Krasses Comeback

Albrecht Dürer: Christus als Schmerzensmann

Auf diesem Bild von Albrecht Dürer sieht Jesus richtig fertig aus. Er hat tiefe Augenringe und sein eingefallenes Gesicht wirkt, als wäre er gestern deutlich zu lange saufen gewesen und hätte ordentlich Wasser zu Wein gemacht. Allerdings geht’s hier nicht um einen Kater, sondern um viel größere Schmerzen. Deshalb heißt das Bild auch Christus als Schmerzensmann. Was macht dieses Bild zu einem absoluten Meisterwerk? Warum hat Jesus solche Schmerzen? Und was hat Dürer mit Louis Vuitton zu tun? Darum geht’s in dieser Folge. Viel Spaß!

Der Kunstsnack – Kurze Facts leicht bekömmlich. Von der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe mit dem Comedian und Kunsthistoriker Jakob Schwerdtfeger.

Ich gehe zwar gleich näher auf das Bild von Dürer ein, aber wenn ihr euch das Gemälde angucken wollt, in den Shownotes findet ihr einen Link zur Abbildung. 1492/93 hat Dürer dieses Bild gemalt, heute befindet es sich in der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe. Jesus guckt darauf wirklich sehr leidend. Der Grund ist auch schnell gefunden: Er trägt eine Dornenkrone. Wir alle haben schon mal in einem zu engen Fahrradhelm gesteckt, um zu wissen, wie unangenehm das ist. Und eine Dornenkrone ist wirklich die mieseste Steigerung davon. Jesus sitzt weitestgehend nackt vor uns. Seinen Kopf stützt er mit einem Arm ab.

Dank der Dornenkrone ist Jesus Stirn voller Blut. Generell sind viele Stellen seines Körpers verwundet und blutig. Auffällig ist: Beide Hände sind durchlöchert. Es ist klar: Wir sehen die Folgen seiner Kreuzigung, aber es ist kein Kreuz weit und breit. Stattdessen liegt eine von Jesus Händen auf einer Steinkante vorne im Bild. Hierbei handelt es sich um einen Sarkophag. Dürer malt hier also Jesus krassesten Zaubertrick: Seine Wiederauferstehung. Das coolste Comeback der Geschichte. War auf jeden Fall deutlich besser als das Comeback von ABBA.

Es ist unglaublich, wie fein Dürer hier alles malt. Der Körper wirkt richtig lebendig. Jede Falte, jede Ader unter der Haut, jeder Muskel – alles ist genau wiedergegeben. Selbst die Blutstropfen wirken plastisch. Das Leichentuch um Jesus Hüften scheint ganz weich zu sein, der Steinsarkophag dagegen ganz hart. Stofflichkeit hat Dürer einfach komplett    durchgespielt. Von dieser Wirklichkeitsnähe könnte sich sogar Madame Tussauds noch eine Scheibe abschneiden. Neu ist, dass uns Jesus so direkt ansieht. Das sollte bei den Gläubigen Mitleid erregen. Gleichzeitig scheint sein Blick zu fragen: „Ist das euer Ernst? Warum macht ihr das mit mir?“ Der Heiland wirkt erschöpft von seiner Zeit auf der Erde. Sein durchdringender Blick trägt wesentlich dazu bei, dass dieses Bild so ergreifend wirkt. Gedacht war das Bild für die private Andacht.

Um Jesus herum ist ein goldener Spitzbogen. Das könnte der Eingang zu seiner Grabhöhle sein. Es handelt sich bei dem Goldgrund um echtes Gold, in das hunderte kleine Pünktchen eingeschlagen sind. Diese zeigen eine Eule, die von zwei Vögeln attackiert wird. Das ist ein Symbol für den schuldlos verfolgten Christus. Daneben sind noch Disteln, die an seine Schmerzen erinnern sollen – als wäre die Dornenkrone und das ganze Blut nicht eindeutig genug.

Es ist außerdem besonders, dass bei diesem Bild auch die Rückseite bemalt ist. Die zeigt täuschend echt gemalten Stein, genauer gesagt farbigen Marmor. Sieht ein bisschen so aus wie diese bunten Marmorierungen, die man auf der Innenseite von älteren Büchern findet. Das Bild sollte also beidseitig betrachtet werden, wobei die Vorderseite auf Dauer dann doch etwas spannender ist.

Dürer war erst 22 Jahre alt, als er dieses Werk geschaffen hat. Das muss man sich mal klarmachen: Mit 22 war ich in irgendwelchen Clubs und hab Backstreet Boys mitgegrölt. Und der Typ hat in dem Alter einfach ein Meisterwerk geschaffen. Dürer war eh super beeindruckend. Er hat so viele Innovationen raus geballert. Man kann es nicht anders sagen: Dürer war ein richtiger King! Er ist ohne Frage der berühmteste deutsche Künstler und das völlig zurecht.

Sein erstes Selbstbildnis hat er mit 13 gezeichnet. Klar, normal! Wer von uns hat das nicht? Und dann hat er dieses Selbstporträt auch noch mit Silberstift gemacht, was eine der schwierigsten Zeichentechniken war. Ich fange gar nicht erst an mein 13-jähriges Ich damit zu vergleichen.

Dürer hat auch den berühmten Feldhasen gezeichnet. Wenn ihr das Werk nicht kennt: Das ist einfach ein Feldhase auf weißem Grund. Klingt jetzt nicht so krass, aber damit war damit er der Erste, der ein Tier außerhalb seiner natürlichen Umgebung gemalt hat. Vorher hat man Tiere hauptsächlich in religiösen Kontexten gemalt. Salopp gesagt: Wenn du einen Otter malen wolltest, musstest du irgendeinen Heiligen daneben pinseln. Ich erwähne hier bewusst den Otter, weil es das coolste Tier überhaupt ist. Ich dulde da auch keine andere Meinung.

Naja, aber es geht noch weiter mit Dürers Innovationen: Dürer machte die Druckgrafik zu einem eigenständigen Bildmedium. Vorher dienten Holzschnitte und Kupferstiche zur Illustration von Texten. Durch Dürer wurden sie zur vollwertigen Kunst. Er war auch der erste deutsche Künstler, der Druckgrafiken gezielt einsetzte, um möglichst viele Leute zu erreichen. Die Preise waren nämlich günstiger und man konnte die Werke vervielfältigen, im Gegensatz zu einem Gemälde. Also heutzutage wäre Dürer ein hervorragender Influencer mit richtig nicen Rabattcodes. Dürer erschloss sich auf diese Weise mit den Druckgrafiken einen neuen Markt und rückte so in den Mainstream vor – sogar international wurde er auf diese Weise bekannt.

Dürer war ein hervorragender Business man. Das zeigt unter anderem sein Branding. Er kreierte für sich ein eigenes Logo mit AD (also Albrecht Dürer). Dieses Logo kam auf viele seiner Werke. Das ist wie das LV von Louis Vuitton. Genau wie bei der Luxusmarke stand das Logo für Qualität, allerdings kam bei Dürer zu vielen Fälschungen – auch wie bei Louis Vuitton.

In der Malerei sorgte Dürer vor 500 Jahren sogar für noch mehr Neuerungen. Damals wurden eigentlich nur religiöse Figuren nackt gemalt, zum Beispiel Adam und Eva. Dürer malte aber auch andere Figuren nackt, inklusive sich selbst. Vielleicht war er FKK-Fan.

Dürer malte sich eh gern selbst. Das machten andere Künstler auch, aber sehr subtil. Sie bauten sich unauffällig als Statisten in große Gemälde ein – ein bisschen wie auf einem Wimmelbild. Aber das war nicht Dürers Style. Es gibt von ihm das berühmte „Selbstbildnis im Pelzrock“. Da ist nur er dargestellt und zwar formatfüllend. Er guckt selbstbewusst aus dem Bild und inszeniert sich mit seiner Langhaar-Frisur wie Jesus. Ein richtiger Bossmove! Er ist der erste Maler, der sich nicht mehr als Handwerker sah, sondern als schöpferischer Geist, als eigenständiger Künstler. So wie heutzutage Barkeeper nicht mehr nur Barkeeper sind, sondern Cocktail Artists.

Dürer trägt auf seinem Selbstporträt nicht nur einen Pelzmantel wie ein Rapper, er hat auch das Selbstbewusstsein wie einer. Ist ja auch nicht verwunderlich, so wie er abgefeiert wurde. Nicht nur Raffael, auch Michelangelo verehrte ihn. Unglaublich! Als Dürer 1528 starb, wurde er kurz danach direkt wieder ausgebuddelt, um eine Totenmaske abzunehmen. Im Gegensatz zu Jesus war Dürer aber wirklich tot und ist nicht wiederauferstanden. Das konnte sogar der große Dürer nicht.

Bis heute hat Dürer vor allem in Deutschland einen ganz besonderen Stellenwert. In der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe gibt es zum Beispiel gleich mehrere Darstellungen von ihm: Als Relief auf der Fassade, wo er die deutsche Malerei repräsentiert, und eine Porträtbüste, die auf Augenhöhe von Raffael steht. In einer Ausstellung in der Kunsthalle Karlsruhe wurde sogar mal eine Haarlocke präsentiert, die angeblich von Dürer sein soll. Das ist echter Fame! Wow. Wirklich ein beeindruckender Maler.

Und das war’s mit dieser Folge. Vielen Dank für’s Zuhören. Wenn’s euch gefallen hat, empfehlt diesen Podcast gerne weiter. Macht’s gut, ciao.

Das war der Kunstsnack – Kurze Facts leicht bekömmlich. Mit Jakob Schwerdtfeger. Eine Produktion der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe. Abonniert unseren Podcast und folgt uns bei Instagram. Habt Ihr Themenwünsche, schreibt uns via Directmessage oder per Mail an digital@kunsthalle-karlsruhe.de.

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