Wilder Kunstcocktail: Weibliche Halbfigur mit großer Blüte und Profilkopf von Odilon Redon
Es ist ein traumhaftes Kunstwerk, um das es heute geht. Und damit meine ich, es wirkt wie aus einem Traum. Wenn ihr also eine kleine Auszeit braucht, ist dieses Werk perfekt, um euch kurz wegzuträumen. Es trägt den Titel „Weibliche Halbfigur mit großer Blüte und Profilkopf“. Geschaffen hat es der Künstler Odilon Redon im Jahr 1898. Jetzt fragt ihr euch natürlich, wo sich das Werk befindet. Natürlich da, wo die gesamte Top-Kunst versammelt ist: in der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe. Wo denn auch sonst? In diesem Sinne, viel Spaß mit der dieser Folge Kunstsnack.
Der Kunstsnack – Kurze Facts leicht bekömmlich. Von der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe mit dem Comedian und Kunsthistoriker Jakob Schwerdtfeger.
Kurzer Hinweis: Das Bild, um das es gleich geht, könnt ihr euch auch angucken. In den Shownotes ist ein Link zur Abbildung. Und jetzt geht’s los.
Was gibt‘s hier zu sehen? Bildliche Beschreibung
Wir haben es hier mit einer Arbeit auf Papier zu tun. Eine Zeichnung mit Pastell und Kohle. Pastellstifte sind Malkreiden. Damit kann man besonders zarte Zeichnungen machen, die etwas neblig wirken. Und das passt gut zu dem Werk von Odilon Redon. Alles wirkt lose zusammengesetzt und assoziativ auf dem Blatt verteilt. Der Großteil der Zeichnung besteht aus gelben Farbnebeln, dazwischen sind dunkle Partien. Die Farben wirken wie hingehaucht. Irgendwie erinnert mich das Ganze an Schwaden voll Schwefel – wobei das nicht so einladend klingt.
Aber nicht alles auf dem Blatt ist abstrakt und schwer greifbar. Unten rechts ist eine blaue Figur, die frontal aus dem Bild herausschaut. Die blaue Figur sieht aus, als wäre sie aus dem Film „Avatar“ entlaufen. Daneben ist noch ein blauer Kopf im Profil. Sonst kann man auf dem Blatt weniges klar erkennen.
Auf der linken Hälfte ist ein Vogel, zumindest dachte ich das als erstes. Ich dachte, das wäre ein blau-oranger Eisvogel. Ich bin nämlich Eisvogel-Fan. Aber leider stimmt das mit dem Vogel gar nicht. Das Kunstwerk heißt ja „Weibliche Halbfigur mit großer Blüte und Profilkopf“. Es handelt sich also um eine Blume. Allerdings eine ziemlich crazy Blume mit vielen Farbsprengseln.
Ich hatte ja am Anfang gesagt, dass das Werk wirkt, als wäre es ein Traum. Weil alles so fuzzy ist, so angedeutet. Da ist Realitätsbezug drin, aber auch viel Fantasie. Und exakt das macht Redons Stil aus, wie ihr gleich erfahren werdet.
Der Epochen-Check
Odilon Redon war ein französischer Künstler und lebte von 1840 bis 1916 in Frankreich. Ein Großteil seines Schaffens fällt damit in die Kunstrichtung Symbolismus. Der Symbolismus kam gegen Ende des 19. Jahrhunderts in Frankreich auf und ging bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts. Redons Stil ist sehr einzigartig und schwer einzuordnen. Aber er wird immer wieder als Vertreter des Symbolismus angesehen.
Also, was ist der Symbolismus? Als ich diesen Begriff das erste Mal gehört hab, dachte ich an eine Kunst voller Geheimzeichen und Objekte, die für irgendetwas stehen. Das stimmt irgendwie auch, nur, dass es keine allgemeingültigen Symbole sind – wie z.B. das Peacezeichen. Die Motive im Symbolismus sollen für etwas stehen, über sich hinausweisen. Nur eben nicht eindeutig. Es ist halt wirklich wie bei einem Traum, wenn man aufwacht und sich fragt: „Was will mir der Traum denn bitte sagen?“ Als Kind habe ich mal von einem Müllmann geträumt, der mit einem Speer vor unserer Wohnungstür stand. Aus unerfindlichen Gründen ist mir das bis heute im Kopf geblieben und ich frage mich regelmäßig seit 30 Jahren, was der Müllmann mit dem Speer bedeuten sollte. Es bleibt ein Rätsel.
Und genau das ist der Symbolismus: Rätselhaft. Es geht nicht darum die Welt genau wiederzugeben, es geht eher um ein Abdriften in die eigene Gedankenwelt. Das Hinterfragen der Realität und wie man sie wahrnimmt. Der Symbolismus hat oft einen dunklen, mystischen Touch. Es ging um Themen wie Übernatürliches, Mythologie, Ekstase, Allegorien, Träume, Tod, Sünde, Krankheit, Leidenschaft, Visionen, Sehnsucht. Also, eine ganze Menge. Ein richtig wilder Kunstcocktail. Und das macht auch einen Reiz von Redons Kunst aus, dass sie so vielschichtig und offen ist.
Vorher war bei Kunstwerken motivisch oft sehr klar, worum es ging. Das ist nun nicht mehr so und das gibt den Werke eine ganz eigene, neue Qualität. Der Dichter Jean Moréas hat das Ganze gut auf den Punkt gebracht mit folgendem Satz: „Die wesentliche Eigenschaft der symbolistischen Kunst besteht darin, eine Idee niemals begrifflich zu fixieren oder direkt auszusprechen.“
Ein wichtiger Einfluss für den Symbolismus war die Philosophie des Unbewussten von Eduard von Hartmann. Da ging es viel um irrationale und unsichtbare Kräfte. Transzendenz interessierte Redon, das Überschreiten geistiger Grenzen. Auch Sigmund Freund weckte sein Interesse.
Wie wurde das Werk beeinflusst? Interessante Inspirationen
Die Beschäftigung mit dem Unbewussten war nicht der einzige Einfluss für Redon. Konkret beeinflusste ihn für „Weibliche Halbfigur mit großer Blüte und Profilkopf“ seine eigene Familie. Die beiden blauen Figuren haben nämlich Ähnlichkeit mit seiner Ehefrau und seinem Sohn. Andeutungen der beiden baute Redon immer wieder in seine Werke ein.
Musik war ein weiterer wichtiger Einfluss für Redon. Er sagte selbst (ich zitiere): „Meine Zeichnungen inspirieren, aber legen sich nicht fest, sie bestimmen nichts. Wie die Musik versetzen sie uns in die vieldeutige Welt des Unbestimmten.“ Schöne Formulierung, dass die Musik eine „vieldeutige Welt des Unbestimmten“ ist – ich höre viel elektronische Musik und wenn ich die Augen schließe, dann nehmen mich manche Songs auch mit auf eine echte Fantasiereise. Redon spielte selbst Klavier und Geige. Außerdem hörte er gerne Richard Wagner. Also, Musik und die Uneindeutigkeit von Musik war wichtig für Redon. Dazu kommt noch die Literatur. Ihn faszinierten Autoren wie Gustave Flaubert, Charles Baudelaire und Edgar Allan Poe. Redon war ein Künstler mit breiten Interessen, denn er beschäftigte sich auch mit den Theorien von Charles Darwin. Die Naturwissenschaften waren ihm durchaus geläufig, was ich spannend finde bei einem Künstler, der so sehr dem Ungefähren und Irrationalen zugetan war.
All das bringt Redon in einem Zitat für mich sehr gut auf den Punkt: „Ich habe aus dem Stiel einer Pflanze, aus dem menschlichen Gesicht oder auch aus den Elementen eines Knochengerüsts Phantasien geschaffen, die meiner Ansicht so gezeichnet, konstruiert, gebaut sind, wie sie sein mussten. Sie sind es, weil sie ein Organismus sind.“ Vielleicht macht das die assoziative Anordnung auf dem Werk aus Karlsruhe etwas greifbarer. Aber das ist ja auch das Tolle an Kunst, dass man sie nicht immer zu packen kriegt. Sondern sie offen und vielseitig bleibt.
Ich hoffe, ihr hattet Spaß in das Schaffen von Odilon Redon einzutauchen. Dann wachen wir jetzt mal wieder auf aus diesem Traum. Wobei ihr natürlich auch alle anderen traumhaften Folgen von Kunstsnack gerne hören könnt. Die neue Episode kommt wie immer in zwei Wochen. Bis dann, macht’s gut, Ciao.
Das war der Kunstsnack – Kurze Facts leicht bekömmlich. Mit Jakob Schwerdtfeger. Eine Produktion der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe. Abonniert unseren Podcast und folgt uns bei Instagram. Habt Ihr Themenwünsche, schreibt uns via Directmessage oder per Mail an digital@kunsthalle-karlsruhe.de.