Von Mitteln und Mittlern

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Mit dem Sonnenwagen durch den Glasfluss

Geschirr, Hausnummernschilder, Uhrziffernblätter, Badewannen, Hausaltäre – was sie alle gemeinsam haben? Eine häufig für sie angewandte Technik: Email. Die deutsche Umschreibung als Schmelzglas macht deutlich, um was es sich eigentlich handelt: Auf ein Trägermaterial aufgeschmolzene, oft halbtransparente, glänzende, gläsern wirkende Schichten.

Gemälde von Lavinia Fontana: Vor Landschaftshintergrund Maria mit dem Jesuskind auf dem Schoß, das der heiligen Katharina einen Ring reicht. Im Hintergrund zwei männliche Heilige.

Der Malgrund macht‘s

Auch bei diesen fünf Platten handelt es sich um Email, besser gesagt um Maleremail auf Kupferplatten. Was nach technisch-materiell übergenauer Benennung klingt, ist ein Hinweis auf mediengeschichtlich aufschlussreiche Zusammenhänge.

Zunächst ist – vor allem im Kontext dieses Raumes – der genutzte Untergrund von Interesse: Viele Gemälde der Sammlung Röchling haben die Eigenart, auf Kupferblech gemalt zu sein. Diese im späten 15. Jahrhundert aufgekommene Spielart der Ölmalerei erlaubte einen besonders dünnen, feinen Farbauftrag, glatte und beständige Oberflächen sowie besondere Brillanz der Farben. Zudem führten Kupferplatten zu eher kleinen Formaten, waren aber damit auch gut transportabel. Alles in allem also die ideale Kombination für Sammlerstücke, wie sie in der Frühen Neuzeit, als sich Kunstmarkt und Sammlungen zunehmend entwickelten, gefragt waren. Ein Beispiel hierfür ist das Andachtsbild der Lavinia Fontana.

Ausschnitt aus einem Email eines unbekannten Künstlers, in vielen feinen Grauabstufungen gemalt und mit wenigen goldenen Partien: Mann sitzt auf zweirädrigem Wagen. Im Eck die Buchstaben M und D.

Konkurrierende Technik

Bei den fünf Emaillen kommen noch weitere Aspekte hinzu: Mit der zu Beginn des 16. Jahrhunderts gegebenen technischen Neuerung des Maleremails war es möglich, Farbschichten wie bei der Ölmalerei neben- und übereinander zu setzen, ohne sie wie im Mittelalter durch Metallstege oder ähnliches gegeneinander abzutrennen. So konnte die Technik erstmals wirklich mit der Tafelmalerei konkurrieren und eroberte deren klassische Funktionsbereiche: vom kleinen Portrait für private Räume bis hin zum Hausaltärchen. Aber auch angestammte Anwendungsgebiete, z. B. schmuckvolle Aufbewahrungsbehälter, wurden in der neuen Technik ausgeführt. Dabei verstanden sich deren Meister als Künstler, was die zahlreichen selbstbewusst gesetzten Signaturen belegen – in unserem Fall das noch nicht mit abschließender Sicherheit entschlüsselte „MD“.

Ausschnitt aus einem Kupferstich eines unbekannten Künstlers: Apoll, ein junger Mann mit Bogen, stürmt auf Daphne ein, die zu fliehen versucht und deren Arme sich in belaubte Zweige verwandeln. Grauwerte durch Schraffuren.

Wettstreit mit mehr als einer Gattung

Diese Folge könnte ebenfalls von einem vierseitigen Kästchen mit Deckel stammen. Ihre Besonderheit ist es, nicht nur mit der Tafelmalerei zu wetteifern, sondern vielmehr mit der Grafik. Denn wie Zeichnungen oder Kupferstiche – von denen die Emaillen im Malprozess viel übernehmen – arbeiten sie nur mit Tonwerten, also zahlreichen Grauabstufungen. Möglich war dies nur durch das sogenannte blanc de Limoges, ein in der gleichnamigen französischen Stadt zur Perfektion gebrachtes, halbtransparentes weißes Email.

Ausschnitt aus einem Email eines unbekannten Künstlers, in vielen feinen Grauabstufungen gemalt und mit wenigen goldenen Partien: Phaetons Schwestern, drei stehende nackte Frauen, deren Arme zu belaubten Zweigen werden.

Mehrteiliges Storytelling

Mediengeschichtlich relevant ist aber nicht nur die technische und ästhetische Verwandtschaft mit der Grafik. Auch die Themenwahl vorzüglich aus der christlichen Bildwelt oder der antiken Mythologie und die Möglichkeit, eine Geschichte über mehrere Bilder zu erzählen, verbinden die Gattungen. Diese fünf Emaillen mit der Erzählung des Phaeton, der mit dem Sonnenwagen seines Vaters verunglückt und von seinen zu Bäumen verwandelten Schwestern beweint wird, haben sicher eine noch nicht bekannte grafische Folge zur Vorlage und spielen damit eine Rolle im medialen Geflecht verschiedener Kunstgattungen. Sie dürften ein mit Stolz zur Schau gestelltes Schmuckstück in der luxuriösen Ausstattung eines wohlhabenden und klassisch gebildeten Haushalts des 16. Jahrhunderts gewesen sein.

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