist wie bei flachen Bildschirmen, auf denen man perfekte 3D-Computerspiele spielt. Alles super beeindruckend, aber am Ende wird uns hier etwas vorgegaukelt.
Diese Art der Malerei nennt man Trompe-l’œil. Das heißt auf Französisch: „Täusche das Auge“. Man kann es auch deutlich sagen: Trompe-l’œil-Malerei soll uns verarschen – wie ein Zaubertrick. Ab 1650 wurden Trompe-l’œil-Gemälde besonders beliebt – das Bild aus der Kunsthalle Karlsruhe ist aus der Zeit 1666/167 und passt zeitlich also genau in diese Mode. Es gab damals Trompe-l’œil Bilder, auf denen wurden die Rückseiten von Bildern gemalt. Da steht man im Museum davor und will die Bilder erst mal umdrehen. Ihr kennt Trompe-l’œil aber auch aus eurem Alltag: In Innenstädten malen Leute doch manchmal mit Kreide so auf den Boden, dass es aussieht, als wäre plötzlich ein großer Riss mitten in der Fußgängerzone. Die Leute stehen damit in langer kunsthistorischer Tradition!
Bei der Trompe-l’œil-Malerei ging es schon immer viel darum, künstlerisches Können zu demonstrieren. Teilweise wurde auch Architektur damit aufgehübscht. Wenn Räume zu klein wirkten, hat man an die Decke einfach eine perspektivisch korrekte Kuppel gemalt. Zack! Wirkte der Raum gleich viel höher und prächtiger. In manchen Restaurants gibt’s ja auch heute noch aufgemalte Säulen, wobei die allerdings meistens ziemlich trottelig wirken.
Naja, es gibt eine alte Künstleranekdote zur Trompe-l’œil-Malerei, der sehr unterhaltsam ist. Zwischen den zwei Malern Zeuxis und Parrhasios herrschte ein Wettstreit: Wer kann besser malen? Zeuxis fing an und malte ein Bild mit Trauben drauf. Die wirkten so echt, dass Vögel angeflogen kamen, um daran zu picken. Eine echte Meisterleistung! Daraufhin präsentierte Parrhasios, der zweite Künstler, ein Bild mit einem Vorhang. Früher machte man das oft, dass man Bilder hinter Vorhängen aufbewahrte, um sie dann dramatisch zu enthüllen. Zeuxis wollte also den Vorhang zu Seite ziehen und merkte: Oh… Der Vorhang war nur gemalt. Der erste Künstler hatte also Tiere getäuscht, der zweite aber einen Menschen. Klar, wer aus dieser Geschichte als Sieger hervorging.
Das Augenbetrüger-Stillleben von Samuel van Hoogstraten in der Kunsthalle Karlsruhe ist aber nicht nur exzellente Malerei, die technisch beeindruckend ist. Das Bild hat auch noch eine zweite Ebene, die weitaus weniger offensichtlich ist. Und zwar ist das Ganze eine Art verstecktes Selbstporträt. Denn all die gemalten Gegenstände auf dem Augenbetrüger-Stillleben spielen auf Samuel van Hoogstraten an. Der war nämlich nicht nur Maler, sondern auch Kunsttheoretiker und Autor. Das heißt er hat viel geschrieben. Ihr erinnert euch: Das Papier und die Schreibfeder auf dem Bild, die ich erwähnt habe – alles Anspielungen auf seine Autorentätigkeit. Dazu kommen noch Federmesser, Siegellack, Schere und ein paar Publikationen von Samuel van Hoogstraten. Der Maler sagt uns also mit diversen Gegenständen auf dem Bild immer das gleiche: „Hallo, ich schreibe. Ja, genau. Ich schreibe übrigens. Ah, und falls ihr es noch nicht wusstet, ich schreibe.“
Samuel van Hoogstraten betont in seinem Gemälde außerdem, dass er Künstler ist. Er malt eine Brille, die für den Sehsinn steht – natürlich wichtig für einen Künstler. Die Brille klemmt an einem Stück Papier. Dabei handelt es sich um ein Gedicht von einem österreichischen Poeten, der Hoogstratens Malerei in den Himmel lobt. Unter anderem geht es um seine Fähigkeit täuschend echt zu malen. Der Dichter stellt Hoogstratens Skills sogar über Zeuxis – ihr erinnert euch an die Geschichte gerade. Zeuxis war der mit den Trauben, also ein größeres Lob gibt es kaum.
Und genau das malt der Künstler in sein Bild rein. Bescheidenheit sieht auf jeden Fall anders aus. Generell hält Samuel van Hoogstraten echt nicht hinterm Berg mit seinen Errungenschaften. Auf dem Augenbetrüger-Stillleben befindet sich eine Porträtmedaille mit Ehrenkette. Die hatte der Maler von Kaiser Ferdinand III. verliehen bekommen als Lob für seine Kunst. Eigentlich hätte Samuel van Hoogstraten einfach groß auf sein Bild schreiben können: „Seht her, was für ein toller Hecht ich bin!“
Aber hey, malen konnte er auf jeden Fall hervorragend und damit passt er perfekt in die Sammlung der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe. Ausgebildet wurde Samuel van Hoogstraten übrigens bei niemand geringerem als Rembrandt. Über den haben wir die erste Folge von Kunstsnack gemacht – hört da sehr gerne mal rein. Da geht’s nämlich um ein Selbstporträt von Rembrandt, mit drei Ohren. Im Gegensatz dazu hat Samuel van Hoogstraten ein Selbstbildnis ganz ohne Ohren geschaffen, dafür aber mit vielen Gegenständen und mit viel Selbstbewusstsein.
Es wird vermutet, dass das Bild möglicherweise als Geschenk gedacht war: Vielleicht als eine Art Dankeschön für einen Auftrag oder als Werbung für einen möglichen Auftraggeber. Dann ergäbe das Eigenlob Sinn, denn dieses Bild ist eine stattliche Visitenkarte für Samuel van Hoogstraten.
Vielen Dank für’s Zuhören, abonniert gerne diesen Podcast und passt auf bei Glastüren. Bis bald mit der nächsten von Kunstsnackfolge, Ciao.
Das war der Kunstsnack – Kurze Facts leicht bekömmlich. Mit Jakob Schwerdtfeger. Eine Produktion der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe. Abonniert unseren Podcast und folgt uns bei Instagram. Habt Ihr Themenwünsche, schreibt uns via Directmessage oder per Mail an digital@kunsthalle-karlsruhe.de.