Astreine Anti-Action: Sous la grande lampe à Saint-Jacut von Édouard Vuillard

Heute geht es um ein schummriges Bild. Auf dem Bild ist diese klassische Schummrigkeit, bei der man wenig sieht und sich dann aus Versehen so richtig schön den Zeh anstößt. Aber ich bin ja da und bringe etwas Licht ins Dunkel. Wir haben es zu tun mit einem Bild von dem Künstler Édouard Vuillard und zwar aus dem Jahr 1909. Ich bin ehrlich mit Euch, ich kann kein Französisch, daher ist der Titel für mich eine echte Herausforderung, ich probiere es: Sous la grande lampe à Saint-Jacut. Hui. Ich übersetze das kurz: „Unter der großen Lampe in Saint-Jacut“. Danke Google Translator. Das Bild dieser Folge ist sehr vielschichtig und durchaus ein bisschen… spicy. Außerdem erfahrt Ihr, warum der Maler Vuillard ein maximales Muttersöhnchen war. Viel Spaß!

 

Intro

Schaut mal in die Shownotes von diesem Podcast. Da ist ein Link und der bringt Euch zu einer Abbildung des Bildes, um das es jetzt geht.

 

Was gibt‘s hier zu sehen? Bildliche Beschreibung

Dieses Bild zeigt ein Interieur, also einen Innenraum. Gemalt ist das Ganze mit dickeren Pinselstrichen. Wenn man das Bild das erste Mal anguckt, sieht man vor eines: Eine Lampe. Die ist so zentral im Bild, das ist das Erste, was man sieht. Das ist ein bisschen wie bei diesen Pixar-Filmen, bei denen ja auch erst mal eine Lampe ins Bild gehüpft kommt und dann kommt der Rest. Die Lampe ist ausgeschaltet und steht auf einem Tisch. Um den Tisch sitzen zwei Männer und eine Frau. Der Tisch ist voll mit Zeitschriften, oder so etwas ähnlichen, genau kann man das nicht erkennen. Der Rest des Raumes sieht nach Wohnzimmer aus. Die Wände sind bläulich und es hängen Bilder an der Wand. Ich weiß, das klingt jetzt erstmal nicht so spektakulär. Aber genau darum geht’s: Um die Ruhe, die dieses Bild ausstrahlt. Alles ist so entschleunigt. Da passiert eben nicht viel, echte Anti-Action. Das ist doch herrlich – wunderbar entspannend! Vielleicht haben die drei Personen auf dem Bild im Gespräch die Zeit vergessen und auch ganz vergessen das Licht anzumachen. Vielleicht ist es auch deshalb so schummrig. Man steht vor diesem Bild und kann sich richtig in die Situation reinversetzen, wie die da ganz gemütlich um den Tisch herumsitzen.

Wer ist hier genau dargestellt? Rechts sitzt Jos Hessel, das ist der Gastgeber und war ein Kunsthändler. Links sitzt der Schriftsteller André Picard und in der Mitte sitzt die Filmschauspielerin Marthe Mellot. Lucy Hessel, die Frau des Gastgebers, ist nicht im Bild, aber: Sie war ein Modell für den Maler Vuillard, der dieses Bild ja gemalt hat. Und um den Stereotyp komplett zu machen: Die beiden, also Lucy Hessel und Vuillard hatten vermutlich eine Affäre miteinander. Klar, Künstler und Modell, blabla, der alte Mythos. In dem Fall scheint es tatsächlich so gewesen zu sein. Und das war richtig frech, weil Vuillard bei dem Ehepaar Hessel mehrere Monate zu Gast war. Gastfreundschaft Plus nennt man so was wohl. Das Bild heißt ja Unter der großen Lampe in Saint-Jacut. Saint-Jacut ist ein Ort in der Bretagne und hier hatten die Hessels ein Ferienhaus. Also, dieses ruhige Bild ist dann doch ziemlich spannungsgeladen.

 

Kunst-Hotspot Karlsruhe

Die Staatliche Kunsthalle Karlsruhe ist ein echtes Kunsthighlight. Hier befindet sich nämlich nicht nur das eben beschriebene Gemälde von Vuillard. Hier befindet sich auch die Zeichnung, mit der der der Künstler das Bild vorbereitet hat. Es ist immer toll, wenn man Entwurf und finales Werk direkt miteinander vergleichen kann. Da kann man dem Künstler quasi bei der Arbeit zugucken. Die Zeichnung zeigt: Am Anfang hatte Vuillard die Szene breiter, nämlich im Querformat, geplant und mehr Leute am Tisch gezeichnet. Das Gemälde ist dann aber ein Hochformat. So wird alles verdichtet und die Lampe steht noch dominanter im Zentrum. Und es gibt noch einen anderen markanten Unterschied: Die Zeichnung ist mit schnellen Strichen ausgeführt, alles sehr dynamisch. Das Gemälde dagegen ist sehr ruhig gemalt. Vuillard arbeitete mit vielen Skizzen und feilte lange an der Komposition seiner Bilder – wie man in Karlsruhe sehr schön sehen kann.

 

Der Epochen-Check

Vuillard war Teil der Künstlergruppe Nabis, geschrieben N-a-b-i-s. Noch nie gehört? Ging mir auch lange so. Aber Nabis ist eine echte Bereicherung, weil das so ruhige Bilder sind. Das ist echt gemalte Meditation. Das sind Bilder wie Baldrian.

Ok, aber war denn jetzt genau Nabis? Nabis wurde 1888/89 gegründet von ein paar aufmüpfigen Kunststudis in Paris. Nabis gehört zum sogenannten Post-Impressionismus. Das ist ein nervig schlaues Wort für: Nach dem Impressionismus, also nach dieser stricheligen Kunst von Monet und Co. Davon wollten die Nabis sich abgrenzen und etwas Neues entwickeln. Nabis ist ein solide größenwahnsinniger Name, denn das Wort kommt aus dem Hebräischen und heißt „Prophet“. So sahen sich die Nabis: Als Propheten einer neuen Malerei! Stabiles Selbstbewusstsein, muss man sagen. Für die Nabis war Kunst nicht nur Gepinsel, sondern viel, viel mehr. Sie sahen Kunst als riesige Ausdrucksmöglichkeit. Deshalb umfasst Nabis nicht nur Malerei, sondern auch Bildhauerei, Druckgrafik, Plakate, Buchillustrationen, Bühnenbilder und sogar Möbeldesign. Nabis war ein echtes Kunst-Komplettpaket. Egal welches Medium, den Nabis geht es um Folgendes: Formen sind nicht einfach nur Formen, sondern da ist mehr dahinter. Formen sind für die Nabis mit Emotionen verbunden. Eine wichtige Inspirationsquelle für die Künstler war das Alltagsleben und das eigene private Umfeld. Daher kommt auch die Vorliebe für Interieur-Malerei, für die eigenen vier Wände. Vuillard hat sich ganz genau angeguckt, wie Menschen wohnen – nach dem Motto: Du bist, wie du wohnst. Ich bin ja auch der Meinung: Zeig mir deinen Computer-Desktop und ich weiß, wie du arbeitest. Vuillard hat mal gesagt: „Ich male keine Porträts. Ich male Leute in ihrem Lebensumfeld.“ Vuillard hätte definitiv ein Abo gehabt von der Zeitschrift Schöner Wohnen. Und noch ein weiteres Zitat von Vuillard bringt seine Arbeitsweise wunderbar auf den Punkt: „Ich habe selten etwas Großes geschaffen, wenn ich mein Zimmer verlassen habe.“

Ganz in Nabis-Manier hat Vuillard also sehr viel sein privates Umfeld gemalt. Und das war sehr oft: Seine Mutter. Vuillard wohnte nämlich bei seiner Mutter, bis sie starb. Da war er 60 Jahre alt. 60! Das muss man sich mal klarmachen. Ausziehen war offenbar nicht ganz so Vuillards Ding. Also, in der Kunsthalle Karlsruhe befindet sich ein Muttersöhnchen-Meisterwerk.

 

Wie wurde das Werk beeinflusst? Interessante Inspirationen

Ein wichtiger Einfluss für Vuillard war die Fotografie. Er war nämlich begeisterter Hobbyfotograf. Er benutzte immer wieder Fotos als Vorlagen für seine Bilder. Vuillards Faszination für die Fotografie schlägt sich auch in dem Bild aus Karlsruhe nieder. Der Tisch, die Lampe und die drei Menschen sind nämlich aus der Untersicht gemalt. Und das kann durchaus mit einer Kamera von Vuillard zusammenhängen: Das war nämlich eine damals moderne Taschenkamera, die man nicht vors Auge hielt, sondern vor den Bauch. Der Sucher befand sich nämlich auf der Oberseite des Kamerakastens, nicht wie bei uns heute auf der Rückseite. Wer kennt sie nicht, die berühmte Belly-Cam? Aber dadurch wurden Fotos halt aus der Untersicht gemacht, der Bauchperspektive. Und möglicherweise spielt Vuillard mit seinem Bild darauf an.

Ihr merkt also, so ein ruhiges Werk, das so meditativ daherkommt, hat doch dann eine ganze Menge zu bieten. Das ist mein Schlusswort zur heutigen Folge. Ich hoffe, Ihr habt ein bisschen was mitgenommen. Wir hören uns wieder in zwei Wochen mit der neuen Folge von Kunstsnack. Macht’s gut, bis dann, Ciao.

 

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