Flügelaltar: Die Auferstehung Christi und alttestamentarische Vorbilder
Beschreibung
Pieter Coecke van Aelst, ein vor allem in Antwerpen tätiger Maler, schuf dieses Werk vermutlich um 1530/35. Altniederländische Stilelemente finden sich darin ebenso wie Anregungen der italienischen Renaissance. Es handelt sich um ein sogenanntes Triptychon, also ein dreiteiliges Werk, mit einem stehenden Mittelteil und zwei beweglichen Außenflügeln. Die bescheidenen Ausmaße sprechen für einen privaten Auftrag – ein Hausaltärchen –, nicht für einen kirchlichen Zusammenhang.
Groß ist die Aufregung auf dem kleinen Flügelaltar. Im Vordergrund der Mitteltafel fallen Soldaten in gekünstelten Drehungen übereinander und zu Boden, reißen Arme und Schilde fast tänzerisch nach oben – vor Schreck über die Lichterscheinung des in den Himmel auffahrenden und segnenden Christus. Eine von ebenfalls in Bewegung begriffenen Engeln bevölkerte Wolke umgibt ihn. In der hügeligen Landschaft des Hintergrunds zeigt sich die große Erzählfreude des Künstlers. Hier wird das „Davor“ der Auferstehung vor Augen geführt: Jerusalem – der Ort von Jesu Verurteilung, die Kreuzigung, die Frauen auf dem Weg zum Grab. Entgegen der Tradition stellt Coecke van Aelst dieses nicht als Felsengrab oder Sarkophag, sondern als baldachinartigen, nach allen Seiten offenen Aufbau dar.
Auch auf den Seitenflügeln dient das Hintereinander der räumlichen Ebenen zur Verdeutlichung einer zeitlichen Abfolge: Links vorne berichtet ein Bote dem staunenden babylonischen König Nebukadnezar, was der Betrachter im Hintergrund quasi als Blick in die Vergangenheit sieht: Die drei Jünglinge, die sich geweigert hatten, die Statue des Königs anzubeten und zur Strafe in einen Feuerofen geworfen worden waren, sind unversehrt daraus hervorgegangen. Rechts ist der Prophet Jona nach drei Tagen und Nächten lebendig dem Maul des Wals entstiegen. Dieser hatte Jona verschlungen, nachdem man ihn zur Besänftigung eines Sturms von einem Schiff aus dem Meer geopfert hatte – und tatsächlich galt der Sturm als göttliche Strafe dem Propheten, denn er war vor einem göttlichen Auftrag geflohen.
Die drei Tafeln, obwohl sie unterschiedlichste Ereignisse zeigen, müssen zusammen gelesen werden: Alle drei Begebenheiten spielen sich in einer einheitlichen Landschaft ab, deren Horizontlinie in Leserichtung von links nach rechts langsam absinkt, in demselben Maß, wie auch das Licht abnimmt. Die Bildfelder sind nach dem Muster der sogenannten Typologie aufeinander bezogen: Was sich auf den Flügeln abspielt, sind alttestamentliche Vorausdeutungen (Typen) für das, was in der neutestamentlichen Begebenheit der Mitteltafel (Antitypus) erfüllt wird: Alle drei Ereignisse berichten von Errettung aus Not, von Strafe, von Umkehr, von der Überwindung des Todes und können den Betrachtenden moralisches Beispiel sein.
Nicht nur durch die Landschaft und das seltsame Phänomen eines gleichzeitigen Tagesablaufs anhand der Lichtstimmung werden die Flügel zusammengehalten und miteinander verschränkt. Coecke van Aelst vereinheitlichte sie auch durch Wiederholungen wie die umleuchtete Himmelserscheinung in jedem Bild oder durch die beiden Hauptfiguren der Seitenflügel, die sich der Mitte zuwenden und so die Bekehrung zum Glauben verdeutlichen.
Daten und Fakten
Titel | Flügelaltar: Die Auferstehung Christi und alttestamentarische Vorbilder |
---|---|
Künstler*in | Pieter Coecke van Aelst |
Entstehungszeit | um 1535 |
Inventarnummer | 153 |
Maße Flügel links | H 74cm B 23.3cm |
Maße Flügel rechts | H 74cm B 23cm |
Maße Gesamtwerk | G 15kg |
Maße Mitteltafel | H 74cm B 55cm |
Maße Rahmen | H 82cm B 62.5cm T 8.5cm |
Material | Eichenholz |
Technik | Mischtechnik |
Genre | Historie |
Gattung | Gemälde |
Abteilung | Alte Malerei (vor 1800) |
Fremdländisch aussehende Kostüme und Streifenstoffe entspringen wahrscheinlich nicht allein der Fantasie des Künstlers, sondern haben echte Vorbilder. Denn Pieter Coecke van Aelst hatte 1533 die Türkei bereist.
In der Münchner Pinakothek gibt es einen „Zwillingsbruder“ zu unserem Triptychon. Dort sind im Unterschied zu unserem Werk die Außenseiten der Flügel erhalten. Sie zeigen sehr seltene Nebenerzählungen aus der Jona-Legende: den Propheten in der Kürbislaube und die Bekehrung der zuvor bösartigen Einwohner von Ninive.
Jan Lauts, Slg. Kat. Karlsruhe 1966, S. 83-84: „Mittelbild und Flügel waren durch spätere Ergänzungen an den oberen Rändern in rechteckige Form gebracht worden; eine kürzlich erfolgte Restaurierung hat den ursprünglichen Zustand wiederhergestellt.
Die richtige Zuschreibung des früher als Werk des B. van Orley angesehenen Altärchens an P. Coecke van Aelst hat erstmals P. Wescher (Lit. 1928) gegeben; ihm folgte M. J. Friedländer (Lit. 1935), der ein Datum um 1535 für die Entstehung annimmt. G. Marlier (Lit. Katalog Ausstellung „Le Siècle de Bruegel“, 1963) datiert um 1535-1540; er sieht in dem links vom Grabe auftauchenden Krieger ein Selbstbildnis des Künstlers. In den Hintergrundsfiguren glaubt er, die Hand des sogenannten Braunschweiger Monogrammisten erkennen zu können, eine Hypothese, welcher E. Brochhagen (Lit. 1964) mit Recht widerspricht.
Größere alte Wiederholungen der beiden Flügelbilder (Eichenholz, je 111 : 42), vermutlich Werkstattarbeiten, befinden sich in den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen München (Nr. 5392 und 5668, früher ausgestellt im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg; Katalog 1909, Nr. 91/92); Baldass (Lit. 1929/30) möchte in ihnen die originalen Fragmente eines Altars sehen, dessen Mittelstück verschollen sei und von dem die Karlsruher Fassung dann eine „getreue, nur etwas verkleinerte alte Kopie wäre“. Friedländer führt das in seiner Qualität überlegene Karlsruher Altärchen dagegen mit Recht als Original des Künstlers auf; auch Marlier hält es für ein eigenhändiges Werk. Eine P. Coecke zuzuschreibende getuschte, weiß gehöhte Federzeichnung mit der Auferstehung Christi, in der Komposition der Mitteltafel des Altärchen sehr nah verwandt, befindet sich in der Sammlung Schwarting zu Delmenhorst.“
Die von Jan Lauts Pieter Coecke zugeschriebene Zeichnung aus der Sammlung Schwarting wurde 1967 von Horst-Johannes Tümmers als Vorzeichnung Bartholomäus Bruyns d. Ä. für den Xantener Altar identifiziert und im selben Jahr vom Wallraf-Richartz-Museum, Köln erworben (Inv. Nr. 1967/9).
Die beiden großformatigen Seitenflügel der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen befinden sich wieder als Dauerleihgabe im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg und werden heute ebenfalls Pieter Coecke van Aelst zugeschrieben. Ihre Rückseiten haben sich erhalten und lassen Rückschlüsse auf das ursprüngliche Bildprogramm des Karlsruher Flügelaltares zu: im geschlossenen Zustand zeigt der linke Flügel den Propheten Jonas in der Kürbislaube, auf der rechten Seite sind die büßenden Bewohner von Ninive dargestellt (Marlier 1966; Ausst. Kat. Karlsruhe 1992; Slg. Kat. Nürnberg 1997; Ubl 2014).
Anhaltend wird die Chronologie der Karlsruher und Nürnberger Tafeln diskutiert. Kurt Löcher hält die Nürnberger Gemälde aufgrund ihrer malerischen Qualität sowie von Untersuchungen zu den Vorzeichnungen für die Erstfassung. Der Karlsruher Altar sei seiner Einschätzung nach „eine verkleinerte und reduzierte Kopie, evtl. auch eine Werkstattwiederholung“ (Slg. Kat. Nürnberg 1997, S. 570).
Maryan W. Ainsworth (Ausst. Kat. New York 2014) hingegen sieht in den freieren Unterzeichnungen des Karlsruher Triptychon den Beleg für dessen zeitlichen Vorrang und datiert es aufgrund seiner malerischen Nähe zu Coeckes „Letztem Abendmahl“ von 1527 (The Duke and Duchess of Rutland Collection, Belvoir Castle, Grantham, England) auf „um 1530“.
-
Le Siècle de Bruegel. La Peinture en Belgique au XVIe siècle
Musées Royaux des Beaux-Arts de Belgique, Brüssel 27.09.-24.11.1963
-
Pieter Coecke van Aelst: Tapestry Designer, Renaissance Master
Metropolitan Museum of Art, New York 07.10.2014-11.01.2015
-
1887: Die Holbeinbilder in Karlsruhe
Lübke, W.
-
1909: Jan Sanders van Hemessen
Graefe, F.
-
1910: Der italienische Einfluß in der vlämischen Malerei der Frührenaissance
Aschenheim, Charlotte
-
1928: Pieter Coecke als Maler
Wescher, P.
-
1929/1930: Die "venezianischen Bilder" des Jan van Scorel
Baldass, L.
-
1932: Ikonographie der christlichen Kunst
Schrade, Hubert
Die Sinngehalte und Gestaltungsformen -
1935: Pieter Coeck, Jan van Scorel
Friedländer, M. J.
-
1936: Der italienische Einfluß in der flämischen Malerei im ersten Drittel des 16. Jahrhunderts
Krönig, W.
-
1941: Die Kunstinventare der Markgrafen von Baden-Baden
Renner, Anna Maria
-
1950: Pieter Coecke van Aelst
Corbet, A.
-
1955: Die Einrichtung des Rastatter Schlosses im Jahre 1772
Kircher, Gerda
Ein Beitrag zur Kulturgeschichte der deutschen Residenzschlösser der Barockzeit -
1962: La peinture flamande au siècle de Bosch et Breughel
Puyvelde, Leo van
-
1963 (2. Ausg.): Le Siècle de Bruegel
(o. A.)
La Peinture en Belgique au XVIe siècle -
1963: [Bericht über die Ausstellung "Le Siècle de Bruegel" in Brüssel]
Marlier, G.
-
1964: Le Siècle de Bruegel
Brochhagen, Ernst
La Peinture en Belgique au XVIe siècle -
1964: Réflexions sur l'exposition "Le Siècle de Bruegel"
Philippot, Paul
-
1966: Katalog Alte Meister bis 1800
Bearb.: Lauts, Jan; Hrsg.: Vereinigung d. Freunde d. Staatl. Kunsthalle
-
1966: Katalog Alte Meister bis 1800
Bearb.: Lauts, Jan; Hrsg.: Vereinigung d. Freunde d. Staatl. Kunsthalle
Bildband -
1966: La Renaissance flamande
Marlier, Georges
Pierre Coeck D'Alost -
1967: Eine Zeichnung Bruyns vom Xantener Altar
Tümmers, Horst-Johannes
-
1968: Der Altar der Kreuzabnahme von Pieter Coeck van Aelst im Museum zu Lissabon
Wescher, Paul
-
1969: Die Kreuzigung des Braunschweiger Monogrammisten im Clemens-Sels-Museum
Schubert, Dietrich
-
1970: Die Gemälde des Braunschweiger Monogrammisten
Schubert, Dietrich
Ein Beitrag zur Geschichte der niederländischen Malerei des 16. Jahrhunderts -
1973: Notes on some Sources of Bruegel's Art
Grossmann, Fritz
-
1984: Qui a peint la Tentation du musée de Karlsruhe?
Genaille, Robert
-
1988: Ausgewählte Werke der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe
Lüdke, Dietmar; Reising, Gert; Simons-Kockel, Katrin
150 Gemälde -
1992: Christus und Maria
Dresel, Ines; Lüdke, Dietmar; Vey, Horst
Auslegungen christlicher Gemälde der Spätgotik und Frührenaissance aus der Karlsruher Kunsthalle -
1997: Germanisches Nationalmuseum Nürnberg
Löcher, Kurt
Die Gemälde des 16. Jahrhunderts -
2007: An unknown view of Mt. Zion Monastery be the Flemish old master Pieter Coecke van Aelst (1502-1550)
Lewy, Mordechay
-
2010: Miroslaw Balka - Wir sehen dich
Heynen, Julian; Staatliche Kunsthalle Karlsruhe
Staatliche Kunsthalle Karlsruhe, 16.4.-22.8.2010 -
2011: Der Prophet Jona zwischen Typologie und Historie
Eichberger, Dagmar
Akzentverschiebungen in der Kunst des 16. Jahrhunderts -
2014: Grand Design
Cleland, Elizabeth
Pieter Coecke van Aelst and Renaissance Tapestry -
2014: Der Braunschweiger Monogrammist
Ubl, Matthias
Wegbereiter der niederländischen Genremalerei vor Bruegel -
2018: In Search of Salvation
Eichberger, Dagmar
Typology in the Context of the Altarpiece